Merz sucht die Billion
Kommt ein neues Sondervermögen? Oder gleich zwei? Oder eine Reform der Schuldenbremse? Was man jetzt wissen muss!
Das muss man sich mal klar machen: erst hat die CDU hat die Ampel für 60 Milliarden Euro neue Schulden verklagt, dann ist die Ampel an ein paar Milliarden für die Ukraine zerbrochen und jetzt verhandelt der designierte Neu-Kanzler Merz mit der SPD über neue Schulden von sage und schreibe eine Billion Euro!
So viel Geld braucht es für die Ukraine, die Bundeswehr, die Infrastruktur – und versprochene Steuersenkungen. Und all das, wohlgemerkt, nachdem die Union im Wahlkampf noch so getan hat, als ließe sich mit ein paar Kürzungen beim Bürgergeld und bei Geflüchteten ein Steuersenkungsprogramm von 100 Milliarden Euro finanzieren – und als ginge es bei der Schuldenbremse nur um etwas mehr Flexibilität für die Länder.
Sondierungen unter Hochdruck
Bis tief in die letzte Nacht sollen die neue GroKo wieder über die Finanzfrage verhandelt haben. Bis Donnerstag will sie einig sein. Dann ist nämlich ein EU-Sondergipfel. Nur: Das Geldproblem beginnt bereits beim Finanzplan für den regulären Haushalt. Schon da fehlen laut Finanzminister Jörg Kukies bis 2028 fast 100 Milliarden Euro. 30 Milliarden für dieses Jahr, je 13 Milliarden für 2026 und 2027, und 2028 sogar 39 Milliarden. Weil spätestens dann das Sondervermögen Bundeswehr aufgebraucht ist, müsste der Ansatz im Haushalt um rund 28 Milliarden Euro steigen, um allein das zugesagte Zwei-Prozent-Ziel der Nato einzuhalten.
Bei zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung wird es aber wohl nicht bleiben. Nachdem Trump die Ukraine-Hilfe ausgesetzt, Selenskyj öffentlich im Oval-Office gedemütigt und von den Nato-Partnern sogar fünf Prozent für Verteidigung gefordert hat, lautet das Ziel von Verteidigungsminister Pistorius zuletzt drei statt zwei Prozent. Die kleine Prozentzahl hat für den Haushalt gewiss eine große Bedeutung. Jeder Prozentpunkt bedeutet für den Haushalt 43 Milliarden Euro mehr oder weniger.
Dazu kommen zusätzliche Ukraine-Hilfen in zweistelliger Milliardenhöhe. Und, dass ab 2028 die Corona-Kredite von rund 300 Milliarden Euro über die nächsten 31 Jahre getilgt werden müssen. Das reduziert den Spielraum unter der Schuldenbremse zusätzlich um circa neun Milliarden Euro pro Jahr. Ach: Und die Infrastruktur muss ja auch noch saniert werden. Und Steuersenkungen hat die Union ja auch versprochen!

So könnte Merz den Geldmangel lösen
Eine Reform der Schuldenbremse ist in der Union umstritten. Berlins Ministerpräsident Kai Wegner und einige seiner Parteigenossen sind zwar dafür und auch Merz ließ im Wahlkampf einige Hintertürchen offen, aber im Wahlprogramm stand ein klares Bekenntnis zur Schuldenbremse. Einfacher wäre für Merz also, zumindest parteiintern, das Sondervermögen für die Bundeswehr aufzustocken.
Der Haken: das ginge nur mit den Mehrheiten des alten Bundestages. Denn ein Sondervermögen allein für die Bundeswehr würden die Linken nicht mittragen. Auf deren Stimmen wäre Merz aber im neuen Bundestag angewiesen. Und selbst mit den alten Mehrheiten ist das kein Selbstläufer. Denn SPD und Grüne haben ebenfalls angekündigt, dass die Schuldenbremse nicht nur für Verteidigungsausgaben umgangen oder reformiert werden solle. Auch sie pochen – richtigerweise – auf zusätzliche Gelder für Investitionen in Sicherheit, Infrastruktur und Transformation. So oder so: Merz muss verhandeln. Bei alten Mehrheiten nur mit SPD und Grünen. Bei neuen Mehrheiten auch mit der Linken.
Ein möglicher Kompromiss wurde bereits auf Initiative des saarländischen Finanzministers Jakob von Weizsäcker (SPD) ausgelotet. Der hat mit den Ökonomen Clemens Fuest, Michael Hüther, Moritz Schularick und Jens Südekum ein Papier geeint, das die saarländische Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) als Tischvorlage in die Sondierungen eingebracht hat. Der Vorschlag: zwei Sondervermögen von je rund 400 Milliarden Euro; eines für die Bundeswehr und eines für die Infrastruktur. Dazu die Vereinbarung, die Schuldenbremse in der Legislaturperiode zu reformieren, um eine langfristige Lösung zu finden. Sonst würde das Finanzproblem mit den zwei Sondervermögen nur auf 2029 verschoben, aber nicht gelöst. Außerdem sei eine Reform der Schuldenbremse nicht innerhalb weniger Wochen zu machen, ein neues Sondervermögen hingegen schon, so die Ökonomen
In die Debatte mischen sich auch immer wieder Forderungen nach drastischen Kürzungen oder armenfeindlichen Steuererhöhungen.
Auch die Bundesbank hat sich heute in die Debatte eingemischt und eine konkrete Reform der Schuldenbremse vorgeschlagen. Wenn Deutschland mit weniger als 60 Prozent verschuldet ist, soll statt 0,35 Prozent künftig eine Neuverschuldung von 1,4 Prozent erlaubt sein. 0,9 der 1,4 Prozent seien allerdings nur für Investitionen vorgesehen. Liegt Deutschland über den 60 Prozent (derzeit: 63 Prozent), soll der Spielraum nur aus den 0,9 Prozent für Investitionen bestehen. Zur Einordnung: Das brächte zwar einen zusätzlichen Spielraum von 24 bis 39 Milliarden Euro pro Jahr, wäre aber angesichts der Bedarfe noch immer zu wenig. Außerdem ist das Festhalten an der ökonomischen fragwürdigen 60-Prozent-Marke unnötig. Alle anderen G7-Industriestaaten haben einen Schuldenstand von über 100 Prozent. Diese Realität hätte auch die Bundesbank mal anerkennen können.
Alternativ könnte Merz mit der neuen Regierung und einfacher Kanzlermehrheit die Notfallklausel der Schuldenbremse mit Verweis auf den Ukrainekrieg aktivieren. Das wäre aber nur eine Notlösung und kein Plan für die Aufgaben ab 2028. Geschweige denn: eine verlässliche Basis für einen Koalitionsvertrag.
Weniger interessant für Deutschland dürften die Vorschläge von EU-Kommissionspräsidentin Von der Leyen sein. Sie will einen neuen schuldenfinanzierten Fonds für Verteidigungsausgaben auflegen – ähnlich zum Kurzarbeitsprogramm SURE aus der Coronazeit. Dafür soll die EU-Anleihen verkaufen und die Gelder zu günstigen Zinsen an die Mitgliedsländer weiterleiten. Für Länder wie Griechenland ergibt sich daraus vielleicht die Möglichkeiten, Zinsen zu sparen. Für Deutschland, dessen Anleihen ohnehin die beste Bonität im Euro-Raum haben, bringt das aber fast gar nichts.
Was allerdings nicht unterschlagen werden darf: In die Debatte mischen sich auch immer wieder Forderungen nach drastischen Kürzungen oder armenfeindlichen Steuererhöhungen. Der Ökonom Clemens Fuest schlägt etwa vor, die Pendlerpauschale oder das Elterngeld zu streichen, Moritz Schularick will zwei Feiertage abschaffen und Veronika Grimm die Mehrwertsteuer anheben.
Drei Lehren und eine offene Frage
Aus der Debatte rund um neue Schulden lässt sich einiges lernen. Erstens: Der Journalismus hat im Wahlkampf versagt. Debattiert wurde vor der Wahl nur über Kleckerbeträge, wie etwa einzelne Kürzungen für Asylbewerber oder Arbeitslose. Keine Woche nach der Wahl geht es um hunderte von Milliarden. Das hätten die Wähler besser vor der Wahl wissen sollen, um eine informierte Entscheidung zu treffen.
Zweitens: Nicht der Klimawandel oder die kaputtgesparte Infrastruktur, sondern Donald Trump und der Ukrainekrieg werden zum Sargnagel der Schuldenbremse. Und all die konservativen Ökonomen, die uns die letzten drei Jahrzehnte erklärt haben, dass für all die wichtigen Dinge kein Geld da sei, haben offensichtlich gelogen. Denn heute fordern sie selbst Hunderte Milliarden für Verteidigung – an der Schuldenbremse vorbei. Geld ist also doch nicht knapp. Und die Schuldenbremse doch nicht so eine gute Idee!
Drittens: Die Union hat ihre Wähler reingelegt. In der Opposition hat sie die Ampel noch verklagt, im Wahlkampf über die vermeintlichen Finanztricks der Ampel geschimpft und in Sachen Schuldenbremse höchstens mehr Flexibilität für die Länder vorgesehen. Und heute? Verhandelt sie über neue Schulden in dreistelliger Milliardenhöhe, noch bevor Merz überhaupt zum Kanzler gewählt worden ist.
Offen ist hingegen, ob SPD, Grüne und Linke den Druck für sich nutzen können, um aus den Geldnöten eine rechte Reform der Schuldenbremse zu verhandeln. Eine historische Chance!
Ich drücke die Daumen dafür, dass die Linke unverrückbar auf die komplette Streichung der Schuldenbremse Paragraphen aus dem Grundgesetz besteht. Das wäre meines Erachtens die wichtigste politische Entscheidung der vergangenen und wahrscheinlich auch der kommenden 15 Jahre.
Maurice Höfgen: "Drei Lehren und eine offene Frage"
Füge dann als vierte und mögliche Anwort auf das vorherrschende Desaster hinzu:
"Die Idiotie von Parteien" https://wyriwif.wordpress.com/?s=idiotie+von+parteien
Losen statt Wählen: Losdemokratie ist besser für uns 3)
https://www.youtube.com/watch?v=s09Rxh8J_zI&t=7s