Kindergrundsicherung wackelt: Der große Flop der Lisa Paus
Das Gesetz ist auf der Zielgeraden, doch Jobcenter, Kommunen und der Bundesrat gehen auf die Barrikaden. Und das zurecht!
Auf Lisa Paus lastet großer Erfolgsdruck. Sie ist als Familienministerin angetreten, um Kinderarmut zu bekämpfen. Die Grünen nennen es das wichtigste sozialpolitische Vorhaben der Legislatur: die Kindergrundsicherung. Was Paus als Reformriesen angekündigt hat, ist längst zu einem Reformzwerg verkommen, der spätestens seit letztem Freitag zusammengeschlagen in der Ringecke liegt. Ob der noch mal auf die Beine kommt?
Wie schon vor zwei Wochen bei der Expertenanhörung im Bundestag gab es auch bei der letzten Bundesratssitzung haufenweise Nackenschläge für die Pläne von Paus. Anders als im Bundestag hat die Ampel im Bundesrat keine eigene Mehrheit, ist also auf Stimmen der Union angewiesen. Nichts könnte schwieriger sein.
Mehr als hundert Seiten Änderungsanträge hagelte es in der letzten Sitzung. Am Ende kam eine Stellungnahme des Bundesrates heraus, die vollgepackt war mit Kritik. Selbst die grüne Sozialministerin auf Schleswig-Holstein, Aminata Touré, hat gemeckert. Dazu diverse Protestschreiben von den Jobcentern, Sozialverbänden und dem Städtetag.
Und dann ist da noch CDU-Chef Merz, der das Schuldenurteil aus Karlsruhe zum Anlass nimmt, um die Kindergrundsicherung komplett streichen zu wollen. Teure Bürokratiemonster, poltert Merz, seien jetzt nicht mehr drin.
»Weil Paus sich von Lindner kleinverhandeln lässt und die Bürokratie an der Lebenswirklichkeit vorbei plant, droht auch der kleinste Fortschritt noch im Papierkorb des Bundesrates zu verrotten.«
Schon gegen Scholz und Lindner musste Paus viele Kröten schlucken und hat in Verhandlungen den Kürzeren gezogen. Wie soll sie jetzt nur gegen diese neue Allianz aus den Ländern ankommen?
Kinderarmut bleibt
Im Grunde hat die Kritik, die auf Paus einprasselt, zwei Seiten. Eine von Sozialverbänden und Linken; eine von Praktikern und der CDU.
Die eine Kritik ist: Das Geld reicht nicht, um Kinderarmut wirklich zu bekämpfen. Statt den von Paus geforderten zwölf Milliarden Euro mehr pro Jahr gibt es gerade einmal etwas mehr als zwei. Und davon landet allein Viertel der Summe, etwa eine halbe Milliarde, in der Behördenbürokratie – statt bei armen Kindern. In Deutschland sind aber 4,45 Millionen Personen unter 25 Jahren arm. Mit dem läppischen Betrag ändert Paus die Armutsquote höchsten in der dritten Stelle hinter dem Komma. Für mehr Wirkung bräuchte es auch mehr Geld.
Paus schafft teuren Behörden-Ping-Pong
Die andere Kritik, von Praktikern und der CDU, geht so: Paus schafft ein Bürokratiemonster, das den Familien das Leben erschwert, nicht erleichtert. Gemeint ist vor allem die neue Behörde „Familienservice“, die Paus unter dem Dach der Bundesagentur für Arbeit errichten will. 5.300 neue Stellen sind dafür geplant. Die Bundesagentur selbst klagt deshalb seit Monaten, die neue Behörde ließe sich nicht zum Jahresbeginn 2025 errichten, das sei unrealistisch.
Bisher läuft es so: Arme Familien stellen beim Jobcenter ihren Antrag auf Bürgergeld. Wenn es darüber hinaus Gelder braucht, etwa für ein krankes Kind, ist ebenfalls das Jobcenter zuständig. Nach Paus‘ Plan sollen die Eltern ihr Bürgergeld auch weiterhin vom Jobcenter bekommen, nicht aber ihre Kinder (bis zu 25 Jahren), für die ist der neue "Familienservice" zuständig.
Was oberflächlich toll klingt, bringt aber erhebliche Probleme in der Praxis. Denn Kindern sind arm, weil ihre Eltern arm sind. Wieso also Kinder und Eltern auf verschiedene Behörden verteilen? Die Eltern haben im Jobcenter feste Berater, die die Familie und die Vorgeschichten kennen, also am besten helfen können. Es schadet eher, diese Kontakte aufzubrechen und den Familien neue Berater vor die Nase zu setzen.
Zumal die Jobcenter in der lokalen Daseinsvorsorge fest verankert sind. Mehr als 1.000 Jobcenter gibt es bundesweit, mit Beratungsstellen in allen Städten; Familienkassen (bzw. zukünftig: „Familienservice-Stellen“) hingegen nur 100. Beratung vor Ort ist also mit Paus‘ Plan gar nicht überall möglich. Und 900 neue Stellen zu eröffnen, eine Parallelstruktur zu gründen, kann wohl keiner ernsthaft erwägen.
„Die Auswirkungen werden verheerend sein“
Die Trennung von Kindern und Eltern ist auch bürokratischer. Jobcenter und Familienservice sind gegenseitig auf Informationen angewiesen. Etwa, weil die Kindergrundsicherung auf das Bürgergeld der Eltern angerechnet wird. Und wenn es neben der Kindergrundsicherung noch zusätzliche Gelder braucht, etwa wegen Krankheit, ist auch in Paus‘ Plan weiterhin das Jobcenter gefragt.
Viele Familien haben es künftig also mit zwei Behörden zu tun statt mit einer. Und wenn die Kommunikation zwischen den beiden nicht klappt, fließen Gelder zu spät oder zu viel – und müssen dann schmerzhaft später zurückgezahlt werden. Frust und Ärger sind so vorprogrammiert.
Nils Wohltmann, ein erfahrener Sozialberater der Berliner Diakonie, hat deshalb in der Süddeutschen seine Befürchtung so ausgedrückt: "Für die Familien, die jetzt Bürgergeld bekommen und kein oder kaum Einkommen haben, wird es der Horror". Die Familien bekämen im Ergebnis keine höheren Sozialleistungen, sondern nur andere; dafür aber weniger Beratung und mehr Bürokratie.
Ähnlich äußern sich der Städtetag und die kommunalen Spitzenverbände. Die Personalräte der deutschen Jobcenter kommen in ihrem Protestschreiben zu dem Fazit: „Für Familien, die bisher Bürgergeld beziehen, werden die Auswirkungen der Kindergrundsicherung in der jetzigen Konzeption verheerend sein“.
Die Quittung dafür zahlen die Kinder. Seit Jahren trommeln Sozialverbände für eine echte Kindergrundsicherung. Weil Paus sich von Lindner kleinverhandeln lässt und die Bürokratie an der Lebenswirklichkeit vorbei plant, droht auch der kleinste Fortschritt noch im Papierkorb des Bundesrates zu verrotten. Bitter!
Sehr interessant. Ich bin mit dem Thema Sozialleistung nicht so vertraut (bin eher bei Inflation und Geldmenge zu Hause) aber so wie du das beschrieben hast, wäre das ja eine völlig sinnfreie Struktur. Nur eines ist mir nach der Lektüre noch nicht klar - warum macht die Paus das denn mir den zwei Ämtern? Es gibt doch sicherlich einen Grund warum sie das so konzipiert hat, (also zumindest wenn man mal unterstellt das es ein Minimum an praktischen Überlegungen gab)?
Besser kann man das Desaster nicht beschreiben.