Die Frau, die den Rubel rettete
Wer ist Putins wichtigste Bankerin? Eine Leseprobe aus »Der neue Wirtschaftskrieg«.
Am 27. Februar 2022 in Moskau. Einen Tag, nach dem die Europäische Zentralbank 300 Milliarden an Devisenreserven der Russischen Zentralbank eingefroren hat. »Die wirtschaftliche Realität hat sich erheblich verändert«, räumt Dmitri Peskow, Sprecher des russischen Präsidialamtes, am Montagmorgen ein. »Das sind schwere Sanktionen, sie sind problematisch.« Russland aber sei vorbereitet, die Pläne liegen in der Schublade. »Es gibt Reaktionspläne, sie wurden entwickelt und werden umgesetzt, sobald Probleme auftauchen«, bekräftigt Peskow. Vor allem die Sanktionen gegen die russische Zentralbank dürften den Kreml überrascht haben. Am Vortag hatte Putin als Reaktion auf die Sanktionen die Atomstreitkräfte des Landes in Alarmbereitschaft versetzt. Eine Gegenprovokation nach dem Prinzip Abschreckung. Spätestens seit dem Einmarsch in die Ukraine gilt Putin als unberechenbar. Ein unwägbarer, kriegsführender Putin mit Atomwaffen – das macht vielen Angst vor weiteren Eskalationen.
An jenem Montag beruft Putin einen Krisengipfel mit seinen ökonomischen Experten ein. Tagungsort: Ein langer Tisch. Putin sitzt vor Kopf. Seine Zentralbankchefin Elwira Nabiullina, sein Finanzminister Anton Siluanow und der Vorstandschef der Großbank Sberbank, Herman Gref, sitzen am anderen Ende des Tisches. Meterweit entfernt. Die Runde berät, wie der Rubel gerettet und die Sanktionen gekontert werden können.
Das Ergebnis präsentiert Zentralbankchefin Nabiullina am Nachmittag bei einer Pressekonferenz. Sie wirkt sichtlich erschöpft. Das Gesicht ist blass, ihre Stimme schwach, die Sätze kurz. Sie verzichtet auf eine Einleitung und beginnt gleich mit der beschlossenen Zinserhöhung. Sie will den Termin schnell hinter sich bringen. Die Pflicht erledigen. Auch ihre Kleiderwahl spricht Bände. Sonst in farbenfrohen Blusen und Jacketts gekleidet, erscheint sie diesmal ganz in schwarz. Auf ihr Markenzeichen – eine symbolische Brosche am Kragen des Blazers, um ihre geldpolitische Entscheidung zu unterstreichen – verzichtet sie an diesem Tag. Nabiullina hebt den Leitzins drastisch an, sie macht die Moskauer Börse dicht und Wertpapierhändlern verbietet sie, russische Wertpapiere im Besitz von Ausländern zu verkaufen. Russische Firmen müssen ab sofort 80 Prozent ihrer Deviseneinnahmen in Rubel tauschen. Ihre eigene Skepsis gegen den Krieg, der diese unkonventionellen Maßnahmen nötig macht, kann die Zentralbankerin kaum verbergen. Menschen aus ihrem Umfeld sollen diesen Eindruck gegenüber russischen Journalisten bestätigt haben. Die Agentur Bloomberg berichtet später, dass sie Putin an diesem Tag um ihre eigene Entlassung gebeten haben soll. »Ich habe ja Ökonomie und nicht Fäkalienreinigung studiert«, lautete ihre Begründung. Putin aber lehnt ab. Auf seine wichtigste Bankerin kann und will er im Wirtschaftskrieg gegen den Westen nicht verzichten.

Wer aber ist eigentlich die Frau am Steuer von Putins Zentralbank?
Wer ist die Zentralbankerin, die Putin nicht gehen lassen wollte? Wer ist Elwira Nabiullina? Die Frau, die seit 2013 Chefin der Bank Rossii und heute 58 Jahre alt ist, hat eine beeindruckende Karriere hinter sich. Anders als die meisten Amtsträger an den Schaltstellen des Kremls stammt sie nicht aus dem Sankt Petersburger Putin Dunst und ebenso wenig aus Russlands Elite. Im Gegenteil. Nabiullina wuchs in armen Verhältnissen in der sowjetischen Industriestadt Ufa im Süden auf, weit weg vom Machtzentrum des Landes. Ihr Vater war LKW-Fahrer, ihre Mutter Fabrikarbeiterin, ihr Lebensstandard schmal.
Das hielt Nabiullina aber nicht davon ab, zu einer Erfolgsbiografie zu werden. Sie ist strebsam, diszipliniert und opportunistisch. Als Musterschülerin mit Bestnoten ergatterte sie sich einen Studienplatz an der staatlichen Lomonossow-Universität in Moskau, 1.500 Kilometer weit weg von Zuhause. Auch hier glänzte sie mit Leistungen und begann 1986 ihre Promotion. Früh konfrontiert mit den Werken von Marx und Engels und während des Studiums eingetreten in die kommunistische Partei, studierte sie während der Promotion unter Professor Jewgeni Jasin. Jasin ist ein wirtschaftsliberaler Ökonom mit großem Einfluss auf Boris Jelzin, von 1994 bis 1997 sogar sein Wirtschaftsminister. Er wurde zu Nabiullinas Mentor und Förderer.
Als sich die Möglichkeit auf eine schnelle Karriere bot, bracht sie Anfang der 1990er ihre Doktorarbeit ab und trat die Nachfolge von Jasin als wissenschaftliche Leiterin des wichtigsten Unternehmerverbandes an, von wo aus sie 1994 mit Jasin ins Wirtschaftsministerium wechselte. 1997 wurde sie selbst stellvertretende Wirtschaftsministerin und Mitglied in der Kommission für Wirtschaftsreformen. In diesen Jahren ging es um den Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft.
Was sie bei Marx und Engels gelesen hatte, spielte keine Rolle mehr. Jelzin versetzte der russischen Wirtschaft eine liberale Schocktherapie. 1998, als das Scheitern der Jelzin-Regierung längst absehbar war, wechselte sie für zwei Jahre in die Geschäftsführung der Sberbank, bevor es für sie 2000 zurück ins Ministerium ging – diesmal aber in die Regierung Putins. Anders als viele Jelzin-Funktionäre fand sie den Weg zurück ins Machtzentrum. Vor allem, weil Putins neuer Wirtschaftsminister Herman Gref sie schätzt und nicht zuletzt wegen ihrer liberalen Positionen. Kurz vorher war Nabiullina schon Vizepräsidentin seines Thinktanks Centre for Strategic Research, 2005 wurde sie sogar Präsidentin des Thinktanks, der sich für wirtschaftsliberale Reformen ausspricht. 2006 koordinierte sie für Gref Russlands ersten Vorsitz innerhalb der G8 und gewann Putins Wertschätzung. Der machte sie 2007 zur Wirtschaftsministerin, hievte sie 2012 als seine Beraterin für Wirtschaftsfragen in den Kreis seiner fünf persönlichen Berater – ein Ritterschlag – um sie 2013 überraschend zur Präsidentin der russischen Zentralbank zu machen.
Als solche setzte sie einige Duftmarken. 2014 führten die Krim-Sanktionen des Westens und ein dramatischer Fall des Ölpreises dazu, dass der Rubel massiv an Wert verlor. Damals verfolgte die Zentralbank noch die Strategie, den Rubel an einen Währungskorb aus US-Dollar und Euro zu binden und einzugreifen, wenn der Wechselkurs den festgelegten Kurskorridor verlässt. Im Englischen nennt man das einen Managed Float. Nabiullina setzte damals Währungsreserven von umgerechnet 75 Milliarden US-Dollar ein, um den Rubel vor dem Kursverfall zu retten, ehe sie die Strategie änderte und die Kursbindung offiziell aufgab. Ebenso räumte sie im Bankensektor auf, wickelte bis heute fast 500 Pleitebanken ab und bereitete eine russische Alternative zum westlichen Interbanken-Netzwerk SWIFT vor. Und natürlich, wie es sich für überzeugte wirtschaftsliberale und konservative Ökonomen gehört, hält sie den Zins für einen wirksamen Hebel zur Steuerung der Wirtschaft und Inflationsbekämpfung für die oberste Aufgabe der Zentralbank. Immer wieder hob sie den Zins mehrere Prozentpunkte an, um die Inflation in Schach zu halten – auch wenn die Wirtschaft deshalb in die Krise stürzte. Die hielt an der Strategie fest, koste es, was es wolle. Sie befürwortete Russlands jahrelange Austeritätspolitik, die teilweise noch schärfer war als die europäische, sowie klassische liberale Arbeitsmarktreformen, die auf Lohnsenkung und Abbau von Arbeitnehmerrechten beruhen.
Ihr Team bei der Zentralbank hat sie mit Yale- und Havard-Absolventen verstärkt. Auch die vertreten wirtschaftsliberale Überzeugungen. Geprägt vom Jelzin-Chaos in den 1990ern ist sie aber im Zweifel Pragmatikerin statt Ideologin und weicht von ihrem Kurs ab. Bester Beleg dafür: Zu Beginn von Putins Invasion verhängte sie massive Kapitalkontrollen und intervenierte abermals mit Milliarden an Devisen, um den Rubelabsturz zu verhindern. Die wirtschaftsliberale Überzeugung teilt sie mit ihrem damaligen Mentor, Jewgeni Jasin. Jasin war übrigens bis 2021 akademischer Leiter der renommierten Moskauer Higher School of Economics. Deren Rektor wiederum ist Jaroslaw Kuzminow, Nabiullinas Fachkollege und Ehemann in Personalunion. Die beiden lernten sich während ihres Studiums in Moskau kennen. So schließen sich die Zirkel immer wieder.
Vor der Invasion wurde sie im Westen von Mainstream- Ökonomen und westlichen Wirtschaftsjournalisten für ihre Geldpolitik gefeiert. Die Zeitschrift Euromoney zeichnete Nabiullina 2015 zur Zentralbankerin des Jahres aus. 2017 wurde sie von der britischen Zeitschrift The Banker zur besten Zentralbankerin Europas gewählt. Und 2019 schaffte sie es auf Platz 53 der Liste der einflussreichsten Frauen der Welt des Forbes-Magazins. All das, während Russlands Annexion der Krim längst geschehen war und russische Regierungspolitiker pauschal einen schlechten Ruf in Europa genossen.
Dass sie vom Krieg nichts hält, kann Nabiullina nicht verstecken. Daher auch ihr vermeintliches Rücktrittsgesuch, das Putin ablehnte, sowie das Ende ihres symbolischen Markenzeichens, auf Pressekonferenzen eine Brosche am Kragen zu tragen, die ihre geldpolitische Botschaft unterstreichen soll. Die schwarze Kleidung und ihr aschfahles Gesicht bei der ersten Pressekonferenz nach Putins Invasion lassen tief blicken. Als Technokratin und Staatsdienerin scheint sie aber ein Pflichtgefühl zu haben, das Beste aus der Situation zu machen. Das forderte sie auch von ihren Mitarbeitern, als sie Anfang März 2022 eine interne Videobotschaft mit der Botschaft verschickte, politische Diskussionen bei der Arbeit, aber auch zu Hause zu unterlassen. Die würden bloß Kräfte verbrennen, die für das eigentliche Ziel der Zentralbank nötig seien, nämlich dass »Menschen und Unternehmen diese Periode mit so wenig Verlusten wie möglich durchstehen«. Ein Appell an das Pflichtbewusstsein, bei dem klar wird, dass sie eigentlich ein Fremdkörper im System Putin ist.
Obwohl sie zurückhaltend wirkt, gar eine leise Stimme und zierliche Figur hat, gilt sie als meinungsstarke Führungsfigur und nicht als Duckmäuserin. Sie ist anders als der russische Standardbeamte, der gesichtslos dem autokratischen Putin-System zuarbeitet. Und sie ist gewiss verschieden von der russischen Machtelite, zu der sie qua Funktion eigentlich selbst gehört. Die Elite samt Putin neigt zu Korruption und Prunksucht: Yachten, Jets, Villen – größer, goldener, prächtiger. Nabiullina nicht. Sie gilt als unempfänglich für derartige Statussymbole. Trotzdem trägt auch sie als saubere Technokratin Verantwortung für Putins Invasion. Und Schuld. Sie finanziert und verlängert sie. Sie hat sich zur Handlangerin eines Kriegstreibers gemacht – ebenso wie alle anderen Regierungsmitglieder und die schon erwähnten Oligarchen. Was dabei überrascht: Als mächtigste Bankerin Russlands steht sie Ende August nicht auf der EU-Sanktionsliste.

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Wieso wird der Präsident der russischen Föderation in diesem Buch derart despektierlich behandelt? Hat der frühere Präsident der Ukraine, Poroschenko, nicht vor geraumer Zeit erklärt, die Verhandlungen über Minsk II seien Scheinverhandlungen gewesen? Und hat Frau Merkel diesen Sachverhalt nicht jüngst bestätigt?
Dieser Krieg begann nicht am 24. Februar 2022. Sondern acht Jahre vorher als die Putschregierung von Nulands Gnaden in Kiew, den Menschen im Donbass den Krieg erklärte und sie militärisch angriff. Wer nicht sehen kann oder sehen will, dass auch dieser Wirtschaftskrieg dem Bestreben entspringt, die USA als alleinige Weltmacht zu erhalten, sollte von geopolitischen Einordnungen lieber Abstand halten.
Sorry, aber das musste sein.