Kürzungen so tödlich wie schäbig
Die Regierung will die Entwicklungshilfe kürzen. Ein großer Fehler, zumal in dieser Weltlage
Sie reden von globaler Verantwortung – und kürzen am Elend der Welt. Wenn Finanzminister Klingbeil (SPD) am morgigen Dienstag seinen Haushaltsentwurf im Kabinett präsentiert, trifft der Rotstift nicht nur die Jugendhilfe oder das Bürgergeld, sondern auch die Entwicklungshilfe. Union und SPD hatten die Kürzungen schon im Koalitionsvertrag vereinbart, um den „Haushalt zu konsolidieren“. Wohlgemerkt: während gleichzeitig die Steuern für Unternehmen gesenkt werden – und Deutschland seit jeher zu wenig für Entwicklungshilfe leistet und seine Zahlen schönrechnet.
Dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Finanzminister mit seinem ersten Haushalt den Rotstift am Elend der Welt ansetzt, ist ein Armutszeugnis. Zumal in dieser Weltlage.
Triage in der Entwicklungshilfe
Klingbeil und Merz folgen damit dem internationalen Trend. Der Rechtsruck hat nämlich die Entwicklungshilfe ins Kreuzfeuer seines Kulturkampfes genommen. Wie lange hat man sich in Deutschland über Radwege in Peru echauffiert? Viel drastischer aber sind die tatsächlichen Kürzungen. Weltweit wurden bereits Dutzende Milliarden Euro an Entwicklungsgeldern gestrichen. Allein 40 bis 60 Milliarden von Donald Trump in den USA.
Die Folgen sind verheerend. Humanitäre Organisationen müssen zehntausende Mitarbeiter entlassen. Menschen, die in Flüchtlingslagern, Gesundheitsstationen und Krisengebieten überlebenswichtige Arbeit geleistet haben. Gegen Hunger. Gegen Gewalt. Gegen Naturkatastrophen. Gegen Infektionskrankheiten. Für Bildung. Für Frauenrechte. Für Sicherheit. Für Klimaschutz. Achim Steiner, Chef des UN-Entwicklungsprogramms warnte gegenüber der ZEIT: „Ich fühle mich an die Triage in einem Krankenhaus nach einer Naturkatastrophe erinnert“.
Appell an die Regierung
30 Organisationen appellieren deshalb heute an die schwarz-rote Koalition, die Hilfen nicht zu kürzen. Die Bundesregierung dürfe den Kurs anderer Geberländer nicht mitgehen. „Egal wie laut einige 'Mein Land zuerst' rufen – es gibt keine nationalen Lösungen für globale Herausforderungen. Entweder wir verlieren allein – oder gewinnen gemeinsam“, heißt es in dem Aufruf. Unterzeichner sind unter anderem Brot für die Welt, Care Deutschland, Caritas international, Diakonie Katastrophenhilfe, Kindernothilfe, One, Oxfam, Save the Children, die Welthungerhilfe und World Vision.
Und auch Microsoft-Gründer und Multimilliardär Bill Gates ruft Bundeskanzler Merz in einem Gastbeitrag dazu auf, von „verheerenden“ Sparmaßnahmen bei der Entwicklungshilfe abzusehen – und die Lücken zu füllen, die anderswo gerissen werden. Gates warnt vor Krankheiten, die sich wegen der Kürzungen wieder ausbreiten sowie vor Armut und Sterblichkeit, die zunehmen werden. Und betont auch ökonomische Interessen. Entwicklungshilfe reduziere Fluchtursachen, verhindere Epidemien und schaffe neue Handelspartner und Märkte für deutsche Waren. Das sei „für eine Exportnation wie Deutschland von zentraler Bedeutung“.
Gates hat recht. Auch wenn das nicht im Vordergrund stehen sollte, verfolgt Deutschland mit den Geldern auch ein egoistisches Interesse. Gerade weil die deutsche Wirtschaft so sehr von Exporten lebt, ist sie darauf angewiesen, dass arme Länder zu Wohlstand kommen – und in Zukunft deutsche Waren einkaufen. Oder deutsche Banken darauf angewiesen, dass ausländische Gläubiger ihre Kredite und Zinsen bedienen können. Oder junge Arbeitskräfte in armen Ländern zu Bildung kommen und die Boomer-Lücke am deutschen Arbeitsmarkt schließen. Und: Jeder Mensch, der nicht vor Krieg, Krankheit und Elend fliehen muss, muss an der Grenze schon nicht (gegen EU-Recht) von Dobrindt und der Bundespolizei zurückgewiesen werden.
Dabei hatten die Vereinten Nationen schon 1970 eine Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens als Mindestziel vereinbart. Betonung auf „Mindest“-Ziel. Ein Ziel, das Deutschland in gerade einmal fünf von 55 Jahren eingehalten hat.
Musterknabe? Eine hässliche Maske!
In der öffentlichen Debatte wird Deutschland gern als Musterknabe der Entwicklungshilfe inszeniert. Immerhin habe man ja rund 30 Milliarden Euro letztes Jahr dafür ausgegeben. Also eine große nominale Summe, eine Zahl mit vielen Nullen. Die Wahrheit ist: Gemessen am Bruttonationaleinkommen (BNE) ist Deutschland (0,67 Prozent) nicht der Musterknabe. Sondern: Norwegen, Luxemburg (jeweils ein Prozent), Schweden (0,8 Prozent) und Dänemark (0,71 Prozent). Die vier wirklichen Musterknaben haben außerdem seit 1970 eine Quote von mehr als 0,7 Prozent, teilweise sogar über ein Prozent – Deutschland nicht. Im Gegenteil: bis 2010 lag Deutschland unter 0,5 Prozent, davor sogar viele Jahre um die 0,3 Prozent und im Jahr 2015 das erste Mal überhaupt bei 0,7 Prozent. Über ein Prozent, so wie Norwegen, das gab es noch nie.
Dabei hatten die Vereinten Nationen schon 1970 eine Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens als Mindestziel vereinbart. Betonung auf „Mindest“-Ziel. Ein Ziel, das Deutschland in gerade einmal fünf von 55 Jahren eingehalten hat. Konkret: 2015, 2020, 2021, 2022 und 2023. Fünf von 55 – so viel zum Musterknaben der Entwicklungshilfe!
In der Presse heute wird dieser Kontext allerdings beschönigt, indem allein auf die letzten fünf und nicht auf die letzten 55 Jahre verwiesen wird. „Im vergangenen Jahr verfehlte Deutschland erstmals seit fünf Jahren die international vereinbarte Quote von 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit“, heißt es etwa im Text der Nachrichtenagenturen, den alle großen Zeitungen übernommen haben.
Dazu kommt: die Zahlen zur Entwicklungshilfe sind schöngerechnet. So werden etwa Ausgaben für die Aufnahme von Geflüchteten im ersten Jahr mit angerechnet. 2024 waren das allein sechs der 30 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe. Also rund 20 Prozent. Geflüchtete aufzunehmen ist aber keine Entwicklungshilfe im klassischen Sinne. Die Gelder bleiben ja in Deutschland und fließen nicht in die Entwicklungsländer. Davon kaufen Geflüchtete Klamotten, Lebensmittel und Bustickets in Deutschland, aber davon werden keine Brunnen oder Schulen in armen Dörfern gebaut. Bitter: Die Anrechnung von Flüchtlingskosten und der Bürgerkrieg in Syrien erklären übrigens, warum Deutschland 2015 erstmals über dem Mindestziel von 0,7 Prozent lag.
Auch angerechnet werden Kosten der Bundesländer für den Betrieb von Hochschulen. Und zwar der Anteil, der auf Studierende aus Entwicklungsländern entfällt. 2024 waren das 1,8 Milliarden Euro, etwa sechs Prozent der Entwicklungshilfe. Allein diese zwei genannten Beispiele machen also jeden vierten Euro aus, der als Entwicklungshilfe deklariert wird – aber eigentlich keine Entwicklungshilfe ist.
Wer angesichts dieser Zahlen Deutschland zum Musterknaben verklärt, streut der Öffentlichkeit Sand in die Augen und redet den Rechtspopulisten das Wort. Dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Finanzminister mit seinem ersten Haushalt den Rotstift am Elend der Welt ansetzt, ist ein Armutszeugnis. Zumal in dieser Weltlage.
Im vorletzten Satz ist wohl der Finanzminister gemeint und nicht der BK.
Nicht nur im vorletzten Satz, ist mir bei der Lektüre des Newsletters aufgefallen :
"Dass ausgerechnet ein sozialdemokratischer Bundeskanzler mit seinem ersten Haushalt den Rotstift am Elend der Welt ansetzt, ist ein Armutszeugnis. Zumal in dieser Weltlage"