Rekord-Arbeitslosigkeit: Wer ist schuld?
Immer mehr Arbeitslose, immer weniger offene Stellen: So mies läuft der deutsche Arbeitsmarkt und das müsste die Regierung tun
Während Kanzler Merz in jedes Mikrofon brüllt, dass wieder mehr und länger gearbeitet werden soll, gehen in Deutschland reihenweise Jobs verloren. Erst vor wenigen Tagen dominierten die Arbeitslosenzahlen die Schlagzeilen. Im August gab es nämlich das erste Mal seit 2015 wieder mehr als drei Millionen Arbeitslose!
Um genau zu sein: 3,025 Millionen. Und damit 153.000 mehr als vor einem Jahr. Dazu kommen 7.000 mehr Menschen in Kurzarbeit und 70.000 mehr Menschen, die mittlerweile als Langzeitarbeitslose gelten. Das Bild ist eindeutig: Über dem deutschen Arbeitsmarkt hängen dicke, graue Wolken. „Der Arbeitsmarkt ist nach wie vor von der wirtschaftlichen Flaute der vergangenen Jahre geprägt“, gesteht auch die Chefin der Arbeitsagentur, Andrea Nahles.
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Die Schuld für diese Entwicklung sieht Merz offensichtlich bei den Betroffenen selbst. Mit einer härteren Gangart beim Bürgergeld will er die Arbeitslosen wieder in den Arbeitsmarkt bringen. Mehr und schärfere Sanktionen, Abschaffung der Karenzzeit für Schonvermögen, kleinere Pauschalen für die Übernahme der Wohnkosten und eine Nullrunde beim Regelsatz.
Dem pflichtet auch Rainer Dulger, Präsident der Arbeitgebervereinigung, in seiner Presseerklärung zu den neuen Arbeitslosenzahlen bei. Deutschland brauche einen echten Herbst der Reformen, vor allem mit Korrekturen in der Grundsicherung, so Dulger. Heißt konkret: “Für Menschen, die arbeiten können, muss der Fokus auf Vermittlung in Arbeit und Ausbildung liegen. Bei Personen, die sich zumutbarer Arbeit verweigern, müssen Leistungen auch vollständig gekürzt werden können.”
Das Konzept: Arbeitslosigkeit schmerzhafter zu machen, um Arbeitslose zurück in den Arbeitsmarkt drängen. Dieselbe schwarze Pädagogik wird nun auch an den Ukrainern exerziert, die vor Putins Bomben nach Deutschland geflüchtet sind. Merz hält es nämlich auch für einen Arbeitsanreiz, die Ukrainer aus dem Bürgergeld zu werfen und ihnen nur noch Asylbewerberleistungen zu zahlen. Weniger Geld für mehr Motivation also. Als wollten die Menschen nicht arbeiten, als gäben sie sich mit dem Existenzminimum zufrieden, als wären die Hürden nicht andere!
Die Schuldigen für diese Krise jedenfalls sitzen im Kanzleramt und in den Ministerien, nicht bei den Jobcentern!
Es fehlen Jobs, nicht Anreize!
Was Merz und Dulger übersehen: Es gibt schlicht zu wenig Jobs. Und es werden sogar immer weniger. Der Arbeitsagentur wurden im August 631.000 offene Stellen gemeldet. Das waren fast so wenige wie während der Coronakrise. Und außerdem 68.000 Jobs weniger als vor einem Jahr und 213.000 weniger als vor zwei Jahren. Selbst wenn man nicht die Zahlen der Arbeitsagentur nimmt, sondern die per Umfrage ermittelten Werte vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), bestätigt sich das Bild. Laut IAB gab es per März 2025 nur noch 921.000 offene und sofort zu besetzende Stellen. Ende 2022, als die Wirtschaft sich von Corona und dem Putin-Schock zu erholen schien, waren es noch 1,6 Millionen. Seither sinken die Zahlen. Und wenn bald die neuen Umfragewerte für den Juni veröffentlicht werden, dürfte es noch weniger sein.
Demgegenüber stehen aber drei Millionen Arbeitslose. Und zwar gezählt nach der engen Definition der Jobcenter. Rechnet man noch all jene hinzu, die wegen Erkältung oder Fördermaßnahmen zum Stichtag der Erhebung herausgerechnet werden, die in unfreiwillig in Teilzeit arbeiten oder die auf Anerkennung ihrer ausländischen Abschlüsse und Arbeitserlaubnisse warten, kommt man eher auf fünf Millionen (konservativ geschätzt). Die alle konkurrieren um die viel zu kleine und sogar sinkende Zahl an offenen Stellen. Heißt: Selbst wenn alle Arbeitslosen bereit wären, jede offene Stelle zu noch so schlechten und unpassenden Bedingungen anzunehmen, gäbe es noch immer Arbeitslosigkeit. Das ist die Realität am deutschen Arbeitsmarkt!
Wo bleibt das Konjunkturprogramm?
Die Schuld bei den Arbeitslosen selbst abzuladen, ist wohlfeil und ökonomischer Unsinn. Schuld ist die Regierung und ihre Wirtschaftspolitik. Robert Habeck hatte Recht, als er im Wahlkampf gestand, es sei ein großer Fehler der Ampelregierung, 2024 kein neues Konjunkturpaket aufgelegt zu haben. Genauso ist es ein Fehler, dass die Regierung Merz daran heute nicht auch nur einen Gedanken verschwendet.
Ja, der Krieg in der Ukraine und die Zölle von Donald Trump sind noch immer eine Last für die deutsche Wirtschaft. Das alles kann die Regierung Merz nicht einfach auflösen. Was sie aber machen könnte: die Binnenwirtschaft ankurbeln. Für mehr Konsum sorgen. Mit einem Konjunkturprogramm, das den Menschen ihre kleinen Geldbeutel etwas größer macht.
Selbst der Lieblingsökonom der Union, Clemens Fuest, deutet das in Reaktion auf die schlechten Arbeitsmarktzahlen an. “Der private Konsum ist derzeit schon verhalten, obwohl die verfügbaren Einkommen schneller wachsen als die Konsumentenpreise”, so der Chef des Münchner Ifo-Instituts. Viele Haushalte sparten mehr, weil sie sich Sorgen um die Zukunft machten - das werde bei schlechten Nachrichten vom Arbeitsmarkt zunehmen.
Was Fuest und andere Ökonomen aber übersehen: die Reallöhne steigen zwar, aber sie liegen noch immer auf dem Niveau von 2019. Und die Kaufkraftverluste in den letzten Jahren, die zu Verzicht, aufgebrauchten Ersparnissen oder gar neuen Privatschulden geführt haben, konnten mit den bisherigen Reallohnsteigerungen noch nicht wettgemacht werden. Dafür müssten die Reallöhne ja erstmal eine Zeit lang über dem Niveau von 2019 liegen. So lange das aber nicht der Fall ist: Kein Wunder, dass die Menschen also auch nur so viel einkaufen wie 2019!
Gegen die Konsumkrise helfen deshalb auch weder Steuersenkungen für Unternehmen noch Kürzungen am Sozialstaat. Im Gegenteil: in der Krise die Sozialleistungen zu kürzen, verschärft die Konsumkrise und lähmt die Binnenwirtschaft nur noch mehr. Die Schuldigen für diese Krise jedenfalls sitzen im Kanzleramt und in den Ministerien, nicht bei den Jobcentern!
Es fehlen Jobs, nicht Anreize!
Damit ist eigentlich alles gesagt.
Eine Anmerkung sei noch gestattet: Gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge sind für die Menschen in Deutschlan in leitenden Positionen in Politik, Wirtschaft und Medien ein Buch mit sieben Siegeln. Und so lange sich daran nichts ändert, geht es mit der bundeseutschen Wirtschaft weiterhin berbab.
Heiner Flassbeck bringt es auf den Punkt: Warum sind die Unternehmer nur so dumm?
https://www.relevante-oekonomik.com/2025/08/26/warum-sind-die-unternehmer-nur-so-dumm/
Sehr schön und auf den Punkt zusammen gefasst. Was man noch hatte einbringen können ist, dass in diesem Jahr auch weniger Azubis eingestellt werden. Die BASF untersagt ihren Auszubildenden sogar über irgendwelche Übernahme Situationen zu sprechen.