Heimliche Notlage für den Asylstopp?
Innenminister Dobrindt nutzt die Notstandsklausel, um deutsche Grenzen abzuschotten. Merz dementiert, die SPD schweigt: ein Skandal!
Keine drei Tage im Amt, schon herrscht Chaos in der Regierung. Es geht um die Ausrufung einer „nationalen Notlage“, um europäisches Asylrecht auszuhebeln und Asylsuchende an den Grenzen zurückzuweisen. Merz hatte schon im Wahlkampf angekündigt, die Notlagenklausel in den EU-Verträgen (Art. 72) für seine Asylwende zu nutzen – und macht jetzt ernst, ohne es offen zu kommunizieren.
Denn nachdem Welt-Journalist Robin Alexander berichtete, dass das Innenministerium die Botschafter der EU-Länder gestern kurzfristig zum Treffen geladen hat, um sie über den faktischen Asylstopp und die Anwendung der Notlage zu unterrichten, dementierte der Regierungssprecher von Kanzler Merz, Stefan Kornelius, die Ausrufung einer Notlage. Auch Merz selbst tat das bei seinem Antrittsbesuch in Brüssel noch als „Irritation“ ab.
Fakt ist aber: das Treffen und die Unterrichtung haben stattgefunden. Das bestätigte das Innenministerium gegenüber der BILD. Weil aber die SPD immer gegen die Notlage war und Klingbeil erzürnt und verwundert bei Merz angerufen haben soll, bleiben Merz und seinem Sprecher nur das harsche Dementi.
Notlage oder keine Notlage?
Was stimmt denn jetzt? Notlage oder keine Notlage? Die Antwort ist: Notlage. Aber sie wird eben nicht ausgerufen oder verkündet, sondern „heimlich“ angewendet. Der besagte Artikel 72 aus den Europäischen Verträgen, der deutsches über europäisches Recht stellt, wenn es um die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ und „den Schutz der inneren Sicherheit“ geht, muss nämlich gar nicht öffentlich ausgerufen werden. Das ist die rechtliche Spitzfindigkeit, wie auch Juraprofessor Daniel Thym im Podcast Ronzheimer erklärt. Niemand muss auf einen Balkon kommen und die Notlage ausrufen, wie man sich vielleicht bildlich vorstellt.
Und verklausuliert hat Innenminister Dobrindt die Notlage gestern bei Maybrit Illner zugestanden. Da sagte er, um das schärfere Grenzregime umsetzen zu können, sei "Paragraph 18, der einschlägige im Asylgesetz, den wir nutzen im Zusammenhang mit bilateralen Verträgen und auch in Verbindung mit Artikel 72". Und Paragraph 18 des deutschen Asylrechts sieht vor, dass Einreisen verweigert werden können, wenn die Menschen aus einem sicheren Drittstaat kommen. Das ist an deutschen Grenzen praktisch immer der Fall, da alle Nachbarstaaten als sicher gelten. Die europäischen Regeln sehen hingegen vor, dass zunächst geklärt werden muss, welcher Staat für das Asylgesuch des Migranten zuständig ist – ergo: die europäischen Regeln untersagen pauschale Zurückweisungen von Asylsuchenden, wie sie Dobrindt am Mittwoch bei der Bundespolizei angewiesen hat.
Im Klartext: Der Asylstopp der neuen Relegierung fußt faktisch auf der Notlage (Art. 72 AEUV), aber Kanzler Merz will es nicht zugeben, weil die SPD dann ihr Gesicht verliert – und die europäischen Nachbarn rebellieren würden.
Erst wenn vor dem Europäischen Gerichtshof (EUGH) gegen die Zurückweisungen geklagt würde, müsste die Regierung auf die Notlage nach Art. 72 verweisen und diese belegen. Das aber dürfte scheitern. Denn der EUGH hat in der Vergangenheit sehr restriktiv über diese Notlage geurteilt. Ungarn etwa muss heftige Strafen zahlen, weil sie – wie Merz jetzt – im Alleingang ihr nationales Asylrecht umgesetzt haben. Auch hat das Ministerium keine guten Argumente für eine Notlage. Die Asylanträge in Deutschland sind rückläufig. Im April gab es gerade einmal 8.840 Anträge, also 52 Prozent weniger als im Vorjahr, wie die Grafik eindeutig zeigt.
Und selbst auf Basis der Zahlen von 2024 ergibt sich für Deutschland keine Notlage. Ja, in Deutschland werden die meisten Asylanträge in der EU gestellt, aber Deutschland hat eben auch die größte Bevölkerung und die größte Wirtschaft. Auf 1.000 Einwohner kamen 2024 in Deutschland 2,8 Asylanträge. In Belgien waren es 3,3, in Spanien 3,4, in Griechenland sogar 7,0. Dass ausgerechnet Deutschland eine Notlage erklärt, kann und wird der EUGH also nicht akzeptieren.
Die Folgen des Alleingangs
Juristisch bedeutet das, dass der deutsche Innenminister das europäische Recht bricht und eben auch die Bundespolizisten an der Grenze zum Rechtsbruch angewiesen hat. Politisch sind die Konsequenzen aber noch viel größer. Der deutsche Alleingang kündigt die Solidarität und Loyalität in der EU endgültig auf. Weil die Botschaft ist: Sollen sich doch die (ärmeren und kleineren) Länder an der Außengrenze allein um die Asylsuchenden kümmern!
Jahrelange Verhandlungen zum gemeinsamen europäischen Asylsystem (GEAS) würden damit hinfällig. Österreich, die Schweiz und Polen haben den deutschen Alleingang längst scharf kritisiert (Premier Tusk in Polen sogar bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Merz) und angekündigt, von deutschen Bundespolizisten zurückgewiesene Asylsuchende nicht zurückzunehmen.
Die Frage stellt sich: Wie will Merz auf eine geeinte Europäische Union gegen Putin und Trump setzen, wenn er als erste große Amtshandlung die europäischen Vereinbarungen im Alleingang aufkündigt? Der Notlage-Move ist ein typischer Trump-Move, weil er geltendes Recht für populistische Politik überfährt – bis Gerichte das wieder kassieren.
Dazu ist es eine Scheinlösung für mehr Sicherheit. Erstens, weil mehr Bundespolizisten an den Grenzen weniger Bundespolizisten anderswo bedeuten – zum Beispiel an Bahnhöfen oder Flughäfen. Und zweitens, weil zurückgewiesene Asylsuchende im rechtlichen Niemandsland zwischen Deutschland und dem Nachbarland, das sie auch nicht aufnimmt, landen – und damit auf illegale Abwege gedrängt werden, etwa die Bundespolizei an grünen Grenzen zu düpieren.
Deutschland braucht mehr Integration – und nicht mehr Abschottung. Und schon gar keinen Kanzler, der sich wie Trump aufführt und die EU noch weiter auseinandertreibt.
Wow…da leistet die CDU ja trumpistische Arbeit…hoffen wir mal, dass wir in Deutschland nicht auch in Schockstarre verfallen und laut und aktiv werden gegen die importierten Project 2025 Ansätze.
Man kann wirklich nur hoffen das die Berliner Journalisten Blase den Kanzler nicht hofiert und diesen Rechtsbruch klarstellt. Nach so kurzer Zeit, so dramatische, Entscheidungen gegen Europa zu treffen ist frappierend. Die SPD sollte sich schämen einfach AFD Politik zu machen.