Man kann die AfD nicht kleinempören
Warum die Empörung von Spitzenpolitikern über die AfD-Wahl wohlfeil und gefährlich ist.
Gestern war ein Scheiß-Tag für die Demokratie. Das schmutzige Siegerlächeln von Höcke, Sesselmann und Chrupalla ist kaum auszuhalten. Dass dieser Tag kommen würde, war allerdings längst nur noch eine Frage der Zeit. Sich als Berufspolitiker (egal welcher Farbe) jetzt zu empören, ist wohlfeiler Gratismut. Überhaupt: Empören ist nicht die Aufgabe von Berufspolitikern. Und Empören hilft auch nicht gegen die AfD, im Gegenteil: es nützt ihr sogar. Protestwähler laufen doch nur zur AfD, weil sie die Berufspolitiker empören wollen.
Ihre Wahl ist ein Denkzettel, ein stummer Schrei von Verzweiflung, der sich gestern Bahn brach. Wenn die mächtigsten Politiker des Landes als Reaktion darauf einfach noch lauter EMPÖRUNG! darüber schreien, ist das erstens arrogant und egoistisch; und zweitens Wasser auf die Mühlen der AfD. Die kann sich nun besser als je zuvor als Außenseiter gerieren, als ausgegrenzte Stimme gegen das Establishment, gegen »die da oben«, »die aus Berlin« oder in Worten von Björn Höcke: »gegen das vereinte Altparteienkartell«.
Passenderweise sagte die Grüne-Landessprecherin Ann-Sophie Bohm: »Das Ergebnis entsetzt mich«. Dass Menschen offenkundig unzufrieden mit politischen Entscheidung seien, sei noch lange kein Grund, »den Kandidaten einer rechtsextremen Partei zu wählen«, so Bohm. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Aussage; erst recht, da die Thüringer AfD vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Auf den zweiten Blick ist die Aussage aber sinnbildlich für das Problem. Bohm spricht über ihre eigene Stimmung, sie selbst sei entsetzt. Dabei geht es in der Politik nicht um Politiker, sondern um die Stimmung der Wähler – also: sollte es zumindest. Wenn mehr als die Hälfte die AfD wählt, sind offensichtlich in erster Linie viele Wähler entsetzt, das sollte Bohm umtreiben, und nicht ihre eigene Gefühlslage.
Natürlich: Nicht alle AfD-Wähler sind Protestwähler. Ohne Zweifel sind darunter stramme Rechte und selbstredend ist das dramatisch, unmenschlich, geschichtsvergessen, widerwärtig. Nichts könnte mich selbst mehr abstoßen, während ich diese Zeilen schreibe. Trotzdem ist es falsch, eine solch große Wählerwanderung zu AfD mit rechter Gesinnung zu begründen. Der Aufschwung der AfD, vor allem im Osten, kommt nicht dadurch, dass die Wählerschaft einen rechten Sinneswandel vollzieht, sondern dadurch, dass sie sich von der zentristischen Politik der letzten 20 Jahre im Stich gelassen fühlt. Die Pandemie, der Krieg, die Sanktionspolitik und die Inflation haben Benzin auf dieses Feuer gegossen, haben die Risse, die schon da waren, aufplatzen lassen.
Eine Politik gegen die AfD ist keine, die sich selbst empört, sondern eine, die der breiten Masse ihre Gründe fürs Empören abnimmt.
Dass ausgerechnet jemand aus dem Flügel von Björn Höcke der erste AfD-Landrat der Bundesrepublik wird, kommt nicht von ungefähr. Höcke ist der eigentliche Chef der AfD, er hat das größte Netzwerk, er hat Querulanten außer Amt gebracht und er führt die Partei im Osten zu Umfrage- und leider am Sonntag auch zu Wahlrekorden.
2024 werden die Landesparlamente von Brandenburg, Sachsen und Thüringen gewählt. Sollte die unheimliche Erfolgswelle weitergehen, wird Höcke parteiintern unaufhaltsam. Die AfD macht das nur noch gefährlicher. Noch ist die AfD nämlich nationalkapitalistisch, Höcke will sie aber nationalsozialistisch machen. Er selbst ist ein nationalistischer Sozialpopulist, kritisiert den »Raubtierkapitalismus«, die Globalisierung, den Neoliberalismus und seine Folgen für Löhne, Renten und Investitionen. Höcke verspricht nicht nur Kulturkampf, sondern auch materielle Sicherheit für »die kleinen Leute«. Neben den Rechten und Entfremdeten zählen deshalb auch enttäuschte Rentner, Malocher, Gewerkschafter und Arbeitslose zu seiner Zielgruppe. Das Potenzial ist besorgniserregend.
Dagegen hilft nicht, wenn die »Altparteien« ihre Politik einfach nur besser erklären, wie häufig von Regierenden vermeintlich großzügig und verständnisvoll erklärt wird. Das ist ein Mythos. Auch sollte man sich nicht auf den rückwärtsgewandten Kulturkampf mit der AfD einlassen, sondern im Gegenzug ganz bewusst materielle Politik für die Protestwähler machen. Genau das wurde in der Krise vergeigt, obwohl es schon seit Jahren überfällig wäre. Und es wird in der Debatte um Klimaschutzmaßnahmen weiter vergeigt.
Ökonomische Sicherheit ist ein hohes Gut im Kampf gegen die AfD. Dazu zählen: Mehr Lohn, mehr Rente, mehr Bürgergeld, mehr Jobs, bezahlbare Wohnungen, günstiger ÖPNV, erschwingliche Lebensmitteleinkäufe und so weiter. Die AfD darf nicht die Brot- und Butterthemen gewinnen. Wenn sie die gewinnt, verliert der Klimaschutz, der kulturelle Fortschritt und im schlimmsten Fall die Demokratie selbst.
Eine Politik gegen die AfD ist keine, die sich selbst empört, sondern eine, die der breiten Masse ihre Gründe fürs Empören abnimmt. Es ist längst ein gefährlicher Wettlauf gegen die Zeit, gegen die Rechten und den Faschismus.
Gerade jetzt bräuchten wir eine starke Linke , eine sozialistisch- demokratische Partei.
Wärend sich meine Expartei (und ja das tut weh, bin ich als "jungfräulicher Wähler" bis heute ihr doch streng monogam treu gewesen) quasi selbst ins Aus schießt und in Bedeutungslosigkeit versinkt, macht die afd ein billiges Tor nach dem nächsten und holt über 50%.
In Thüringen obendrein.
Leider fällt die Linke gerade nicht durch innovative, soziale Politik auf, für die die Zeit reif ist wie nie, während die Schlangen vor den Tafeln Ausmaße annehmen wie vor den Suppenküchen der Weimarer Zeit , Schulen marode sind, pflegende Angehörige immer noch den versprochenen Lohn nicht bekommen uswusf ..sondern meint seltsame SW Schwurbeleien, mehr oder weniger offenen Antisemitismus, seltsame identitätspolitische Debatten, und auch neuerdings offen menschenfeindliche Äußerungen wie von Bernd R. über reiche Leute sich leisten zu können.
So froh ich bin, weil ausgetreten, mich nicht mehr distanzieren zu müssen, so sauer macht das "Theater" mich doch
Wir haben keine Zeit für so einen Blödsinn.
Soll wieder mal eine total zerstrittene, mit sich selbst befasste linke Bewegung nicht eingreifen (obwohl alle im Land, naja 99% - nach linker Politik gieren)
und in Bewegungslosigkeit und Wehklagen das Erstarken der Faschisten begleiten?
Mein PoWi-Studium lässt mich zwar an dem Begriff der Protestwähler zweifeln, aber der Heraushebung der materialistischen Grundprobleme stimme ich jubelnd zu, inklusive der vorgeschlagenen Lösung. Die Ampel und ihre Sparpolitik befeuern den Aufstieg der AfD.