Erbschaftsteuer: Die Schlupflöcher der Milliardäre
Wie sich Reiche armrechnen, um Milliarden an Steuern zu sparen. Eine exklusive Leseprobe aus "Blackbox Steuerpolitik" von Julia Jirmann
“Julia Jirmann kennt die Tricks der Reichen und die Schlupflöcher im Steuersystem. Schonungslos, aber leicht verständlich, deckt sie in ihrem Buch beides auf und entlarvt dabei viele verbreitete Mythen. Blackbox Steuerpolitik sollte man gelesen haben!” - Maurice Höfgen
Dass das Umverteilungspotenzial der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht ausgeschöpft wird, liegt nicht allein an den niedrigen Steuereinnahmen. Vielmehr resultieren Ineffizienz und Ungerechtigkeit aus der Regressivität der Steuer. Obwohl die Steuersätze theoretisch mit der Höhe des Vermögens steigen, zeigt sich in der Praxis ein anderes Bild: Wer besonders viel erbt oder geschenkt bekommt, zahlt im Ergebnis einen besonders niedrigen Steuersatz. Im Gegensatz dazu werden kleinere, steuerpflichtige Erbschaften oberhalb der Freibeträge verhältnismäßig höher besteuert.
Wie kann das sein? Der Grund dafür sind weitreichende Privilegien und Gestaltungsmöglichkeiten für superreiche Firmenerben. Denn besonders große Vermögen bestehen typischerweise aus Unternehmensvermögen, und gerade diese sind großzügig von der Erbschaftsteuer ausgenommen.
Wer also einige Mietimmobilien oder Finanzvermögen erbt und dabei seine Freibeträge überschreitet, muss Steuern zahlen. Auf eine millionenschwere Unternehmensbeteiligung oder Anteile an einem Großkonzern fallen in der Regel keine oder kaum Steuern an, unabhängig davon, wie viel Gewinn das Unternehmen abwirft. Während die »armen« Reichen also Erbschaftsteuer zahlen, bleiben die Superreichen verschont. Die Voraussetzung für die hundertprozentige Steuerbefreiung auf das geerbte Unternehmensvermögen: Es darf mindestens sieben Jahre nach der Übertragung nicht verkauft werden, und ein Großteil der Arbeitsplätze muss in dieser Zeit erhalten bleiben.
Allein im Jahr 2023 erhielten 26 »bedürftige« Beschenkte und Erben Steuererlasse von insgesamt 2,1 Milliarden Euro.
Größte Steuersubvention für Firmenerben
Dabei sind die möglicherweise verfassungswidrigen Steuerprivilegien für die Allgemeinheit insgesamt sehr teuer. In regelmäßigen Abständen muss die Bundesregierung einen Überblick über sämtliche gewährte Subventionen geben.
Die Ausnahmen für Firmenerben stehen auf dieser Liste seit der Einführung im Jahr 2009 immer an aller erster Stelle. Der Staat verzichtet demnach jährlich auf 5 bis 10 Milliarden Euro. Der Großteil dieser Subventionen landet allerdings nicht bei den vielen Tausend kleinen Handwerks- oder Bäckereibetrieben, sondern bei wenigen Großerben.
Über zwei Drittel der Milliarden-Subventionen landete jährlich bei gerade einmal rund 300 Personen – überwiegend waren sie männlich und wohnten nahezu ausschließlich in Westdeutschland. Ihren Vorsprung zum Rest der Gesellschaft, insbesondere gegenüber kleineren Unternehmern, können sie dadurch immer weiter ausbauen. So verkehrt sich das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer ins Gegenteil. Es gilt: Wer hat, dem wird gegeben.
Wann ist ein Milliardär bedürftig?
Das Bundesverfassungsgericht hat die Privilegien bei der Erbschaftsteuer bereits mehrfach für verfassungswidrig erklärt. Zuletzt mahnte das Gericht im Jahr 2014, dass die Ausnahmen für Unternehmensvermögen zu großzügig seien und gegen den Gleichheitsgrundsatz verstießen. Eine Befreiung über kleine und mittlere Unternehmen hinaus sei »ohne Bedürfnisprüfung unverhältnismäßig«, so das Urteil.
Daraufhin musste der Gesetzgeber, wie bereits zuvor im Jahr 2009, erneut nachbessern. Aufgrund wirksamer Lobbyarbeit wurden allerdings nur wenige »echte« Korrekturen am Gesetz vorgenommen und sogar neue Sonderregelungen zugunsten von Großerben geschaffen.
Bei der Überarbeitung des Gesetzes im Jahr 2016 durch die große Koalition aus Union und SPD wurde zunächst eine Obergrenze für die Steuerbefreiung eingeführt. Seitdem kann eine hundertprozentige Befreiung ohne weitere Prüfung nur noch erhalten, wer weniger als 26 Millionen Euro Unternehmensvermögen erhält. Die Grenze erneuert sich alle zehn Jahre und gilt grundsätzlich pro Schenkung beziehungsweise Erblasser.
Mit der Obergrenze wurde aber gleichzeitig eine neue Ausnahmeregelung eingeführt: Die sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung. Demnach können Erben und Beschenkte von Vermögen mit einem Wert von mehr als 26 Millionen Euro statt der Steuerbefreiung nun einen Erlass der Steuer erhalten. Voraussetzung dafür ist, dass sie »bedürftig« sind.
Nach dem neuen Gesetz gilt als »bedürftig«, wer außer begünstigtem Unternehmensvermögen kein weiteres Vermögen hat, um die Steuer zu zahlen – zumindest nicht am Tag der Erbschaft oder Schenkung. Gewinne oder Dividenden, die nach dem Stichtag aus dem geerbten Unternehmen zufließen, bleiben dabei außer Acht. Und falls weiteres Privatvermögen vorhanden sein sollte, muss das auch nur zur Hälfte für die Steuerzahlung eingesetzt werden – das übrige Vermögen wird verschont.
Dass die Prüfung dem Stichtagsprinzip folgt und nur auf die Erben abstellt, nicht aber auf die potentiellen Gewinnausschüttungen des geerbten Unternehmens, führt zu einem absurden Ergebnis: Je wertvoller das Erbe, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Erben bedürftig sind, und umso niedriger ist letztlich der Steuersatz. Denn umso mehr Vermögen müsste der oder die Unternehmensnachfolger vorhalten, das nicht irgendwo betrieblich gebunden ist.
Hinzu kommt, dass diese sogenannte Verschonungsbedarfsprüfung viele Möglichkeiten zur Gestaltung bietet. Wo große Unternehmensvermögen sind, sind immer auch Beratungsfirmen. Dort sind ganze Abteilungen auf steuerlich vorteilhafte Unternehmensnachfolgen spezialisiert. Und das zahlt sich bei der Erbschaftsteuer besonders aus, denn die Bedürftigkeit der Nachfolger kann herbeigeführt werden – ganz legal.
Große Vermögen werden in Deutschland zum überwiegenden Teil verschenkt und nicht vererbt, wodurch der ideale Zeitpunkt der Weitergabe gut geplant werden kann. So kann beispielsweise das Privatvermögen, mit dem eigentlich die Steuer bezahlt werden müsste, rechtzeitig in Vermögen umgewandelt werden, für das sich das Finanzamt nicht interessiert. Dazu wird das vorhandene Privatvermögen in begünstigte Unternehmensanteile investiert – denn das ist ja das Vermögen, das von der Steuer geschützt werden soll. Nach dem Stichtag der Schenkung können die Anteile bei Bedarf auch wieder verkauft werden, ohne dass das zu einer Forderung seitens des Finanzamtes führt.
Die Bedürftigkeitsprüfung schafft zudem Anreize, Betriebsvermögen gezielt auf Kinder und junge Erwachsene zu übertragen. Diese haben zwar möglicherweise (noch) keine aktive Rolle im Unternehmen, vielleicht noch nicht einmal einen Schulabschluss, aber sie sind »geeignete« Nachfolger, weil sie zu arm sind, um die Steuer zu zahlen.
Stiftung statt Steuer
Der Trend für die unternehmerische Nachfolgeplanung geht aber zu einem anderen Modell: die sogenannte privatnützige Familienstiftung. Anders als man es bei dem Wort Stiftung vermuten könnte, sind diese Vehikel nicht gemeinnützig, sondern dienen ausschließlich privaten Zielen. Dazu zählt insbesondere, den Fortbestand des eigenen Unternehmens und das Wohl der eigenen Nachkommen über den eigenen Tod hinaus langfristig abzusichern. In diesem Fall halten die Erben das Unternehmen nach der Übertragung nicht direkt, sondern über die Stiftung, als sogenannte Destinäre, sprich: Begünstigte. Und als Begünstigte erhalten sie die potentiellen Gewinne des Unternehmens.
Bei der sogenannten Verschonungsbedarfsprüfung hat die Familienstiftung einen großen Vorteil: Damit der Erlass der Erbschaftsteuer (hier sog. Erbersatzsteuer) gewährt wird, müssen nicht die Begünstigen ihre Vermögensverhältnisse offenlegen und nachweisen, dass sie »bedürftig« sind, sondern die Stiftung selbst. Wird also in die Stiftung kein weiteres Vermögen eingelegt, ist sie bedürftig. Zwar kann es sein, dass das Unternehmen an sich über Vermögen verfügt, das nicht betriebsnotwendig ist und deshalb für die Steuerzahlung genutzt werden müsste, aber auch hier gibt es eine Lösung: Das Vermögen im Unternehmen kann häufig gut geplant »wegstrukturiert« werden. Nicht zuletzt deshalb dürfte die Zahl der privatnützigen Familienstiftungen aktuell sehr stark zunehmen.
Übrigens: Während bei der Vermögensteuer Lobbyorganisationen vor hohen Erhebungskosten im Verhältnis zu den Steuereinnahmen warnen, wird hier die Ineffizienz in Kauf genommen. Denn die Ausnahmen für Firmenerben bedeuten letztlich nichts anderes als Erhebungskosten ohne Steuereinnahmen. Das Finanzamt muss zunächst das übertragene Unternehmen bewerten und die Erbschaftsteuer berechnen, um sie letztlich nach weiterer Prüfung der »Bedürftigkeit« weitgehend wieder zu erlassen
Steuererlasse in Milliardenhöhe
Allein im Jahr 2023 erhielten 26 »bedürftige« Beschenkte und Erben Steuererlasse von insgesamt 2,1 Milliarden Euro. In diesen wenigen Fällen wurden insgesamt Vermögen von schätzungsweise mehr als 7 Milliarden Euro weitergereicht. Auf die Milliardenvermögen mussten sie durchschnittlich gerade einmal rund 0,1 Prozent Steuern zahlen und damit deutlich weniger als die Erben kleinerer Vermögen oberhalb der Freibeträge.
Dem eigentlichen Ziel der Erbschaftsteuer, Einnahmen von den steuerlich Leistungsfähigsten zu generieren und die Konzentration von Vermögen in den Händen weniger zu verhindern, wird mit diesen Regelungen entgegengewirkt.
Es ist davon auszugehen, dass die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts bei ihrem letzten Urteil wohl eine andere Vorstellung von Bedürftigkeit der Erbenden hatten als die letztlich zu Gesetz gewordene. Viele Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die Neuregelung des Gesetzes nach wie vor verfassungswidrig ist. Derzeit beschäftigt sich das Gericht zum dritten Mal mit den Ausnahmen für Firmenerben.
Subventionen gefährden Arbeitsplätze
Aber wie haben es diese Regelungen ins Gesetz geschafft? Natürlich wird die steuerliche Sonderbehandlung für Vermögende nicht damit begründet, dass Reichen besondere Privilegien zustehen, sondern mit den Interessen der Allgemeinheit. Die Politik hat die Drohung der Unternehmenslobby in die Gesetzesbegründung aufgenommen: Eine höhere Erbschaftsteuer für Firmenerbende würde den deutschen Mittelstand belasten und zahlreiche Arbeitsplätze und Investitionen gefährden. Einen Beleg dafür konnte weder die Lobby noch die Politik anführen.
Ganz im Gegenteil sieht der wissenschaftliche Beirat des Finanzministeriums – ein Gremium aus rund 50 unabhängigen Professorinnen und Experten – in den Steuerausnahmen für Unternehmensübergänge Gefahren für die Allgemeinheit. Gleiches bescheinigen der Internationale Währungsfonds (IWF) und die OECD.
Demnach kann die Subvention mit der Gießkanne langfristig zu Arbeitsplatzverlusten führen, statt diese zu erhalten, und zudem kann sie Innovation ausbremsen.86 Schließlich werden Erbende willkürlich subventioniert, unabhängig von ihren unternehmerischen Fähigkeiten. Und dass Großerben nicht immer fleißig, unternehmerisch begabt, gesellschaftlich verantwortungsbewusst und innovativ sind, ist realistisch – und wurde auch in Untersuchungen belegt. Studien aus Dänemark, den USA, Frankreich, Deutschland und Großbritannien konnten zeigen, dass die Erben von Familienunternehmen im Schnitt schlechtere Unternehmenslenkende sind als externe Manager. Die Unternehmen entwickeln sich im Durchschnitt schlechter und die Wahrscheinlichkeit einer Insolvenz steigt, wenn der Famillienspross die Geschäfte weiterführt – mit negativen Folgen für die gesamte Wirtschaft.
Innovative Nichterben, die unternehmerisch tätig werden wollen, werden demgegenüber benachteiligt. Außerdem kann es durch die Ausnahmeregelungen zu sogenannten Lock-in-Effekten von Kapital kommen, da Erben Steuern zahlen müssen, wenn sie das geerbte Unternehmen verkaufen, aber keine, wenn sie das Unternehmen behalten. Das kann dazu führen, dass eigentlich sinnvolle und gewünschte Verkäufe unterbleiben, lediglich um Steuern zu sparen. Die pauschalen Subventionen können so notwendige Veränderungen in den Unternehmen und den gesamtwirtschaftlichen Strukturwandel bremsen.
Kurzum: Die aktuelle Praxis fördert vorrangig Besitzstandswahrung statt Unternehmertum und Fortschritt. Das alles spricht natürlich nicht gegen jegliche staatliche Unterstützung und Förderung der Unternehmensnachfolge innerhalb der Familie, es stellt jedoch milliardenschwere Subventionen infrage.
Sollte ein Unternehmen langfristig in einer wirtschaftlichen Schieflage stecken, ist es nicht Aufgabe der Steuerpolitik, es durch Subventionen künstlich am Leben zu erhalten.
Finanzierungshilfen statt Steuergeschenke
Statt durch Steuerbefreiungen sollte der Staat Erben über Finanzierungshilfen fördern. Ein geerbtes Firmenvermögen ist nicht gleich Cash auf der Bank – und deshalb sollte es auch nicht gleich behandelt werden. Falls die Erben die Steuer nicht aus ihrem Privatvermögen begleichen können und sich daraus Liquiditätsprobleme für das Unternehmen ergeben, soll die Steuer über viele Jahre verteilt aus den Unternehmensgewinnen gezahlt werden können: Ähnlich einem Kredit, den Nichterben für Investitionen aufnehmen und abzahlen müssen, wenn das bereits versteuerte Arbeitseinkommen nicht ausreicht. Die Ratenzahlung sollte ohne besondere Voraussetzungen möglich sein.
Da sich die Höhe der Erbschaftsteuer nach dem Unternehmenswert bemisst, der wiederum auf Gewinnprognosen basiert, ist es unwahrscheinlich, dass eine angemessene Erbschaftsteuer die Vermögenssubstanz eines gesunden Unternehmens gefährdet. Sollte ein Unternehmen langfristig in einer wirtschaftlichen Schieflage stecken, ist es nicht Aufgabe der Steuerpolitik, es durch Subventionen künstlich am Leben zu erhalten.
Was das konkret für Erbende bedeutet, lässt sich berechnen
Angenommen auf eine Erbschaft eines Multi-Millionenvermögens liegt der Steuersatz bei 25 Prozent, und die Steuer kann über 20 Jahre verteilt werden. Dann liegt die jährliche Belastung des Vermögens bei 1,25 Prozent. Bezogen auf eine typische Rendite des Unternehmens nach Unternehmenssteuern von beispielsweise 5,5 Prozent bedeutet das eine laufende Belastung des Ertrags von 22,7 Prozent. Das heißt, die Erben können fast 80 Prozent der jährlichen Gewinne behalten. Nach 20 Jahren gehören ihnen die Gewinne dann vollständig.
Interessant und wichtig. Ergänzung:
1. Bei weitem nicht alle „armen Reichen“ zahlen den eigentlich vorgesehenen Erbschaftsteuersatz. Nur, wenn versäumt wurde, die legalen Gestaltungsfreiräume geschickt zu nutzen. Die Differenz heißt zu Recht „Dummensteuer“.
2. Das Gejammere des Mittelstands“, eigentlich der „Mittelstandsvereinigung“, die im wesentlichen Großunternehmen vertritt, kann mit Verweis auf die USA sofort ad absurdum geführt werden. Dort gibt es hohe Freibeträge, um den wahren Mittelstand zu schützen, aber danach erreicht man sehr schnell den Spitzensteuersatz von 40% (federal law). Viele Bundesstaaten erheben zusätzliche Erbschaftsteuern. Von einer Pleitewelle aufgrund dieser Erbschaftsteuern hat man nie etwas gehört.
Die Logik hinter den Erklärungen ist doch bestechend einfach. Steuern haben einen Zweck. Und um die Konzentration der Vermögen und damit auch der Macht im Staate zu beschränken, müssen diese Mechanismen eingebaut werden. Es ist doch nicht neu, dass eine große Ungleichheit zu einer Gefährdung der Demokratie führt. Siehe USA. Danke Maurice für die kurze Zusammenfassung. Im übrigen geht es bei der Besteuerung von Superreichen doch auch um die Gleichstellung von allen Erben. Privilegien finden immer irgendwen der oder die sie erklären, ein Geschmäckle haben sie allemal.