Die EZB selbst treibt die Preise – aber keiner redet darüber
Höhere Zinsen verursachen Milliarden-Kosten. In der offiziellen Inflationsrate werden sie aber verschwiegen
Die EZB ist die Feuerwehr gegen hohe Preise. Oder sagen wir: Sie soll es sein. Wenn es brennt, die Inflation also größer als zwei Prozent ist, dann rückt sie aus und versucht den Brand zu löschen – mit Zinserhöhungen. Leider helfen die Zinsen gegen Inflation aber nicht so gut wie Wasser gegen Feuer. Zinserhöhungen wirken auch nicht wie Wassern, sondern eher wie eine Löschdecke, die der Wirtschaft den Sauerstoff nimmt – und so den Preisbrand löscht.
Ein Problem, das Ökonomen dabei häufig übersehen: Die Löschdecke der EZB ist gar nicht feuerfest, kann also selbst Feuer fangen und den Brand gar noch vergrößern. Wenn die EZB die Zinsen erhöht, treibt sie nämlich selbst die Preise. Anders als die Feuerwehr ist die EZB nicht nur Retterin, sondern auch Verursacherin. Natürlich nicht allein und auch nicht beabsichtigt, aber sie ist es trotzdem.
Über gleich zwei Wege treibt die EZB selbst die Preise: direkt und indirekt. In der öffentlichen Debatte kommt nichts davon vor. Das liegt aber nicht an böswilligen Verschwörungen, sondern daran, dass der indirekte Weg unterschätzt wird – und der direkte Weg gar nicht erst von den Statistikern in der Inflationsrate ausgewiesen wird.
Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten schließen von hohen Zinsen immer erstmal nur auf sinkende Nachfrage, eine stotternde Wirtschaft und dadurch fallende Preise. Das ist aber eben nicht der einzige Wirkungskanal.
Der indirekte Weg
Zur Erinnerung: Im Juli 2022 hat die EZB mit den Zinserhöhungen begonnen, von null auf 2,5 Prozent bis Ende 2022 und dann sogar bis auf 4,5 Prozent im September 2023. Diese höheren Zinsen führen zu höheren Zinskosten bei den Unternehmen. Allerdings nicht sofort, sondern erst dann, wenn alte Kreditverträge auslaufen – und neue Kredite aufgenommen werden.
Bei den deutschen Unternehmen machten Kredite 2022 rund 40 Prozent der Bilanzsumme aus. 27 Prozent davon haben eine Laufzeit von unter einem Jahr, 13 Prozent von über einem Jahr. Bedeutet: etwa zwei Drittel der Zinserhöhungen der EZB führen spätestens nach einem Jahr (ein Großteil auch früher) zu höheren Zinskosten bei den Unternehmen. Für 2022 hat die Bundesbank zuletzt die Zahlen veröffentlicht. Für die Unternehmen hat sich allein im Jahr 2022 der Zinsaufwand um 14 Milliarden Euro erhöht – ein Plus von 21 Prozent. Zum Vergleich: Das Plus beim Materialaufwand liegt mit 28 Prozent nur knapp darüber.
Und all das sind nur die Durchschnitte für die gesamte Wirtschaft. Die Bundesbank weißt in ihrem Bericht darauf hin, dass Branchen mit einem höheren Anteil an (kurzfristigen) Krediten schneller und heftiger vom Zinsanstieg betroffen sind.
„Aus dieser Perspektive könnten das Gastgewerbe, der Handel mit Kraftfahrzeugen, der Energiesektor, der Bereich Verkehr und Lagerei und der Einzelhandel […] die Auswirkungen der Zinswende besonders stark spüren.“
Für 2023 fehlen noch die Zahlen, allerdings ist davon auszugehen, dass der Zinsaufwand noch viel stärker angestiegen sein wird als 2022. Zum einen, weil die alten Zinserhöhungen durchgeschlagen sind und zum anderen, weil die EZB den Zins ja noch weiter angehoben hat. Statt 13,7 Milliarden an Zusatzkosten dürfte die EZB also einen deutlich größeren zweistelligen Betrag an Zusatzkosten verursacht haben.
Und weil die Unternehmen versuchen, ihre Profite zu retten, geben sie höhere Kosten in Form von höheren Preisen an die Verbraucher weiter. Da alle Firmen von höheren Zinskosten betroffen waren, also die gesamte Branche, ist es für die Firmen einfach, die Kosten zu überwälzen. Wenn nämlich alle das machen, verschlechtert niemand seine Wettbewerbsposition.
Und dann ist da noch ein indirekter Einfluss. Nicht über die wirklichen Kosten, sondern die Opportunitätskosten. Genau das sind nämlich Zinsen auch für die Ertragsseite. Je höher die Zinsen, desto höher die gewünschte Rendite auf alle Investitionen. Beispiel: Anstatt eine Lagerhalle zu bauen oder neue Schrauben einzukaufen, könnte ein Schraubenhändler sein Geld auch am Kapitalmarkt anlegen – und Zinsen kassieren. Der Bau der Lagerhalle oder der Einkauf von Schrauben muss dem Händler also mindestens so viel Geld einbringen wie der Zins, wenn er das Geld anlegt. Sonst wäre er ja bekloppt, das Risiko einzugehen und sich die ganze Arbeit anzutun.
Je höher der Zins, desto mehr lohnt sich die Geldanlage und desto mehr muss eine Investition später einbringen – anders gesagt: desto höher die Opportunitätskosten. Je niedriger der Zins, desto weniger lohnt sich die Geldanlage, desto leichter rentiert sich der Bau der Lagerhalle, desto niedriger sind die Opportunitätskosten.
Was aber, wenn der Schraubenhändler die Lagerhalle längst gebaut hat, das Geld also gebunden ist, und dann die Zinsen steigen? Dann steigen die kalkulatorischen Opportunitätskosten. All das Geld, das im Lager gebunden ist, hätte jetzt auf der Bank höhere Zinsen erwirtschaften können. Um den Effekt auszugleichen, gibt es eine Möglichkeit: die Preise erhöhen. Höhere Zinsen üben also kalkulatorischen Preisdruck aus, der am Ende die Inflation eher befördert als bremst.
Das ist beispielsweise auch der Grund dafür, dass der Staat letztes Jahr die Garantierendite für Netzbetreiber von fünf auf sieben Prozent erhöht hat. Das erlaubt den Betreibern, die Netzentgelte zu erhöhen, um mehr Geld zu verdienen; und bedeutet höhere Strompreise für die Verbraucher. Die Rendite musste hoch, argumentierte die Bundesnetzagentur, um Investitionen in den Netzausbau attraktiver zu machen. Platt gesagt: Wenn es für risikolose Staatsanleihen schon fast drei Prozent Rendite gibt, warum sollen sich die Netzbetreiber für fünf Prozent den ganzen Stress mit dem Netzausbau antun? Das müsse sich mehr lohnen, so die Haltung der Netzbetreiber.
Und tatsächlich waren die sogar enttäuscht von der Erhöhung. „Wir hatten mindestens einen vollständigen Ausgleich der vergangenen Zinsanstiege auf den Kapitalmärkten gefordert“, so Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU). Damit meint er: Während die Zentralbank den Leitzins um 4,5 Prozent angezogen hat, stieg die Garantierendite der Betreiber nur um zwei Prozent. Im Sommer dieses Jahres wird die Garantierendite wohl nochmal angehoben werden – und damit auch die Strompreise. Verursacherin ist die EZB.
Der direkte Weg
Nicht nur Firmenkredite werden teurer, wenn die Zinsen steigen, sondern auch private Kredite. Für Immobilien. Für Autos. Oder auch wenn man das Konto überzieht, um seinen Alltag bis zum Monatsende zu finanzieren. Diese höheren Kosten schmerzen genauso wie teurere Butter oder steigende Mieten. All das verringert schließlich die Kaufkraft. Anders als Butter und Miete werden die Kreditkosten aber bei der Berechnung der Inflationsrate außenvorgelassen. Die Menschen zahlen also mehr für Kredite, haben weniger Geld für anderes, aber an der Inflationsrate ändert das genau nichts.
Der formale Grund: Die Inflationsrate soll die Preise für Konsumausgaben abbilden und nicht die Finanzierungskosten. Kredite und Konsum hängen aber direkt zusammen. Jeder siebte Deutsche nutzt den Dispo mehr oder weniger regelmäßig, um seinen Alltag zu bezahlen, sprich: Butter einzukaufen oder die Miete zu überweisen. Je teurer der Dispo, desto weniger Kaufkraft bleibt für Butter und Miete.
Gleiches gilt für den Immobilienkredit. Rund sieben Millionen Haushalte haben Immobilienkredite. Also fast jeder fünfte Haushalt in Deutschland. Dahinter stehen rund 1,5 Billionen Euro an Kreditsumme und eine durchschnittliche Zinsbindung von etwas mehr als zehn Jahren. All jene, die vor zehn Jahren zu ein bis zwei Prozent finanziert haben, musste zuletzt für drei bis fünf Prozent neue Verträge abschließen. Das entspricht im ungünstigsten Fall einer Verfünffachung der Zinslast. Wer davon betroffen ist, verliert deutlich mehr Kaufkraft für Buttereinkäufe, als die offizielle Inflationsrate ausweist. Ein blinder Fleck.
Johannes Schwanitz, Professor von der Fachhochschule Münster, hat für den Wirtschaftsdienst mal ausgerechnet, wie die Inflationsrate aussähe, wenn man allein nur die höheren Zinsen für Immobilienkredite berücksichtigen würde. Ergebnis: Die Zinskosten würden rund zwei Prozent des Warenkorbes ausmachen und die Inflationsrate um 1,8 Prozentpunkte erhöhen. Wohlgemerkt: Das ist gerechnet unter der Annahme, dass die volle Erhöhung der Immobilienzinsen innerhalb eines Jahres durchschlägt. Wegen der durchschnittlichen Zinsbindung von etwas mehr als zehn Jahren würde der volle Effekt einer Zinserhöhung auch erst danach voll zu Buche schlagen. Trotzdem zeigt die Rechnung, wie groß der blinde Fleck ist, hinter dem die EZB als Verursacherin von Preiserhöhungen steckt. Würde man gar alle anderen privaten Kredite berücksichtigen, die von Zinssteigerungen betroffen sind, würde der blinde Fleck noch größer.
Hinter höheren Zinsen steckt so viel mehr, als in der Debatte besprochen wird. Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten schließen von hohen Zinsen immer erstmal nur auf sinkende Nachfrage, eine stotternde Wirtschaft und dadurch fallende Preise. Das ist aber eben nicht der einzige Wirkungskanal. Und noch nicht mal einer, der bei einem Preisschock verlässlich funktioniert!
Man kann nur immer wieder mit dem Kopf schütteln das so nicht im ARD/ZDF darüber gesprochen wird. So lange werde ich dich weiterempfehlen!
. . . klasse pointiert, stimmt (leider) alles! ;-)