Kühnert-Comeback: Weniger Amt, mehr Macht?
Kevin Kühnert wird Steuer-Lobbyist bei Finanzwende. Warum die neue Rolle besser zu ihm passt
Es gibt sie noch, die guten Nachrichten. Kevin Kühnert feiert Comeback. Nicht in der Parteipolitik, sondern bei der Bürgerbewegung Finanzwende. Dort wird er Bereichsleiter für Steuer, Verteilung und Lobbyismus. Also: Lobbyist. Einer aber, der sich für die Mehrheit einsetzt, nicht für Klientelgeklüngel. Die Mehrheit, die häufig stumm und unsichtbar in öffentlichen Debatten ist und deren Interessen meist hintangestellt werden.
“Ich will meinen Teil dafür leisten, dass Finanzwende zu einer mächtigen Gegenspielerin der Finanzlobby wird, mit klaren Forderungen, fundierten Analysen und einer starken Stimme in der Öffentlichkeit”, so Kühnert in der Pressemitteilung. Mit Finanzwende kämpfe er dafür, dass Steuer- und Finanzpolitik wieder im Sinne dieser Menschen gestaltet wird – und nicht länger im Interesse derer mit den eh schon größten Möglichkeiten.
Kühnert kann jetzt sagen, was ist – und was sein soll.
Glückwunsch, kann man da nur sagen. Zuerst an Kühnert und dann an uns Politik-Interessierte. Denn das Statement lässt erahnen: Kühnert will zurück in die Talkshows. Und zwar in jene, die Ungleichheit zum Thema machen. Allerdings ohne die Zwänge und Zurückhaltung, die die Rolle als SPD-Generalsekretär von ihm verlangte. Ein großer Vorteil!
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Ein Schritt zurück, zwei nach vorne?
Formal hat Kühnert mit seinem Rücktritt aus dem SPD-Vorstand und dem Verzicht auf ein neues Mandat im Bundestag an Macht verloren. Als Generalsekretär war er allerdings in eine Rolle gepresst, die von ihm zuweil verlangte, Pressesprecher der zankenden Ampel zu sein. Man hatte den Eindruck: Klartext-Kühnert kommuniziert mit angezogener Handbremse. Stets bedacht um das Gesicht von Olaf Scholz und den Frieden in der Ampel. Was für ihn und seine Professionalität spricht wohlgemerkt.
Aber natürlich: Der Generalsekretär Kühnert war nicht mehr der Rote-Socken-Kampagne-Kühnert. Der, der damals Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans gegen Olaf Scholz und Klara Geywitz an die Parteispitze hievte. Damals ein großer Erfolg und eine historische Chance. Doch die blieb letztlich ungenutzt. Ein paar Jahre später war Scholz Kanzler, Geywitz Bauministerin und Kühnert eben jener Generalsekretär.
Die SPD von innen und aus einem hohen Amt heraus auf links zu drehen, das hat er nicht geschafft. Trotz kluger Strategien, guter Auftritte und einem Einsatz, der Respekt und Anerkennung verdient. Und der ihm offensichtlich ein Jahr wohlverdiente Pause abverlangte. Genau deshalb aber ist die neue Rolle bei Finanzwende eine große Chance.
Die Rolle gibt ihm neue Freiheit und nimmt ihm alten Druck. So viel Freiheit und so wenig Druck hatte er selbst als Juso-Chef nicht. Kühnert kann jetzt sagen, was ist – und was sein soll. Seine scharfsinnigen Analysen vortragen, ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten. Seine mutigen Reformvorschläge machen, ohne Rücksicht auf Parteiprogramme. All seine rhetorischen Fähigkeiten einsetzen, um Talkshowkontrahenten alt aussehen zu lassen. Und damit die öffentliche Debatte so stark beeinflussen, dass er faktisch mehr Macht dazu gewinnt, als er formal vor einem Jahr aufgegeben hat.
Kurzum: Ich freue mich und schöpfe neue Hoffnung. Ihr auch?

