Einer kann im Stadion aufstehen, um mehr vom Spielfeld zu sehen. Wenn alle aufstehen, sieht keiner mehr. Einer kann Geld sparen, um sich in Zukunft mehr zu leisten. Wenn alle sparen, bricht die Wirtschaft zusammen. Zu denken wie ein Makroökonom ist logisch, aber nicht gerade intuitiv. Und in Deutschland auch nicht gerade weit verbreitet. Man lernt es ja auch nicht, weder in der Schule noch in der Uni.
Deshalb: Hier fünf goldene Regeln, die jeder kennen sollte – und die immer gelten, sogar unabhängig von der ökonomischen Denkschule.
#1 Die Ausgaben des einen sind die Einnahmen eines anderen
Wenn ich Brötchen bei Bäcker Lutze kaufe, sind meine Ausgaben seine Einnahmen. Wenn der Staat eine Schule baut, sind die Ausgaben des Staates die Einnahmen der Baufirmen. Klingt trivial, wird aber häufig missachtet. Dabei folgt daraus eine ganze Menge.
Ausgaben kurbeln die Wirtschaft an, sorgen also dafür, dass produziert wird. Entweder direkt, wenn Schulen gebaut werden, oder indirekt, wenn Mütter vom Kindergeld im Supermarkt einkaufen. Wenn Finanzminister Lindner Sparpolitik ausruft und die Ausgaben des Staates kürzen will, dann heißt das: irgendwer verliert seine Einnahmen. Das wiederum schadet der Wirtschaft.
Das Gleiche gilt übrigens, wenn wir privat sparen. Sparen heißt ja: man gibt weniger aus, als man eingenommen hat. Damit saugt man Geld aus dem Wirtschaftskreislauf, das dann wem anders fehlt. Zum Beispiel Bäcker Lutze, der dadurch weniger Brötchen verkauft – und am Tag danach weniger produziert.
Wir können das noch weiter denken. Wenn einer weniger ausgibt, als er einnimmt, nimmt jemand anderes weniger ein, als er ausgibt. In anderen Worten: Wenn einer spart, muss sich wer anders verschulden. Das sind zwei Seiten einer Medaille. Die große Frage ist immer: Wer spart und wer verschuldet sich?
#2 Die Geldschulden des einen sind die Geldvermögen eines anderen
Wie hoch sind die Nettoschulden der Welt? Mehrere Milliarden? Vielleicht sogar Billionen? Nein. Die Antwort kann nur lauten: Die Nettoschulden der Welt sind genau gleich null. Wie sollte es auch anders sein? Geldschulden und Geldvermögen sind ebenfalls zwei Seiten einer Medaille.
Bei jedem Kredit entstehen eine Forderung und eine Verbindlichkeit. Der Kreditgeber schreibt den Kreditbetrag gut (Verbindlichkeit) und kann die Rückzahlung einfordern (Forderung). Der Kreditnehmer bekommt die Gutschrift (Forderung) und schuldet die Rückzahlung (Verbindlichkeit). Heißt: Die Forderung (Geldvermögen) des einen ist die Verbindlichkeit des anderen (Geldschulden) – und andersherum.
Bei jedem Kredit werden in gleicher Höhe Geldschulden und Geldvermögen geschaffen. Die Nettobilanz bleibt gleich. Wenn ein Kredit getilgt wird, wird auch Vermögen getilgt. Häufig werden Schulden per se verteufelt, das macht wenig Sinn. Die Frage ist: Wer macht wofür Schulden und kann er sie in Zukunft begleichen? Welche Schulden gut oder schlecht sind, kommt also immer darauf an.
#3 Die Exporte des einen sind die Importe eines anderen
Wie hoch ist die Handelsbilanz der Welt? Gut, den Witz hab ich schon verbraucht, ist ja gut. Null – natürlich!
Deutschland hat zum Beispiel einen großen Exportüberschuss. Es verkauft also mehr an das Ausland, als es von da einkauft. Das bedeutet: Deutschland bekommt mehr Geld aus dem Ausland, als es selber in das Ausland schickt. Deutschland sammelt Forderungen gegen das Ausland und das Ausland Geldschulden gegenüber Deutschland.
Können alle Länder der Welt einen Exportüberschuss erzielen? Nein. Nicht jeder kann mehr an seinen Nachbarn verkaufen, als er von dort einkauft. Die Welt als Ganzes kann also keinen Exportüberschuss haben. Der Exportüberschuss des einen ist der Importüberschuss des anderen. Damit Deutschland Exportweltmeister sein kann, muss wer anderes Importweltmeister sein.
Zumindest solange wir nicht zum Mars exportieren! ;-)
#4 Herausgeber ≠ Nutzer
Ein Staat und ein Steuerzahler agieren unter völlig gegensätzlichen Prämissen. Der Staat gibt seine eigene Währung heraus, der Steuerzahler nutzt die Währung des Staates. Ebenso wie ein Fußballverein, der Tickets ausgibt, und ein Stadionbesucher, der die Tickets nutzt. Oder das Kino und seine Besucher. Aber bleiben wir beim Staat.
Ein Steuerzahler muss erst die Währung des Staates einnehmen, bevor er damit seine Steuern zahlen kann. Einnehmen kommt vor Ausgeben. Je mehr (weniger) er einnimmt, desto mehr (weniger) kann er ausgeben.
Für einen Staat mit eigener Währung gilt das nicht. Ein Staat muss logischerweise erst seine Währung erzeugen und ausgeben, bevor er dieselbe wieder über Steuern einnehmen kann. Denk an das Gesellschaftsspiel Monopoly. Wenn die Bank vor Spielbeginn kein Startgeld verteilen würde, könnte keiner der Spieler Zahlungen an die Bank leisten. Oder an das Stadion. Wenn der Verein keine Tickets ausgegeben hätte, könnte er auch am Einlass keine einsammeln. Ausgeben kommt logischerweise vor Einnehmen. Herausgeber sind nicht durch Einnahmen beschränkt, ob Staat, Verein oder Kino. Sprich: Ein Staat braucht nicht das Geld seiner Steuerzahler, sondern die Steuerzahler das Geld des Staates, um es auszugeben.
Der geläufige Begriff »Steuerzahlergeld« ist deshalb Unsinn. Staatliches Geld gibt es, aber kein »Steuerzahlergeld«.
Moment! Ist das nicht diese Denkschule mit dem Namen »Modern Monetary Theory (MMT)«, von der ich hier rede? Ja und nein. Ja, diese rein logische Einsicht ist ein Startpunkt der MMT, aber eben längst nicht alles. Nur weil einem Staat mit eigener Währung dieselbe nicht ausgehen kann, ist ja noch nichts darüber gesagt, wann welche Ausgaben wofür gut sind – oder nicht. Wann sie zum Beispiel dafür sorgen, dass der Wohlstand wächst und wann sie Nebenwirkungen wie Inflation mit sich bringen.
Wir sollten also darüber diskutieren, wofür ein Staat wie viel ausgibt. Nicht, ob er genug Geld für seine Ausgaben aufbringen kann. Die erste Frage ist politisch, die zweite unlogisch.
#5 Was für einen gilt, gilt nicht für alle
Ich muss das Bespiel nochmal wiederholen: Einer kann im Stadion durchs Aufstehen seine Sicht verbessern, nicht alle. Einer kann mit Kursgewinnen beim Bitcoin Geld verdienen, nicht alle. Einer kann im Casino am Pokertisch gewinnen, nicht alle. Was für einen gilt, gilt nicht für alle. Vom Einzelnen aufs Ganze zu schließen, führt in die Irre. Man nennt das im Englischen die »Fallacy of Composition«.
Der Ökonom John Maynard Keynes übertrug das seinerzeit aufs Sparen. Einer kann sparen, um für die Zukunft vorzusagen, aber eben nicht alle. Denn wenn alle sparen, sinkt das Einkommen und dann gibt es nichts mehr, wovon man sparen kann. Ein wichtiges Argument gegen liberale Träume von einer echten Aktienrente (nicht zu verwechseln mit dem Generationenkapital, darauf trifft das Paradoxon nicht zu, wie ich in diesem Artikel erklärt habe).
Hier erkennt man den Unterschied zwischen mikroökonomischen und makroökonomischen Denken. Mikroökonomisch ist intuitiv, so denken wir im Alltag – und das ist auch rational und richtig so. Makroökonomisch ist nicht intuitiv. Und makroökonomisch ließe sich auch unser Alltag nicht bewältigen. Es ist schon besser, im Stadion aufzustehen und im Brandfall den nächsten Notausgang zu nehmen.
Wir haben nur ein Problem: Unser Finanzminister denkt viel zu oft mikroökonomisch, sollte aber makroökonomisch denken. Und von der Opposition wird er viel zu selten makroökonomisch herausgefordert. Weil Politiker selten gute Makroökonomen sind. Schade eigentlich, ist das doch für gute Politik besonders wichtig!
Makroökonomisches Denken sollte in Schulen gelehrt werden, damit wir als Gesellschaft unsere politischen Debatten besser geführt bekommen. Das Problem: Führte man Wirtschaft als Fach ein, dominierte hundertpro die Mikroökonomie. Warum also nicht als Logik-Problem in Mathe einbringen?
Ich würde so gerne was total schlaues und niveauvolles schreiben, aber ngl - ich muss den Artikel wohl noch ein paar mal lesen, um mir ne Meinung dazu zu bilden. Es ist so traurig - ich studiere BWL im 5. Semester, und trotzdem gibt es noch so viele an sich logische Zusammenhänge, die sich für mich nicht ganz erschließen. Und das macht dann Diskussionen mit den Profs oder anderen ein bisschen schwierig.
Insofern bleibt mir erstmal nur ein fettes Dankeschön dazulassen! Du machst mir das BWL-Studium um einiges angenehmer und interessanter - und verständlicher. Dankeschön für deine Arbeit!!
Lieber Maurice, ein toller Beitrag dessen Daten jedem Politiker bekannt sein müßten!
Deine Beschreibung der Identität #2 ist allerdings für den Kredit nicht geeignet. Hier gehört ein Darlehen hin. Kredit ist sachlich falsch. Die Buchung der Bank beim Kredit ist rechtlich unzulässig und wird von Wirtschaftsprüfern einfach akzeptiert.
Ganz nebenbei, es gibt keine "Nettobilanz". Eine Bilanz ist immer ausgeglichen. Mit desem "Trick" erzeugt die Bank beim Kredit ihr "Vermögen = Kreditforderung" und ihre "Schulden = Verbindlichkeit (das ist das Vermögen des Kreditnehmers)". Du vergleichst aber das Vermögen der Bank mit den Schulden der Bank unter der Prämisse Forderungen = Verbindlichkeiten. Mit dieser Methode könnte jeder von uns ein riesiges Vermögen generieren wenn wir gleichzeitig zugeben, dass wir auch gleich viel Schulden haben (bei wem denn?).
Zur Prämisse #4 habe ich weiter oben oder unten schon meine Anmerkungen gemacht.
Nochmals Danke für deine notwendigen Ausführungen zu eigentlich simplen und logisch für jeden verständlichen Regeln unseres Geldsystems.