Habecks Kurswechsel: Braucht es also doch ein echtes Konjunkturpaket?
Die Wirtschaft kriselt, aber die Regierung scheut ein echtes Konjunkturpaket, weil sie die Inflation missversteht. Nur bei Habeck hat es Klick gemacht.
Diese Pointe hatte wohl keiner auf dem Bingo-Zettel: Christian Lindner wird zum Degrowth-Minister. Die deutsche Wirtschaft schrumpft nämlich dieses Jahr wieder. Um 0,4 Prozent, schätzt Habecks Wirtschaftsministerium; um 0,5 Prozent, schätzt der IWF; um 0,6 Prozent, schätzen die führenden deutschen Wirtschaftsinstitute in ihrer Gemeinschaftsdiagnose.
Trotzdem scheut die Ampel ein klassisches Konjunkturpaket. Also eines, das den Leuten mehr Geld in die Taschen bringt und die Nachfrage ankurbelt. Auch die Ökonomenzunft ist zurückhaltend, selbst die Gewerkschaftsökonomen. Sie liegen alle falsch – und haben die nackten Konjunkturzahlen gegen sich. Nur bei Habeck hat es zuletzt Klick gemacht, offensichtlich.
Warum die Ampel gegen ein Konjunkturpaket ist
Finanzminister Lindner will sein Image vom Schuldenmacher loswerden. Das kommt bei der FDP-Klientel nicht gut an. Hat er zu Beginn seiner Amtszeit noch die Schuldenbremse ausgesetzt und viel Geld für Entlastungspakete und den Doppelwumms bereitgestellt, will er jetzt auf Biegen und Brechen zurück zur Schuldenbremse. Darum wurden etwa für den nächsten Haushalt die Ausgaben um 30 Milliarden Euro gekürzt. Darin sieht Lindner seinen Beitrag zur Inflationsbekämpfung – und eine Unterstützung der Zinspolitik der Zentralbank. »Wir können nicht auf Dauer Politik auf Pump machen und dürfen die Inflation nicht mit neuen schuldenfinanzierten Staatsausgaben befeuern«, so Lindner zuletzt auf Twitter – und gefühlt in jedes Mikrofon, das ihm vor die Nase gehalten wird.
Gleichzeitig spricht er davon, »Wachstumsbremsen« lösen zu wollen. Etwa mit den sieben Milliarden Steuersenkungen für Unternehmen namens »Wachstumschancengesetz«. Oder mit nebulösen Bekenntnissen zum Abbau von Bürokratie. Oder mit dem Verzicht auf Steuererhöhungen – während er gleichzeitig die Mehrwertsteuer auf Gas, Fernwärme und Speisen in der Gastro zum Jahreswechsel anhebt. Kurz: Lindner ist gefangen zwischen liberaler Klientelpolitik und Schuldenbremse.
Nicht viel anders klingt allerdings der Bundeskanzler Olaf Scholz. »Schuldenmachen ohne Ende löst unsere Probleme nicht, schafft aber neue«, so der Kanzler im Interview mit der Welt am Sonntag. Weiter: »Es geht darum, die Wachstumsdynamik unseres Landes zu entfalten«. Darin liege die Stärke des Wachstumschancengesetzes, so Scholz.
Heißt übersetzt: Auch er will kein Geld unter die Leute bringen, weil er fürchtet, das heize die Inflation an. Auch für ihn ist die Einhaltung der Schuldenbremse eine Imagefrage. Auch er spricht wie Lindner nur darüber, dass Unternehmen entlastet, Bürokratie abgebaut und Genehmigungen beschleunigt werden sollen. Kein Wort zur miesen Konsumlaune, kein Wort zu mangelnder Binnennachfrage. Im Gegenteil: Scholz lobt sogar bei jeder Gelegenheit die Zentralbank dafür, den Zins so »konsequent« angehoben zu haben. Obwohl offensichtlich ist, dass das Gift für die Konjunktur ist.
Die Haltung von Scholz ist keine Einzelmeinung in der SPD. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, sagte etwa dem Handelsblatt: »Die Rufe nach breit angelegten Konjunkturprogrammen gehen am Problem vorbei«. Nicht anders klingt der SPD-nahe Gewerkschaftsökonom Sebastian Dullien, Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung: »Wir brauchen ein stabiles Umfeld, kein Konjunkturpaket«, so Dullien im Capital-Interview.
Habecks später Kurswechsel
Kommen wir zum Dritten im Ampel-Bunde: Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen. Im Frühjahr erklärte er, was es jetzt brauche, sei eine »transformative Angebotspolitik«. Damit will er sagen: Er ist gegen klassische Konjunkturprogramme, die die Nachfrage erhöhen, aber auch gegen typisch-liberale Angebotspolitik, die die Produktionskosten senken. Vielmehr will er die Produktionskosten nur für grüne und digitale Wirtschaftsbereich senken, etwa mit einem rabattierten Industriestrompreis, Subventionen für die Ansiedlungen von Chipfabriken oder schnelleren Genehmigungen für den Bau von Windrädern.
Fairerweise muss man sagen: Damals ging Habeck noch von 0,4 Prozent Wachstum in 2023 aus. Die Minusprognosen kamen erst im Sommer. Aber: Auch als er die BIP-Zahlen für das zweite Quartal kommentierte, blieb er auf der Lindner-Scholz-Linie. Und zwar sagte Habeck:
»Klassische Konjunkturprogramme, die einige jetzt reflexartig fordern, helfen nicht weiter. Wer in Zeiten hoher Inflation Geld mit der Gießkanne verteilt, bringt nur eines zum Wachsen: die Inflation. Im schlimmsten Fall haben die Leute am Ende weniger Geld in der Tasche, nicht mehr.«
Über das Statement kann man sich lange den Kopf zerbrechen, weil es so schräg ist. Woher zum Beispiel kommt die Theorie, dass die Leute durch Konjunkturprogramme sogar ärmer werden? Und wo war Habeck, als Preisbremsen, Tankrabatt und 9-Euro-Ticket die Inflationsrate gesenkt haben? Aber egal, zumindest für den Moment. Denn mittlerweile spricht er anders.
Letzte Woche, als er seine neue Minus-Prognose vorstellte und kurz darauf bei Sandra Maischberger eingeladen war, schlug er andere Töne an. Töne, die sich anhören, als sei ein Konjunkturpaket vielleicht doch nicht so verkehrt.
»Wir müssen in der Binnennachfrage stärker werden, wir müssen die Leute in Deutschland in Konsumlaune bringen, wir müssen ihnen genug Geld geben, dass sie es ausgeben können, der Staat muss Investitionsmöglichkeiten schaffen und so weiter.«
Hier habe ich das Interview bei Maischberger übrigens kommentiert.
Die Zahlen: Binnennachfrage am Boden
Warum Habeck mit seiner jüngsten Position richtig liegt und alle anderen falsch, beweisen die nackten Zahlen. Der private Konsum liegt in Deutschland am Boden, entwickelt sich sogar schlechter als bei unseren europäischen Nachbarn und fällt im Vergleich zur USA bemerkenswert ab.
Das bestätigen auch die Umfragen des Marktforschungsinstituts GFK. Die Konsumlaune ist seit fast zwei Jahren im Keller. Der Grund ist schnell gefunden: Die Menschen können sich weniger leisten, weil der Preisschock die Kaufkraft gefressen hat. Die Reallöhne sind letztes Jahr um vier Prozent gefallen. Ganz offensichtlich waren die sonst so hochgelobten Entlastungspakete der Ampel nicht groß genug. Ein anderer Schluss verbietet sich mit Blick auf die Zahlen.
Wer noch mehr Zahlen braucht: Der preis- und saisonbereinigte Umsatz im Lebensmitteleinzelhandel liegt heute zehn Prozent unter dem Vorkriegsniveau vom Februar 2022 und 14,4 Prozent unter dem Niveau vom Februar 2021. Im Jahr 2016 waren die Umsätze zuletzt so schlecht wie heute. Die Leute tragen so viele Produkte aus den Aldis und Edekas des Landes wie 2016.
Und was für Supermärkte gilt, gilt auch für Restaurants und Kneipen. Der preis- und saisonbereinigte Umsatz im Gastgewerbe liegt heute rund zwölf Prozent unter dem Niveau von 2019. Wenn das kein Konjunkturprogramm rechtfertigt, was dann?
Ja, die deutsche Wirtschaft leidet unter hohen Zinsen, hohen Energiekosten und schleppenden Exporten. Und auch unter unnötiger Bürokratie sowie lahmen Prozessen und fehlendem Personal in Behörden. Das ist alles richtig. Aber die deutsche Wirtschaft leidet gerade auch an einer toten Binnennachfrage. Daran, dass die Menschen zu wenig Kaufkraft haben und zu wenig Geld ausgeben. Und das ändert man nicht mit einem Wachstumschancengesetz und auch nicht mit Bürokratieabbau, sondern mit Konjunkturpaketen. Also: mit mehr Geld und höheren Staatsausgaben.
Übrigens: Das Wachstumschancengesetz, von dem sich Scholz und Lindner so viel versprechen, soll laut Simulationen vom Verband der forschenden Pharmaunternehmen die reale Wirtschaftsleistung im Jahr 2024 gerade einmal um läppische 0,07 Prozent ankurbeln. Ein Scheinriese!
Versteckt hinter Schuldenbremse, Scheinriesen und Inflationsmythen
Auch ist die Analyse von Lindner, Scholz und Habeck falsch, dass höhere Staatsausgaben die Inflation anheizen. Die Preise sind ja nicht gestiegen, weil die Wirtschaft vorher gebrummt hat (im Gegenteil: wir hatten Corona-Krise), sondern weil Energie- und Rohstoffpreise sich durch den Krieg verteuert hatten.
Gas und Strom sind aber an der Börse heute wieder so günstig wie 2021. Die Importpreise sind 16 Prozent unter Vorjahresniveau. Weder haben die Schulden für die Entlastungspakete, den Doppelwumms oder die Bundeswehr bisher die Preise nach oben getrieben, noch ist die Gefahr für neue Konjunkturpakete groß. Auch ein Blick in die USA sollte die Ampel genau das lehren: Dort hat der private Konsum wieder angezogen, ohne aber die Inflation erneut anzuheizen.
Viel eher schießt die Ampel ein Eigentor mit den geplanten Mehrwertsteuererhöhungen für Gas, Fernwärme und Speisen in der Gastronomie. Dadurch treibt sie nicht nur die Preise unmittelbar nach oben, weil die Steuer die Bruttopreise anhebt, sondern nimmt den Verbrauchern nächstes Jahr insgesamt rund zehn Milliarden Euro an Kaufkraft ab. Diese zehn Milliarden fehlen dann natürlich für den privaten Konsum. Vielleicht streift Lindner zwar so das Image vom Schuldenmacher ab, aber ob der FDP im Wahlkampf das Image eines Wirtschaftscrashers weiterhilft? Ich habe meine Zweifel.
Es ist bitter: Die Ampel traut sich kein Konjunkturpaket und versteckt sich hinter der Schuldenbremse, Inflationsmythen und Scheinriesen wie dem Wachstumschancengesetz. Dabei ist nicht einmal die Schuldenbremse ein gutes Versteck. Immerhin hatte die Ampel sich noch in ihren Koalitionsvertrag geschrieben, die sogenannte Konjunkturkomponente der Schuldenbremse zu reformieren (hier erklärt). Dafür bräuchte es nicht einmal eine Zweidrittelmehrheit, das könnte die Ampel sofort umsetzen, um ein paar Milliarden mehr auszugeben, ohne die Schuldenbremse zu reißen. Wo ein Wille, da ein Weg. Wie immer.
Ich vermisse – nicht nur in diesem Artikel – die grundsätzliche Kritik an dem Artikel 109 GG in seiner derzeitigen Fassung. Würde man diesen makroökonomischen Unsinn „Guthabenbremse“ nennen, wäre es mit dem Spuk ziemlich schnell vorbei. Denn wer will schon „Guthaben“ bremsen. Dass das Bremsen von „Guthaben“ oder „Schulden“, was ja nur zwei Seiten derselben Medaille sind, nicht einfach in das Belieben des Staates gestellt ist, muss viel stärker betont und im Bewusstsein der Bevölkerung verankert werden.
Wolfgang Stützel hat sich in seinem Buch „Volkswirtschaftliche Saldenmechanik“ mit volkswirtschaftlichen Zusammenhängen befasst, die nicht von – schwer vorhersehbarem – menschlichen Verhalten abhängig sind, sondern streng allgemeingültig sind, egal wie absonderlich und ungewöhnlich sich „die Menschen“ auch verhalten. In der Einleitung schreibt er auf Seite 2:
„So besteht zwischen der Wirtschaftstätigkeit des Herrn Schulze und der Tätigkeit aller übrigen Mitglieder der Weltwirtschaft außer zahllosen anderen Beziehungen auch noch der primitive Zusammenhang, dass stets, sooft Herr Schulze mehr verkauft und einnimmt als er selbst kauft und ausgibt, die „übrige Weltwirtschaft“ im gleichen Zeitraum einen gleichgroßen Überschuss Ihrer Käufe über Ihre gleichzeitigen Verkäufe haben wird, da offensichtlich jeder Verkaufsakt für den Partner einen Kaufakt darstellt. Man braucht, um derartige Zusammenhänge darzustellen, keine höhere Mathematik, es genügt, im Bewusstsein zu halten, dass eben auf dieser Erde stets 2 + 2 = 4 bleibt.
Man könnte vermuten, dass solche arithmetischen Zusammenhänge wie der unseres kleinen Beispiels stets so primitiv und so selbstverständlich sind, dass es gar nicht nötig ist, sie eigens zu erwähnen, geschweige denn zum Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung zu machen.
Prüft man aber Aussagen über volkswirtschaftliche Zusammenhänge etwas näher unter diesem speziellen Aspekt, dann muss man leider feststellen, dass gerade diese "primitiven" Zusammenhänge vielfach nicht beachtet werden.“ Soweit das Zitat von Wolfgang Stützel.
Erweitern wir das Beispiel von Herrn Schulze auf „alle privaten Haushalte in der Bundesrepublik“ so ergibt sich: „Stets wenn alle privaten Haushalte mehr verkaufen und einnehmen als sie selbst kaufen und ausgeben, wird „die übrige Weltwirtschaft“ im gleichen Zeitraum in derselben Höhe einen Überschuss ihrer Käufe über die Verkäufe haben.“
Was passiert, wenn jemand in der realen Wirtschaft ein Produkt, zum Beispiel ein Auto, kauft? In dem Moment, in dem der Kaufvertrag unterschrieben wird, entsteht eine Forderung des Autoverkäufers an den Kunden. Der Kunde hat eine Verbindlichkeit in derselben Höhe gegenüber dem Autoverkäufer. Das Geldvermögen des Verkäufers ist um den Preis des Autos gestiegen, das Geldvermögen des Käufers um den Preis des Autos gesunken. Hatte der Autokäufer vorher kein Geldvermögen hat er jetzt eine Verbindlichkeit (Schulden) in der Höhe des Kaufpreises des Autos.
An dieser Stelle ist es sinnvoll, an die genaue Definition von Geldvermögen zu erinnern:
Geldvermögen (einer Person, einer Gruppe, einer Firma) ist die Summe aus Zahlungsmitteln (Bargeld, Guthaben auf Girokonten) und eigenen Forderungen an den Rest der Welt vermindert um die Verbindlichkeiten gegenüber dem Rest der Welt.
Wenn Herr Schulze (und die Summe der privaten Haushalte in der Bundesrepublik), wie oben gezeigt, mehr einnehmen als sie ausgeben, heißt das, die Forderungen an den Rest der Welt nehmen zu. Sein Geldvermögen steigt. Gleichzeitig und in derselben Höhe nehmen jedoch spiegelbildlich die Verbindlichkeiten vom Rest der Welt gegenüber Herrn Schulze (und allen privaten Haushalten der Bundesrepublik) ebenfalls zu.
Die Verschuldung läuft somit automatsch ab. Und dieser Sachverhalt wird permanent bestritten und ausgeblendet. Politik und große Teile der Wissenschaft tun so, als sei es in das Belieben jedes einzelnen Wirtschaftssubjektes gestellt. Und dass das dann für alle Wirtschaftssubjekte gelte. Und das ist eben falsch. Es wird ausgeblendet, dass es einen unauflösbaren Zusammenhang zwischen Kauf und Verkauf gibt. Und zwischen Forderung und Verbindlichkeit.
Man könnte das als Streit um des Kaisers Bart abtun, wenn aus diesem falschen Verständnis heraus, nicht unheilvolle Rezepte für ganze Volkswirtschaften gestrickt würden.
Was sind Schulden? Davon kann man doch nur dann Sprechen, wenn jemand eine erhaltene Leistung mit Geld bezahlt, welches er von jemanden bekommen hat, der dieses Geld vorher mit erbrachter Leistung bekommen hat!
Das von Geldschöpfern mit Hilfe eines Buchungssatzes neu erzeugte Geld zur Bezahlung einer Leistungsschuld, Kredit genannt, ist eine "Geld-Schuld" gegenüber dem Nichts!
Unser Staat mit seinen Geld-Ausgaben, die er später via Steuereinnahmen reduziert, macht also Geld-Schulden beim Nichts mit Hilfe seiner Zentralbank. Das Nichts muss etwas Fürchterliches sein, dass unsere Regierung und unsere Politiker davor so viel Angst haben.
Wer jetzt zu der Erkenntnis kommt, dass dieses doch für alle Kredite gilt, ist einen Schritt weiter auf dem Weg des Erkennens!