Sie verlieren das Spiel der Rechtspopulisten, Herr Merz!
Ein offener Brief an den möglichen Bald-Kanzler Merz
Sie hätten Ihrem Affekt nicht nachgeben dürfen, Herr Merz. Getrieben von steigenden Umfragewerten der AfD und womöglich inspiriert von Donald Trump haben Sie das Attentat in Aschaffenburg billig instrumentalisiert. Nicht nur mit Worten, sondern mit Taten – historischen Taten. Das erste Mal seit dem Nationalsozialismus haben Sie rechtswidrigen Schaufenster-Anträgen Mehrheiten mit den Stimmen der rechtsextremen AfD beschafft. Um die Union als Law- and Order-Partei zu inszenieren. Ausgerechnet nach einer Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus.
Sie haben Ihre Gegner zum Jubeln und Ihre Verbündeten zum Verzweifeln gebracht.
Nun ist der Schaden angerichtet. Für Sie selbst, für die CDU, für die Demokratie – und für alle rechtschaffenden Asylsuchenden. Der Bundestag ist blamiert, die Altkanzlerin Merkel (dazu ihre Erzfeindin) bedient, die Kirchen bestürzt und die Bürger besorgt.
Gewonnen hat nur die AfD. Das hätten Sie allerspätestens merken müssen, als der AfD Abgeordnete Baumann Ihnen vom Bundestagspult aus entgegenplärrte: „Jetzt stehen Sie hier mit schlotternden Knien, Herr Merz, und bedauern das“. Als er in unnachahmlicher und frenetischer Arroganz verkündete: „Das ist eine breite Bewegung des Bürgertums, die jetzt auch in Deutschland angekommen ist. Hier beginnt jetzt eine neue Epoche!“.
Sie haben Ihre Gegner zum Jubeln und Ihre Verbündeten zum Verzweifeln gebracht. Die Ministerpräsidenten Daniel Günther und Kai Wegner kündigten längst an, Ihren für Freitag geplanten Gesetzentwurf zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ im Bundesrat abzulehnen. Die Kirchen halten Ihre Anträge für rechtswidrig, die Tonlage für befremdlich und beklagen, sie würden Vorurteile schüren – eine vernichtende Kritik für eine Partei mit C im Namen. Zehntausende demonstrieren auf den Straßen und vor Ihrer Parteizentrale.
Die Auschwitz-Überlebende Eva Umlauf warnt Sie in einem offenen Brief, mit Rechtsextremisten zusammenzuwirken und quittiert Ihnen, die Brandmauer „in ihren Grundfesten erschüttert“ zu haben. Der Holocaust-Überlebende Albrecht Weinberg will sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Der jüdische Publizist Michel Friedman hat angekündigt aus Ihrer Partei auszutreten. Die Altkanzlerin Merkel sieht sich genötigt, Ihnen öffentlich einen Fehler zu attestieren. Sie halte es für "falsch", (...) "sehenden Auges erstmalig bei einer Abstimmung im Deutschen Bundestag eine Mehrheit mit den Stimmen der AfD zu ermöglichen", schreibt sie. Womöglich auch, um Ihre Parteikollegen zum Widerspruch zu ermutigen, die Ihnen zwar widerwillig, aber aus Loyalität folgen. Noch!
Sie verlieren außerdem den letzten Rest an Glaubwürdigkeit. Erstens, weil sie noch nach dem Ampel-Aus versprochen hatten, keine rechten Zufallsmehrheiten nutzen zu wollen. Und zweitens, weil Sie nach der Bundestagswahl an diesen Anträgen gemessen werden. Anträge, die absehbar im Bundesrat abgelehnt werden und sowohl gegen die Verfassung als auch das europäische Recht verstoßen. Ergo: gar nicht umsetzbar sind.
Sie spielen mit einer solchen Symbolpolitik das Spiel der Rechtspopulisten. Dabei zeigen alle Analysen und wissenschaftlichen Untersuchungen seit Jahren: Wer die Themen der Rechtspopulisten bespielt, erst recht in theatralischer, emotionalisierender Weise, stärkt nur die Rechtspopulisten – und vergiftet die öffentliche Debatte.
Deutschland kann sich in einer Welt, die aus den Fugen geraten ist, keinen affektgetriebenen Kanzler leisten. Ebenso wenig die deutsche Wirtschaft einen Kanzler, der wiederholt Vorurteile gegen Ausländer schürt und an den Pfeilern der EU sägt. Die Firmen brauchen den europäischen Binnenmarkt so sehr wie Arbeitskräfte aus anderen Ländern. Das Recht und der Anstand gebieten zudem, Menschen Schutz zu bieten, die vor Elend anderswo fliehen.
Ich ende in den Worten der Auschwitz-Überlebenden Eva Umlauf: „Kehren Sie um, Herr Merz, so schwer es Ihnen auch fallen mag!“
Ich hoffe darauf, dass jetzt das Drittel der Bevölkerung endlich aufwacht und versteht, was für eine Partei und vor allem was für ein Kanzlerkandidat das ist. Ich hoffe, dass das der Moment sein könnte, in dem auch dieses Mal die Wahl noch kippt und sie wieder von den 30% auf zumindest 25 stürzen. Und ich hoffe, dass das dann kein Wahlsieg für die AfD bedeutet.
So wird der doch kein Kanzler. Was dümmeres hätte Merz bzw. die CDU so kurz vor der Wahl nicht machen können. Er wollte mit der Aktion AfD-Wähler einfangen und als Ergebnis verliert er sogar noch diese. Wie blöd kann man sein. Die Machtgeilheit scheint bei hochrangingen Mitgliedern der Union bestimmte Hirnareale zu blockieren.
Nein, im Ernst. Ich bin echt erschüttert. Schlimm ist auch, dass Merz die Schuld auch noch Scholz und Habeck in die Schuhe schiebt, weil sie nicht zustimmen wollten.