Kampfjets oder Kindergrundsicherung, Herr Scholz?
Der Kanzler will die Aufrüstung bald aus dem normalen Haushalt bezahlen. Dann droht der Kürzungshammer für Klimaschutz und Sozialstaat.
Scholz’ Zeitenwende wird zum Kürzungshammer. Das hat der Kanzler in seinem neusten Interview unmissverständlich zu verstehen gegeben. »Mein Ziel ist es, dass wir nach dem Auslaufen des Sondervermögens die Ausgaben für die Bundeswehr aus dem allgemeinen Haushalt finanzieren«, sagte Scholz der Süddeutschen Zeitung am Wochenende. Weil er gleichzeitig zur Schuldenbremse schweigt, ist die Folge klar: Dann fehlt Geld für andere Dinge. Mehr Kampfjets, weniger Kindergrundsicherung, weniger Klimaschutz.
Der zweite bemerkenswerte Satz: Mit Widerstand aus der Bevölkerung rechnet er hingegen nicht. »Wenn wir zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung ausgeben, um unsere Sicherheit zu bewahren, Frieden, Demokratie, Rechtsstaat und unseren Wohlstand zu sichern, verstehen das die allermeisten, davon bin ich überzeugt«, so Scholz. Steile These, wenn man sich kurz daran erinnert, dass Agrardiesel-Kürzungen von weniger als einer Milliarde zuletzt die Bauernproteste ausgelöst haben.
Zumal die Dimensionen hier ganz andere sind als beim Agrardiesel. Wenn das Sondervermögen 2028 verbraucht ist, aber zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Aufrüstung fließen sollen, sprechen wir von rund 90 Milliarden Euro. Das sind 40 Milliarden Euro mehr als dieses Jahr für Verteidigung eingeplant sind – und dann für andere Dinge fehlen. Und das jedes Jahr. Dagegen war das jüngste Urteil aus Karlsruhe gegen die 60 Milliarden im Klimafonds ein Pappenstiel!
Es drohen »Brutalitäten in den Sozialsystemen«
Kein Wunder also, dass Scholz’ Genosse Pistorius, der Verteidigungsminister, verzweifelt ist. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz gestand er auf offener Bühne: »Ich weiß nicht, wo wir das Geld finden, aber wir brauchen es«. In kleinerer Runde, so zitiert ihn der Spiegel, soll er dann sowohl die Schuldenbremse als auch Christian Lindner attackiert haben.
Pistorius fürchte einen harten Verteilungskampf zwischen den Ressorts der Bundesregierung, solange die Schuldenbremse nicht aufgehoben werde. »Ich glaube, dass die Schuldenbremse eine fatale Wirkung in dieser Phase unserer Republik hat«, so Pistorius. »Sie verhindert, dass wir uns in der Sicherheitspolitik so aufstellen, wie wir müssten«. Er hat recht. Das Gleiche gilt aber auch für Klimapolitik. Oder Infrastruktur im Allgemeinen. Das hätte er ruhig dazusagen können.
Zudem soll er verraten haben, dass Finanzminister Lindner in internen Runden bereits »Brutalitäten in den Sozialsystemen« eingefordert habe. Auch dazu kann man nur sagen: Kein Wunder. Nicht anders klingen Markus Söder oder Friedrich Merz bei dem Thema. Zur Erinnerung: Söder hat vor kurzem noch bei Markus Lanz gefordert, beim Heizgesetz und Bürgergeld zu sparen, um in deutsche Flugzeugträger zu investieren (Kostenpunkt: rund 100 Milliarden Euro, wenn man die notwendige Infrastruktur und Betriebskosten hinzurechnet).
Anders als Scholz warnt Pistorius vor solchen Kürzungen, weil sie drohten, »diese Gesellschaft auseinanderzujagen«. Wieder ein Punkt für Pistorius. Nur scheint sein Kanzlergenosse eben nicht so zu denken. Scholz wischt das hingegen einfach vom Tisch. Der Kanzler fordert Verzicht für Aufrüstung und das nach vier Jahren Dauerkrise, geschrumpften Reallöhnen, lahmender Wirtschaft und der AfD im Umfragehoch. Ist das eigentlich nur naiv oder schon ignorant?
Ehrlich wird die Debatte aber erst, wenn auch die ökonomischen Folgen einer Politik, die Klima und Soziales gegen Aufrüstung ausspielt, mit auf den Tisch kämen.
Kampfjets schaden der Konjunktur
Auch für die Konjunktur ist Aufrüstung zulasten von Klima und Sozialem in mehrfacher Hinsicht eine Hiobsbotschaft. Denn während die Gelder für die Kindergrundsicherung, das Bürgergeld oder den Heizungstausch in die Geschäfte getragen werden und dort für zusätzliche Nachfrage sorgen, landen Rüstungsmilliarden zum großen Teil im Ausland. Allein zehn Milliarden fließen beispielsweise für atomfähige F-35-Kampfjets an den amerikanischen Rüstungshersteller Lockheed Martin. Davon hat die deutsche Konjunktur genau nichts.
Und selbst wenn die Gelder an Firmen in Deutschland fließen, zum Beispiel an Rheinmetall oder Airbus, entstehen damit keine Produkte, die uns reicher machen. Kampfhubschrauber und Panzer steigern zwar das Bruttoinlandsprodukt, aber nicht den zivilen Wohlstand. Die Ingenieure und Handwerker wären für Windkraftwerke, E-Autos und Wärmepumpen deutlich besser eingesetzt.
Der Widerspruch ist offensichtlich: Scholz, Lindner und Söder klagen jeden Tag über fehlende Fachkräfte (manchmal gar, wenn auch fälschlicherweise, über fehlende Arbeitskräfte), aber verschweigen, dass Aufrüstung das Fachkräfteproblem vergrößert, erst recht in einer alternden Gesellschaft.
Mit Blick auf die Welt als Ganzes wird die Verschwendung noch viel deutlicher: Wenn alle aufrüsten, um einander abzuschrecken, werden auf der ganzen Welt Arbeitskräfte, Rohstoffe und Emissionen in Produktion gesteckt, die keinen zivilen Wohlstand bringen. Man stelle sich die Schlagzeilen vor, Ökonomen würden mal zusammenrechnen, was dadurch an Wohlstand verschwendet wird.
Trotzdem kann es für einzelne Staaten durchaus rational sein, aufzurüsten. Die Ukraine etwa wäre ohne eigene Armee (und Hilfen aus dem Westen) von Russland überrannt worden. Militärausgaben rechnen sich also erst, wenn damit die eigenen Grenzen und das eigene Volk geschützt werden, sprich: sie rechnen sich nur im Extremszenario. Das gleiche gilt aber auch für andere Schutzmaßnahmen, etwa medizinische Ausrüstung gegen Pandemien oder Hilfsmaterial bei Sturmfluten. Auch die Vorratshaltung lohnt erst, wenn sie gebraucht wird. Deshalb ist die Frage, wie weit die Aufrüstung in Deutschland jetzt gehen muss, allein ökonomisch nicht zu beantworten.
Natürlich haben Olaf Scholz und andere Befürworter der Aufrüstung nach Putins Überfall auf die Ukraine und Trumps Drohung, den Nato-Beistand nicht einzuhalten, gute Argumente auf ihrer Seite. Ehrlich wird die Debatte aber erst, wenn auch die ökonomischen Folgen einer Politik, die Klima und Soziales gegen Aufrüstung ausspielt, mit auf den Tisch kämen. Und wenn all jene, die Geld für Kampfjets statt für Klima und Kinder fordern, nie wieder behaupten, das größte Problem der deutschen Wirtschaft seien faule Arbeitslose oder ineffiziente Bürokratie.
Ist das für Scholz nicht längst beschlossene Sache. SPD hat heute kein Gespür, kein Gefühlt, und keine Verantwortung für die soziale Frage.
Mit dem Widerstand kann Scholz aber Recht haben. Bauernproteste wurden durch massives Anheizen der Milliardeschweren Lobby möglich. Arme Menschen haben in diesem Land keine Lobby.
Ja, ja, der russische Überfall auf die Ukraine.
Ich empfehle "Thomas Palley – Europe’s foreign policy has been hacked and the consequences are dire" https://braveneweurope.com/thomas-palley-europes-foreign-policy-has-been-hacked-and-the-consequences-are-dire
Der erste Teil einer deutschen Übersetzung findet sich auf Telepolis hier: https://www.telepolis.de/features/Hacking-Europas-Aussenpolitik-wurde-von-den-USA-gekapert-die-Folgen-sind-fatal-9631313.html?seite=all
So lange sich Bundesregierungen den USA mit Sätzen wie "Je stärker Deutschland dient, umso größer ist seine Rolle" als US-Vasallen andienen, so lange ist Hopfen und Malz verloren. Zumal die veröffentlichte Meinung keine wirksame Kritik an dem Dominanzstreben der USA, welches einer der wesentlichen Gründe für den Krieg in der Ukraine ist, zulässt, wenn man von dem tumben Trump-Bashing einmal absieht.