Er will die MMT entzaubern, entzaubert aber nur sich selbst
Welt-Redakteur Zschäpitz beschwört das »Ende der MMT«. Seine Kritik ist so billig wie falsch. Eine Replik.
Die Zeit sei gekommen. Die Zeit, »den Irrtum MMT endlich wieder dahin zu packen, wo er hingehört: in die Mottenkiste der Geschichte«. Vor scharfen Tönen und vernichtender Polemik zückt Holger Zschäpitz, leitender Wirtschaftsredakteur bei der WELT, in seiner neuesten Streitschrift gegen die MMT nicht zurück. In Ordnung, wie ich finde. Streit ist gut! Zu Wirtschaftsfragen streiten wir in Deutschland ohnehin viel zu wenig, erst recht über grundsätzliche. Allein es fehlen Zschäpitz überzeugende Argumente.
»Von der Realität widerlegt«
Seine Kritik ist schnell zusammengefasst. Bisher habe die Modern Monetary Theory (MMT) Aufwind erfahren, weil die Zentralbanken dieser Welt mit Nullzinsen »experimentiert« hätten. Doch 2022 habe sich die Situation schlagartig verändert: »Die Inflation erlebte ein mächtiges Comeback und die Zinsen schossen so stark in die Höhe wie seit 40 Jahren nicht mehr«, so Zschäpitz. Dass Inflation und Zinsen im letzten Jahr so stark gestiegen sind, beweise den Irrtum der MMT. Die postuliere nämlich »grenzenloses« Schuldenmachen zum Nulltarif. »Die Illusion einer kostenlosen Staatsverschuldung ist von der Realität gnadenlos widerlegt worden«, resümiert Zschäpitz, um dann zu fordern: Ab in die Mottenkiste mit der MMT.
Strohmann aufgestellt, Strohmann erledigt!
Warum Strohmann? Nun, die MMT behauptet gar nicht, Schuldenmachen sei immer und ausnahmslos »kostenlos«.1 Natürlich kann der Staat mit einer Vollgaspolitik die Inflation anheizen und natürlich können die Zinsen steigen. Inflation entsteht, wenn die Wirtschaft überhitzt und Zinsen steigen, wenn die Zentralbank sie anhebt – oder die Zentralbank Spekulation der Kapitalmärkte zulässt. Das eine ist Ergebnis der Regierungspolitik, das andere Ergebnis der Zentralbankpolitik. Zschäpitz scheint entgangen, dass die MMT als Denkschule in den 90ern geschaffen wurde, nicht erst seitdem die Zentralbanken auf Nullzinskurs segelten.
Zschäpitz unterstellt zudem, die hohe Schulden und die »Geldflut« der Zentralbanken seien schuld an der Inflation. Schließlich seien die »Schulden der westlichen Industriestaaten in den vergangenen fünf Jahren um rund 50 Prozent auf umgerechnet mittlerweile 60 Billionen US-Dollar gestiegen« – ist das nicht ungeheuer viel?
Achtung: Das ist ein rhetorischer Trick, so billig wie polemisch. Erstens verrät er nicht, welche Staaten er genau meint; zweitens ist der Zeitraum von fünf Jahren willkürlich gewählt – warum nimmt er zwei normale Jahre und drei Jahre Pandemie und Krieg? –; und drittens rechnet er alles auf US-Dollar um und verschleiert so, ob es sich jeweils um Schulden in Fremdwährung oder eigener Währung handelt (ein wichtiger Unterschied). Das alles nur um eine große Zahl in den Text schreiben zu können: 60 Billionen US-Dollar! Der Leser soll staunen, nicht denken. Polemisch geschickt, aber ein handwerklicher Graus. Wohlgemerkt: Der Text ist so bei der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB) erschienen, nicht in der Welt. Ja, man reibt sich die Augen …
Warum dann heute ausgerechnet Deutschland, das im internationalen Vergleich niedrige Staatsschulden hat und in der Krise vergleichsweise wenig neue Schulden machte, eine viel höhere Inflationsrate hat als Japan – der weltweite Schuldenkönig –, oder die Schweiz – deren Notenbank wie keine andere die »Gelddruckmaschine« angeworfen hat, um den Frankenkurs zu manipulieren –, erfährt man von Zschäpitz leider nicht.
Nebenbei: »Warum«-Fragen scheint der Text generell nicht beantworten zu wollen. Mit seiner willkürlich zusammengewürfelten Billionenzahl (!) belässt es Zschäpitz argumentativ. Erstaunlich, womit man bei der BPB so durchkommt.
Wer sich für das »Warum?« im Fall Japan interessiert, dem sei dieser Artikel empfohlen.
Interessant ist, dass er sich im letzten Absatz selbst den Wind aus den Segeln nimmt, wenn er anklagt: »Auf den angebotsseitigen Preisschock, der die Welt seit dem Ausbruch der Pandemie und noch verstärkt seit dem Kriegsbeginn in der Ukraine heimsucht, hat sie [die MMT] keine Antworten […].«. Moment! Plötzlich liegt die hohe Inflationsrate also doch an Krieg und Pandemie (Angebotsstock) statt an Schulden und Geldflut? Na sieh mal einer an. Warum dann vorher so viele Absätze über die billionenfache Schuldenmacherei?
Mit einem 7-tägigen kostenlosen Probeabonnement weiterlesen
Abonnieren Sie Geld für die Welt, um diesen Post weiterzulesen und Sie erhalten 7 Tage kostenlosen Zugang zum gesamten Post-Archiv.