Lindners Neiddebatte
Das Bürgergeld sei zu stark gestiegen, meint der Finanzminister. Stimmt das? Ein Faktencheck
Christian Lindner hat in den Wahlkampfmodus geschaltet. Kein Wunder, kratzt die FDP doch in Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde. Seine Wahlkampfstrategie: Eine Neiddebatte anzetteln. Neid gegenüber denen, die am wenigsten haben. Den Bürgergeldempfängern. Den Rentnern in der Grundsicherung. Und den Asylbewerbern.
„Das Bürgergeld benötigt ein Update“, sagte Lindner neulich. „Update“ klingt vielversprechend, nach Verbesserung; gemeint ist aber das Gegenteil, eine Verschlechterung, mehr Sanktionen und weniger Geld. Lindners Update bedeutet Geiz, nicht Großzügigkeit.
Bei der BILD legte er dann nochmal nach. Die Koalitionspartner hätten keinen Respekt vor den Steuerzahlern. Fairness verdienten nicht nur Geringverdiener. „Auch die Leistung der Fach- und Führungskräfte sowie des Mittelstands muss anerkannt werden. Diese Menschen nur als Lastesel zu behandeln, nimmt ihnen die Lust auf Leistung“, so Lindner.
Weil das Bürgergeld zum Jahreswechsel „massiv und überproportional erhöht wurde“, will er rückwirkend auch nochmal den Grundfreibeitrag bei der Einkommensteuer erhöhen. Der Betrag war zwar zum Jahreswechsel schon von 10.908 Euro auf 11.604 Euro erhöht worden – ein Plus von mehr als sechs Prozent –, soll jetzt aber auf 11.784 Euro korrigiert werden (macht dann einen Anstieg von acht Prozent). Profitieren würden davon alle Steuerzahler, am meisten allerdings die Topverdiener. Denn wer mehr verdient, zahlt einen höheren Steuersatz – und spart bei Anhebung des Freibetrags entsprechend mehr Steuern.
Neid nach unten?
Die Frage stellt sich: Ist der Neid nach unten denn überhaupt gerechtfertigt? Dafür habe ich mal gegenübergestellt, wie viel das Bürgergeld, der Mindestlohn, der Grundfreibetrag und das Kindergeld seit 2015 gestiegen sind. Und wie sich die Verbraucherpreise im gleichen Zeitraum entwickelt haben.
Man sieht auf den ersten Blick: Der Grundfreibetrag (grau) ist schneller gestiegen als die Verbraucherpreise (rot), hat also heute eine höhere Kaufkraft als 2015. Auch ist der Freibetrag bis 2023 schneller gestiegen als das Bürgergeld (grün). Allein mit der letzten Erhöhung in diesem Jahr übertrifft das Bürgergeld den Freibetrag. Ein Novum. Vorher hat das Bürgergeld (früher Hartz IV) allen anderen Sätzen hinterhergehinkt.
Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört außerdem, dass Lindners Sparpolitik die Preise erhöht und so alle Sätze entwertet – von Bürgergeld bis Freibetrag.
Die jüngste Anhebung um zwölf Prozent kann allerdings nicht wettmachen, dass das Bürgergeld 2022 weit hinter die Preisentwicklung zurückgefallen war. Der Regelsatz stieg damals nur um läppische drei Euro bzw. 0,7 Prozent, obwohl die Inflationsrate zwischenzeitlich bei zehn Prozent lag. 2022 wurde das Bürgergeld, sprich: das Existenzminimum, damit real entwertet. Schon vergessen, Herr Lindner?
Nur richtig, dass die Berechnung des Bürgergeldes in der Folge so geändert wurde, dass die Inflation schneller berücksichtigt werden kann – und die Kaufkraft des Existenzminimums geschützt wird.
Nicht zu vergessen: Das Existenzminimum ist ohnehin kleingerechnet. Der paritätische Gesamtverband hat in seinem neusten Armutsbericht wieder darauf hingewiesen, dass der Regelsatz dieses Jahr eigentlich 813 Euro betragen müsste, um den Mindestbedarf zu decken.
„Der Regelsatz in Hartz IV (“Bürgergeld”) und in der Altersgrundsicherung und bei Erwerbsminderung ist auch nach den Anhebungen zum 1.1.2023 und 1.1.2024 nicht den Mindestbedarf deckend. Dies gilt auch für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Nach Berechnungen des Paritätischen müsste der Regelsatz derzeit nicht 563 Euro sondern 813 Euro betragen. Stromkosten sind darüber hinaus, wie die Heizkosten, außerhalb der Regelsätze in voller Höhe zu übernehmen.“
Und dann gibt es in der Debatte ja noch viele Schreihälse, die behaupten, Arbeit würde sich wegen der Bürgergelderhöhung nicht mehr lohnen. Auch all jene straft die obige Grafik lügen. Denn der Mindestlohn (schwarz) ist seit seiner Einführung deutlich stärker gestiegen als das Bürgergeld (grün). Der Abstand zwischen Mindestlohn und Bürgergeld ist seit 2015 also größer geworden.
Aus der Gegenüberstellung stellt sich eher eine andere Frage: Warum lassen SPD und Grüne der FDP durchgehen, dass das Kindergeld nicht erneut angehoben wurde? Das Kindergeld (mint) fällt dadurch nämlich hinter allen anderen Sätzen zurück. Nach Lindners Argumentation: Was ist mit Fairness gegenüber den Kindern?
Steuern runter, aber welche?
Zur Ehrlichkeit der Debatte gehört außerdem, dass Lindners Sparpolitik die Preise erhöht und so alle Sätze entwertet – von Bürgergeld bis Freibetrag. Etwa wegen der höheren Mehrwertsteuer in der Gastro, der LKW-Maut, dem höheren CO2-Preis, der höheren Netzentgelte oder der neuen Plastikabgabe. Die Deutsche Bank hat ausgerechnet, dass der neue Haushalt die Inflationsrate um 0,6 Prozentpunkte erhöht hat. Und jetzt kommt auch noch die höhere Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme dazu!
Statt also eine Neiddebatte zwischen Steuerzahlern und Bürgergeldempfängern aufzumachen (was im Fall von Aufstockern übrigens nicht mal getrennte Gruppen sind), sollte Lindner sich lieber darum kümmern, die rote Linie in der Grafik nach unten zu drücken: die Verbraucherpreise.
Die zwei Milliarden Euro, die für den höheren Freibetrag drauf gehen, wären besser investiert, wenn die Mehrwertsteuer auf Gas und Fernwärme noch ein Quartal gesenkt geblieben wäre. Auch das hätte circa zwei Milliarden ausgemacht, hätte aber die Preise gedrückt und Familien mit kleinen und mittleren Einkommen mehr geholfen als der höhere Freibetrag.
Ich frage mich manchmal, ob man einfach belogen wird, oder ob manch Politiker wirklich überzeugt ist von dem was sie/er sagt.
Ist das nicht eher eine Missgunstdebatte? Lindner und die "arbeitende Bevölkerung" möchten ja kein Bürgergeld haben, sondern gönnen es Anderen nicht.