Mindestlohn: Bricht Deutschland die EU-Regeln?
Seit heute gilt die europäische Mindestlohnrichtlinie. Der Mindestlohn aber erhöht sich nicht, obwohl der Arbeitsminister anderes versprochen hatte
Heute hätte ein Tag zum Feiern sein können. Dann nämlich, wenn der Mindestlohn so gestiegen wäre, wie die neue EU-Mindestlohnrichtlinie es vorsieht. Und wie es der Noch-Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) von der unabhängigen Mindestlohnkommission in seinem Brief vom 9. September verlangt hat. Seit heute, dem 15. November, muss die EU-Mindestlohnrichtlinie nämlich in nationales Gesetz umgesetzt sein. Das ist auch klammheimlich am 23. Oktober im Bundesgesetzblatt passiert. Allerdings ohne Mindestlohnerhöhung. Warum nur?
Fest steht: Heil hat wieder nicht geliefert und die „Respekt-Partei“ wird wieder von der Kommission düpiert.
Nun, die Richtlinie hat zwar ein klares Ziel: armutsfeste Mindestlöhne. Aber sie hat auch einen Haken: Was „armutsfest“ genau bedeutet, ist eine Interpretationsfrage. In der europäischen Richtlinie ist zwar von Referenzwerten die Rede, aber welche Werte die Mitgliedstaaten letztlich heranziehen, ist ihnen überlassen. Unverbindlich heißt es, die Mitgliedsländer könnten auf internationaler Ebene übliche Referenzwerte nutzen „wie 60 Prozent des Bruttomedianlohns und 50 Prozent des Bruttodurchschnittslohns und/oder Referenzwerte, die auf nationaler Ebene verwendet werden“.
Hubertus Heil hatte in seinem Brief an die Mindestlohnkommission gefordert, den Mindestlohn kräftig zu erhöhen. Und zwar, indem das Gremium nächstes Mal den „Referenzwert von 60 Prozent des Bruttomedianlohns“ berücksichtigt. Das entspräche in diesem Jahr 14,61 Euro und nächstes Jahr 15,15 Euro pro Stunde. Leider bleibt es beim Konjunktiv. Die Realität: Gerade liegt der Mindestlohn bei 12,41 Euro, nächstes Jahr steigt er auf 12,82 Euro. Seit seiner Einführung liegt der deutsche Mindestlohn bei unter 50 Prozent des Medianlohns, ist also nach der international üblichen Definition nicht armutsfest. Und wird eben auch dieses Jahr nicht mehr erhöht. Erst Mitte 2025 entscheidet die Kommission wieder über eine Anpassung für 2026.
Trotz alldem hat das Ministerium von Heil verkündet, die EU-Richtlinie werde mit dem geltenden Mindestlohngesetz bereits ordnungsgemäß umgesetzt – und damit das Thema samt Hoffnung von Millionen Mindestlohnmalochern vom Tisch gewischt. Obwohl der Mindestlohn unter den üblichen Referenzwerten liegt. Obwohl Heil selbst eine Erhöhung von der Kommission gefordert hat. Obwohl die Ampel die Chance gehabt hätte, den Mindestlohn per Gesetz – an der Mindestlohnkommission vorbei – zu erhöhen (wie zuletzt bei der Erhöhung von 10,35 auf 12 Euro). Obwohl die Kommission schon bei ihrer letzten Anhebung die politische Festlegung auf 12 Euro ignoriert und den Respekt-Kanzler damit blamiert hatte (hier erklärt).
Und obwohl das deutsche Gesetz wiederum das Kriterium „armutsfest“ gar nicht explizit kennt, sich schon gar nicht auf einen Referenzwert bezieht. Das deutsche Gesetz gibt der Mindestlohnkommission nämlich nur vor, „im Rahmen einer Gesamtabwägung“ zu prüfen, welche Lohnhöhe geeignet ist, um „zu einem angemessenen Mindestschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beizutragen, faire und funktionierende Wettbewerbsbedingungen zu ermöglichen sowie Beschäftigung nicht zu gefährden“. Also: Eine Wischi-Waschi-Vorgabe, in die alles und nichts interpretiert werden kann.
Als Heil im September den Brief an die Kommission schrieb, titelte die ganze Presselandschaft „Heil fordert deutlich höheren Mindestlohn“. Ein kluger Marketing-Schachzug. Zitiert wird der Minister mit einer sozialdemokratischen Floskel: „Es geht darum, dass wir eine verlässliche Lohnuntergrenze haben, damit Menschen von der Arbeit leben können“.
Heute aber findet man in der Presse nichts dazu, dass das offensichtlich eine Ente war. Ein faules Versprechen. Auch erklärt sich Heil nicht öffentlich dazu. Fest steht: Heil hat wieder nicht geliefert und die „Respekt-Partei“ wird wieder von der Kommission düpiert. Und trotzdem werden in ein paar Wochen landesweit Plakate mit neuen Mindestlohnversprechen an die Laternen gehangen. Wetten?
Ein Hammer, dass das nicht publiziert wurde! Hoffentlich streicht die SPD bald das "sozial" aus ihrem Namen und benennt sich in "Fast Demokratische Partei" oder "Respektlose Partei" um. Ich kann das aktuelle Gelüge in allen Interviews und Reden, egal von welcher Partei, einfach nicht mehr hören.
Auch an dieser Stelle nochmal, Danke Maurice, es ist immer wieder erfrischend dir zu zuhören oder zu lesen in einer Zeit wo man das Gefühl hat alles ist ein reiner Fiebertraum.