So gefährlich ist der Rat von Hans-Werner Sinn
Er verkürzt die Geschichte zum Aufstieg Hitlers und empfiehlt Politik, die zu Massenarbeitslosigkeit und Deflation führte. Eine Leseprobe aus »TEUER!«
Ob Deutschland, Simbabwe oder bei anderen Hyperinflationen – immer wieder wird man feststellen: Am Anfang stand ein massiver Angebotsschock. Krieg, Embargos und Missernten sind der Stoff, aus dem Hyperinflationen gemacht sind. Der Schock löst ein regelrechtes Wettbieten um Knappheiten aus, die Verteilungskämpfe schaukeln die Preise immer schneller in immer neue Höhen – bis zum Tod der Währung.
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Ohne heftigen Angebotsschock ist eine solche Hyperinflation fast gar nicht möglich, selbst wenn der Staat Geld ausgeben würde, als gäbe es kein Morgen. Denn die zusätzliche Nachfrage würde erst die freien Produktionskapazitäten mobilisieren, dann Investitionen in zusätzliche Kapazität anreizen und erst am Ende zu allmählichen Preissteigerungen führen. Aber eben keine solchen Preissprünge verursachen.
Wichtig ist außerdem die zeitliche Abfolge bei Hyperinflationen: Die Inflationsursache, der Angebotsschock, kommt zuerst, das staatliche Defizit und die »Gelddruckerei« erst danach. Die Inflation verursacht also das Defizit und nicht das Defizit die Inflation – anders als von Monetaristen und Crashpropheten behauptet. Natürlich kann es falsch sein, wenn Regierungen sich in der Verzweiflung mit expansiven Ausgabeprogrammen an Symptomlinderung versuchen, allerdings wurde damit die Hyperinflation damit nur verschlimmert, nicht ausgelöst. Wenn steigende Ausgaben und steigende Löhne auf sinkende Produktion treffen, dann ergibt sich daraus ein klassischer Inflationscocktail. Wenn der Kuchen schlagartig kleiner wird, aber Nachfrage und Einkommen nominal wachsen, werden die Kuchenstücke logischerweise schlagartig teurer.
Der Ökonom Hans-Werner Sinn warnte in der Corona-Krise davor, dass Deutschland in eine Hyperinflation – vergleichbar mit der nach dem Ersten Weltkrieg – laufen könnte. Die neuen Staatsschulden, die niedrigen Zinsen und die großen Anleihekaufprogramme drohten sich »eines Tages inflationär zu entladen«. Und »wenn das passiert, ist hier der Teufel los«, so Sinn in einem Interview mit der »Neuen Zürcher Zeitung«. Was er mit Teufel meint, beschreibt er im Interview sehr deutlich: Im schlimmsten aller Fälle drohe infolge der Hyperinflation ein »neuer Hitler«. Harter Tobak, ja.
Zu dieser drastischen Warnung kommt er, weil er die Weimar-Inflation mit der heutigen vergleicht. Sinn sagt dazu: »Der deutsche Staat hatte sich im Krieg und in den schwierigen Jahren danach mit der Druckerpresse finanziert, denn die Reichsbank erwarb immer mehr von den zunächst am Markt verkauften Staatspapieren.« Das habe die Inflation immer mehr angeheizt und die Preise steigen lassen. Erst allmählich, dann galoppierend, und schließlich entstand eine Hyperinflation, die den Geldwert fast vollständig vernichtete, so Sinn. Dabei sei nicht nur der Geldadel verarmt, sondern auch der kleine Mittelstand. Weil er zu arm gewesen sei, um Aktien und Häuser zu besitzen. Sparguthaben und Lebensversicherung seien im Zuge der Hyperinflation wertlos geworden. »Zehn Jahre später haben sie Adolf Hitler zum Reichskanzler gewählt«, warnt Sinn.
»Ich sage nicht, dass so etwas wieder passieren wird. Aber wir müssen jetzt eine Politik machen, die das von vornherein verhindert. Es braucht engere Budgetbeschränkungen, man darf nicht mehr länger aus der Druckerpresse leben.«
Sinn forderte also eine Kehrtwende in der Corona-Politik: Schluss mit Schulden und Nullzinsen, Schluss mit der berühmten »Bazooka«-Politik, her mit einer neuen Sparpolitik – gegen den Rechtsruck.
Nicht auszumalen, Sinns Plädoyer für Sparpolitik wäre mitten in der Corona-Krise umgesetzt worden.
Deflation ist süßes Gift
Eine brandgefährliche Analyse, die auf einer Fehlinterpretation der Geschichte beruht – und zu fatalen Politikempfehlungen führt. Denn nicht das Chaos durch die Hyperinflation brachte den Rechtsruck, sondern die Massenarbeitslosigkeit und die tiefe Wirtschaftskrise unter Reichskanzler Heinrich Brüning. Als Adolf Hitler von Paul von Hindenburg im Januar 1933 zum Reichskanzler ernannt wird, liegt die Hyperinflation schon zehn Jahre zurück. Der Aufstieg der Nazis gelang in Zeiten der Deflation, nicht während der Inflation.
Grund für die Deflation waren die Weltwirtschaftskrise und die katastrophale Sparpolitik von Brüning. Um Deutschland aus der Krise zu befreien und den Reparationsforderungen nachzukommen, verpasste Brüning der Wirtschaft mit mehreren Notverordnungen eine einmalige Spartherapie. Renten, Krankenversicherung, Arbeitslosen- und Sozialhilfe – überall wurde rigoros zusammengestrichen. Im öffentlichen Dienst kürzte Brüning die Löhne um 25 Prozent. Insgesamt strich er die Staatsausgaben um satte 20 Prozent zusammen. Gleichzeitig erhöhte er die Sozialbeiträge und etliche Steuern, nicht zuletzt die Einkommensteuer um ganze 5 Prozent. Den Arbeitgebern erlaubter er, Löhne um die Hälfte zu kürzen. Im Dezember 1931 ordnete er gar an, Löhne, Preise und Mieten auf das Niveau von 1927 zu senken. Sein Ziel war es, die deutsche Produktion billig zu machen, um sie im Ausland zu verkaufen. Doch diese spezielle Therapie verschlimmerte die Krisensymptome!
Löhne sind eben nicht nur Produktionskosten, sondern auch Einkommen, mit denen die Menschen das nachfragen, was sie in den Fabriken und den Unternehmen produzieren. Was Brüning damals nicht verstand, verstanden auch Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und Christine Lagarde nicht, als sie Griechenland in den 2010er-Jahren eine ähnliche Sparpolitik verordneten. Wenn man den Menschen ihre Löhne kürzt, verlieren sie Einkommen. Dann schränken sie ihre Ausgaben ein, fragen also weniger Waren nach, die Unternehmen verlieren Umsatz und kürzen ihre Produktion. Wenn weniger produziert wird, werden nicht so viele Mitarbeiter benötigt und es folgt eine Entlassungswelle.
Sparpolitik setzt auf diese Weise eine deflationäre Abwärtsspirale in Gang, die in Pleitewellen, Armut und Massenarbeitslosigkeit mündet. So geschah es in Griechenland, so geschah es in der Weimarer Republik. In Deutschland fiel die Wirtschaftsleistung in den Jahren unter Brünings Führung um rund ein Drittel, die Industrieproduktion um etwas mehr als 40 Prozent – besonders betroffen waren die Industriestädte im Ruhrgebiet.
Die logische Folge: Die Arbeitslosigkeit stieg von 1,5 auf 6 Millionen an. Und das sind nur die offiziellen Zahlen, die tatsächliche Arbeitslosigkeit dürfte höher gelegen haben. Jeder dritte Erwerbstätige war ohne Job, fast jede Familie hatte im Durchschnitt ein arbeitsloses Mitglied. Auch der Außenhandel ging drastisch zurück. Bankkredite fielen aus, Bankhäuser und Unternehmen gingen reihenweise bankrott. Der Lebensstandard sank drastisch, soziales Leid breitete sich aus und führte zunehmend zu Unruhen.
Deflation hat einen besseren Ruf, als sie verdient.
Gewinn daraus schlug die NSDAP, die gegen Brünings Sparpolitik opponierte Profit. Hitler verstand genau, dass Brünings Politik ein Segen für die NS-Propaganda war. Die soziale Not war fruchtbarer Nährboden für den Aufstieg der Nazis. Vom September 1930 bis zur Wahl im Juli 1932 verdoppelten sie ihre Stimmen von 18 auf 37 Prozent. Gestartet waren sie 1928 bei gerade einmal 2 Prozent. Brüning und seine Sparpolitik wurden zu den Totengräbern der Weimarer Demokratie.
Nicht auszumalen, Sinns Plädoyer für Sparpolitik wäre mitten in der Corona-Krise umgesetzt worden. Das wäre ökonomischer und sozialer Sprengstoff gewesen, der am Ende – entgegen Sinns Analyse – gar der AFD in ihrer Opposition gegen Lockdowns, Masken und Impfstoffe in die Karten gespielt hätte. Wenngleich – das muss entkräftend dazu gesagt werden – die Wirtschaftskrise in den 1930er-Jahren anders und tiefer war als die ökonomischen Bodenverluste durch die Pandemie. Damals brach die Wirtschaft um sage und schreibe 15 Prozent ein, die Arbeitslosigkeit sprang von unter zwei auf rund sechs Millionen Arbeitslose und die Krise dauerte rund vier Jahre.
»Maurice Höfgen ist einer der wenigen Ökonomen in Deutschland, die bei diesem Thema auf der Höhe der Zeit sind und monetaristische Dogmen glaubhaft widerlegen kann.« - HEINER FLASSBECK, Professor und ehemals Chefökonom der UNCTAD
Deflation hat einen besseren Ruf, als sie verdient. Das liegt daran, dass die Geschichtsverkürzung von Hans-Werner Sinn unter den Deutschen weit verbreitet ist. Die Hyperinflation 1923 und die Massenarbeitslosigkeit 1932 sind in vielen Gedächtnissen zu einer einzigen Krise verschmolzen, wie eine repräsentative Umfrage von Dr. Nies Redeker vom Berliner Jacques Delors Centre 2019 zeigte.
Fast 40 Prozent der Befragten gaben an, bei der Weltwirtschaftskrise von 1932 an Hyperinflation und Währungsabwertung zu denken. Auf die Frage danach, wie hoch die Inflation 1932 war, gaben mehr als die Hälfte der Befragten an, die Inflation hätte über 10 Prozent gelegen. Fast jeder Sechste antwortete sogar, 100 Prozent oder mehr. Dabei herrschte eben Deflation, nicht Inflation. Lediglich 4 Prozent der Befragten antworteten korrekt. Dass die beiden Krisen zu einer verschmelzen, ist gerade deshalb fatal, weil es völlig gegensätzliche Krisen waren – und eben aus der Deflationskrise das größte deutsche Verbrechen an der Menschlichkeit erwuchs. Die Umfrage erklärt aber, warum die Gefahren der Inflation in Deutschland überschätzt und die der Deflation unterschätzt werden.
Im Buch geht es dann weiter mit dem Kapitel »BITCOIN: IM SCHNEEBALLSYSTEM GEGEN INFLATION SCHÜTZEN?«. Ab heute ist es überall erhältlich. Ich freue mich, wenn es weite Verbreitung findet, um die Mythen von Sinn & Co. zu entlarven.
Direkt bestellt. Danke fuer deine Arbeit!
Hi Maurice, danke für deine Arbeit hier und auch auf YT. Wird es eine kindle Version des Buches geben?