Scholz' fataler AfD-Kurs
Der Kanzler redet der AfD das Wort statt Probleme zu lösen – ein Eigentor.
Das neue Spiegelcover hat große Wellen geschlagen. Darauf zu sehen: Bundeskanzler Olaf Scholz, eine eiskalte Mine und sein verkürztes Zitat »Wir müssen endlich im großen Stil abschieben«. Die Intention ist offensichtlich: Der Kanzler will sich gegen die AfD und CDU inszenieren, indem er ihnen die Forderungen klaut und den harten Durchgreifer gibt. Immerhin hat die SPD seit ihrer Bundestagswahl zehn Prozentpunkte in Umfragen verloren, während die CDU fünf gewonnen und sich die AfD auf 23 Prozent verdoppelt haben. Der Weg ist aber eine Sackgasse – strategisch und praktisch.
Zuerst zur Strategie: Man kann bei der AfD keine Wähler schnorren, indem man AfD-Floskeln kopiert und AfD-Themen groß macht. Erstens wählen die Leute das Original und nicht die opportunistische Kopie. Und zweitens macht man die AfD-Forderungen so konsensfähig und legitimiert nebenbei, dass die AfD die Agenda bestimmen darf. Beides stärkt die AfD statt die SPD. Eigentor.
Im Interview wird Scholz darauf sogar angesprochen.
SPIEGEL: Als Bundeskanzler haben Sie nicht so geredet. Sie haben Ihre Innenministerin Nancy Faeser mit dem Thema allein gelassen. Unser Eindruck ist, dass erst die Ergebnisse der AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen Sie zum Umsteuern bewegt haben.
Scholz: Ihr Eindruck ist falsch. Ich bin dagegen, dass man taktische Politik macht. Es muss immer um die Sache gehen, um die konkrete Lösung von Problemen.
…
SPIEGEL: Haben Sie keine Angst, dass die AfD ihren Wählerinnen und Wählern demnächst erzählt: Wir haben recht gehabt, jetzt hat es auch der Bundeskanzler eingesehen?
Scholz: Na, das wäre eine krasse Falschbehauptung. Solche Sorgen dürfen einen aber nicht davon abhalten, das zu tun, was einem richtig erscheint.
Die Antwort ist aber eine Ausrede. Es ist nämlich kein Zufall, dass die Ampel gerade jetzt ein Gesetz für längere Abschiebehaft und schnellere Asylverfahren entwirft. Und auch nicht, dass der Kanzler bei Rekordumfragen und Landtagswahlergebnissen der AfD so harsch in die Asyldebatte einsteigt.
Mit dem Interview und dem Cover hat Scholz das Thema ganz oben auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei ist die Asyldebatte schon jetzt viel größer als ihre wirkliche Bedeutung. Denn mal ehrlich: Wie viele Menschen sind in Deutschland in ihrem Alltag konkret davon betroffen, dass abgelehnte Asylbewerber ohne Duldung nicht schnell genug abgeschoben werden?
Ablenkungen und Projektionsflächen
Die ganze Abschiebe-Debatte ist ein großes Ablenkungsmanöver. Solange über Abschiebungen gesprochen werden kann, muss man nicht über kaputte Infrastruktur, fehlende Kitaplätze, insolvente Krankenhäuser, steigende Mieten, schlechte Löhne oder sterbende Innenstädte sprechen. Das ist bequem, weil jeder mit dem Finger auf die abgelehnten Asylbewerber zeigen kann – und der Finger nicht auf die Regierung gerichtet wird.
Aber natürlich verfängt die Debatte bei so vielen Menschen, weil sie ihre Ängste und Sorgen darauf projizieren können. Ein Bundeskanzler, der sich im Wahlkampf noch Respekt-Kanzler genannt hat, sollte das erkennen – und Lösungen für die berechtigten Ängste und Sorgen anbieten.
Im Interview gesteht Scholz auf die Frage nach dem Rechtsruck zwar ein, dass Menschen verunsichert sind, schiebt die Verantwortung allerdings weit von der Ampel weg.
SPIEGEL: Haben Sie eine Antwort? (Kontext: Gründe für den Rechtsruck)
Scholz: Das hat etwas mit Unsicherheiten zu tun. Viele Bürgerinnen und Bürger sind verunsichert, auch wenn sie wirtschaftlich gut dastehen. Die Pandemie hat solche Sorgen verstärkt. Kaum waren wir da raus, hat Russland die Ukraine überfallen. Und über allem schwebt die große Frage, wie wir den menschengemachten Klimawandel aufhalten können.
Der zweite Satz ist dazu ein Schlag in das Gesicht von Millionen Menschen, die trotz Arbeit kaum über die Runden kommen und im letzten Jahr einen Reallohnverlust von vier Prozent wegstecken mussten. Den Verunsicherten mitten in einer Inflation und Wirtschaftskrise vorzugaukeln, dass sie ja wirtschaftlich gut dastehen, ist blanker Hohn.
Eine große Scheinlösung
Außerdem sind die geforderten Abschiebungen eine Scheinlösung. Dafür reicht ein Blick auf die nackten Zahlen. In dem Artikel »Abschiebungen helfen überlasteten Kommunen nicht« hatte ich die Zahlen von Ende 2022 mal aufgedröselt. Mittlerweile gibt es neue Zahlen und die sind noch eindeutiger.
Zu Erinnerung: In einer Diskussionsrunde bei der Welt sagte Merz vor zwei Wochen, dass "300 000 Asylbewerber abgelehnt" seien, die "nicht ausreisen" und die vollen Leistungen bekämen. Die Linksfraktion hat die Zahlen für Ende August bei der Regierung abgefragt.
Per Ende August waren 261.925 Personen ausreisepflichtig. Davon sind allerdings nur weniger als zwei Drittel abgelehnte Asylbewerber, nämlich genau 155.448. Der Rest ist aus anderen Gründen ausreisepflichtig, etwa weil Visum oder Aufenthaltserlaubnis abgelaufen sind. Diese Personen gehören aber nicht zur Asyldebatte. Ende 2022 waren es noch 167.848 abgelehnte Asylbewerber. Kurz festhalten: Merz hat sich also um das Doppelte vertan.
Diese 155.448 Personen können aber nicht alle abgeschoben werden. 135.984 der abgelehnten Asylbewerber verfügen über eine Duldung, also etwa neun von zehn Menschen. Darunter sind beispielsweise Menschen, die eigentlich nicht in Deutschland bleiben dürfen, aber nicht abgeschoben werden, weil sie etwa eine Berufsausbildung begonnen haben, ein Kind mit Aufenthaltserlaubnis haben oder eine Rückkehr ins Herkunftsland aus humanitären Gründen nicht möglich ist.
Bleiben also noch 19.464 Personen über, die ausreisepflichtig sind und keine Duldung haben. Über diese Leute spricht Scholz, wenn er sagt: »Wir müssen endlich im großen Stil diejenigen abschieben, die kein Recht haben, in Deutschland zu bleiben«. Dabei wurden dieses Jahr schon etwa 8.000 Menschen abgeschoben. Es ist also nicht so, dass das gar nicht passiert.
Die Kommunen würden nicht einmal merken, wenn diese 19.464 Personen abgeschoben würden, weil das nicht einmal ein Prozent aller Geflüchteten entspricht, die sich in Deutschland aufhalten. Nicht einmal ein Prozent!
Die Frage stellt sich deshalb: Ist es klug für einen SPD-Kanzler, der AfD und CDU nach dem Mund zu reden und deren Themen hochzuhängen? Vor allem dann, wenn die Forderungen nach ihrer Umsetzung nicht einmal praktisch etwas verändern würden? Wohl kaum. Der Kanzler schießt Eigentore.
Was Kommunen wirklich helfen würde, habe ich in diesem Artikel beschrieben.
Traurigerweise schlägt das Spiegelcover auch in die selbe Kerbe. Scholz scheint mir ein sturer Charakter zu sein. Sein Verständnis von „Führen“ heißt, jeder Kritik zu trotzen sobald er sich, nach langer Zurückhaltung den lautesten Schreihälsen angepasst hat. Dementsprechend freut sich jetzt auch nur die AFD, dass es ihr Politik mit Kanzlerunterstützung auf das Cover geschafft hat.
Das Verhalten der PolitikerInnen ist fatal, der Medien leider auch. Beide richten sich nach Sensationen egal was die Konsequenz bedeuten.
Danke hier für deine erklärenden Texte und deine Position!
Danke Maurice für diesen Artikel. Ich war auch schockiert, als ich das Spiegel Interview von Scholz gelesen habe. Wenigstens gibt es in der SPD auch andere Stimmen, die ihn und diese Politik kritisieren. Meine Befürchtung ist leider, dass in der Gesellschaft genau diese Postionen mittlerweile eine Art Konsens sind: Grenzen dichtmachen, abschieben, keine Bargeld auszahlen, zu Arbeit zwingen,... nicht zu ertragen. Du und deine Erklärung und Fakten brauchen einfach mehr Reichweite!