Das verzeihe ich Ihnen nicht, Herr Spahn
Neue Gerichtsurteile zeigen: Spahn hat bei der Maskenbeschaffung Lieferanten um Milliarden geprellt, aber Berater und sein Netzwerk reich gemacht
Herzlichen Glückwunsch, Herr Spahn. Das schafft nicht jeder: Einen Minister-Skandal, der 15-Mal größer ist als der Maut-Skandal von Andi Scheuer. Genauer gesagt: 3,5 Milliarden Euro, vielleicht noch mehr.
Sie tingeln dieser Tage von Talkshow zu Talkshow, geben den besorgten CDU-Wirtschaftsexperten und fordern Kürzungen bei Asylbewerbern und Arbeitslosen. Leider fragt Sie keiner der überbezahlten Talkshowmaster, wie viele erniedrigende Bürgergeld-Sanktionen man verhängen müsste, um Ihre verbratenen 3,5 Milliarden Euro wieder einzusparen. Kleine Rechenhilfe: Dafür müsste man einer halben Million Bürgergeldbezieher den kompletten Regelsatz für ein ganzes Jahr streichen. Damit sollte man Ihnen die Maske des „Wirtschaftsexperten“ von Ihrem unterkühlten Pokerface reißen.
Wir halten fest: Sie, Herr Spahn, haben zu viele Masken zu überteuerten Preisen in einem Chaos-Verfahren eingekauft, das die Lieferanten geprellt, aber Kanzleien und Berater reich gemacht hat.
So hat Jens Spahn Lieferanten geprellt und Berater reich gemacht
Woher kommen die 3,5 Milliarden Euro? Dafür müssen wir einmal zurück in den März 2020. Als Corona über das Land brach, hatte der Bund zu wenig FFP2-Masken. Um schnell Masken zu beschaffen, hat Spahn die Kanzlei Müller-Wrede eine Ausschreibung konzipieren lassen. Das Ergebnis: Eine Open-House-Ausschreibung. Die ging so: Jeder Lieferant, der bis zum 30. April 2020 Masken zum Preis von 4,50 € pro Stück liefern konnte, bekamt im Open-House-Verfahren automatisch den Zuschlag für das Geschäft. Ohne Grenze!
Obendrein versprach Spahn, innerhalb von einer Woche nach Lieferung zu zahlen. Schnell war klar: Die Konditionen waren viel zu lukrativ. Schon zwei Euro pro Maske wären ein guter Deal für die Lieferanten gewesen, aber 4,50 Euro waren eine Gelddruckmaschine. Innerhalb weniger Tage hatten sich deshalb 700 Lieferanten den goldenen Deal gesichert. Viel zu viele! Weder brauchte Deutschland so viele Maske, noch gab es genug Lagerkapazität, noch war im Haushalt genug Geld eingeplant, um die alle zu bezahlen. Das Open-House-Verfahren war wie eine öffentliche Einladung zu einer Facebook-Party, die dann viral geht und völlig eskaliert.
Chaos und Panik im Gesundheitsministerium. Um das in den Griff zu bekommen, holte Spahn 50 Berater-Buddies von EY – Ernst & Young – ins Haus. Ohne Ausschreibung, ohne Verhandlung mit Konkurrenten, dafür mit üppigem Honorar von zehn Millionen Euro für nur sechs Monate. Heute wissen wir: EY blieb länger als sechs Monate und kassierte fast 50 Millionen Euro an Honorar. Zur Erinnerung: EY ist das Unternehmen, das bei Wirecard zehn Jahre lang frisierte Bilanz ohne Wimpernzucken durchgewunken hat. Hat Spahn nicht gestört.
Die Aufgabe der Berater: Den Bund aus möglichst vielen Verträgen holen, um Geld zu sparen. Das gelang über drei Wege. Erstens beendeten die Berater an ihrem ersten Tag gleich die Ausschreibung vorzeitig, um nicht noch mehr überflutet zu werden. Zweitens stellte man beim Logistikunternehmen Fiege, das die Lagerung für den Bund übernommen hat, einfach zu wenige Lieferzeitfenster für die ganzen Lieferanten bereit. Das Kalkül: Damit konnten die Lieferanten nicht zum Fixtermin am 30. April liefern und der Bund sich auf den Verträgen winden. Und drittens: Vielen Lieferanten wurde mangelhafte Qualität unterstellt und die Rechnungen gekürzt, allerdings in vielen Fällen ohne vernünftige Nachweise.
Nebenbei: Fiege hat damit wie EY ein Vermögen verdient, ebenfalls ohne Ausschreibung, kommt zufällig aus Spahns Nachbarwahlkreis und hat enge Verbindungen in die CDU, beispielsweise sitzt der frühere Chef Hugo Fiege im CDU-Wirtschaftsrat. Zufall, na klar. So wie Spenden-Dinner mit 9.999 Euro für den Wahlkampf von Spahn – ein Euro unter der Veröffentlichungsgrenze. Alles Zufall.
Berücksichtigt man die Honorare für Berater, die Mondpreise in der Beschaffung und die Kosten für die Vernichtung von rund drei Milliarden zu viel beschafften Masken, wird der Skandal noch teurer. Dagegen ist der Maut-Schaden von Scheuer ein Kindergeburtstag.
Hunderte Klagen und Urteilsschlappen für Spahn
Das haben sich die Lieferanten aber nicht gefallen lassen. Mehr als 140 Lieferanten, die auf ihren Masken sitzen geblieben waren und vom Bund geprellt wurden, haben vor Gerichten geklagt. Nur verständlich, oder?
Schon das Landgericht Bonn hatte die Ausrede des Bundes, wegen zu später Lieferung vom Fixgeschäft zurückzutreten, nicht akzeptiert. Die Begründung des Gerichts: Bei anderen Fällen im Rahmen des Open-House-Verfahrens habe der Bund Lieferungen deutlich nach dem 30. April 2020 akzeptiert – konkret noch Ende Mai. Zudem verweisen die Richter auf andere Einkaufskanäle, über die das Gesundheitsministerium im Frühjahr 2020 große Mengen an Masken bestellt hatte. Konkret erwähnen sie auch die Geschäfte mit der fragwürdigen Schweizer Firma Emix Trading, die laut dem Urteil sogar noch kurz vor Weihnachten 2020 Masken lieferte und mit denen Spahn sogar noch Ende April – trotz Maskenflut – neue Verträge schloss, dazu noch zu Preisen von fast sechs Euro pro Stück (und millionenschweren Vermittlungsprovisionen für Andrea Tandler aus dem CSU-Netzwerk, die mittlerweile zu vier Jahren Haft verurteilt wurde, weil sie so dreist war, die Provisionen nicht zu versteuern; Stichwort: Gier frisst Hirn). Dies belege eindeutig, dass für den Bund auch nach dem Ende des Open-House-Verfahrens Schutzmasken „weiterhin von Interesse waren“, so die Richter.
Nun gibt es ein neues Urteil des Oberlandesgericht Köln. Das OLG Köln stellte für zwei klagende Lieferanten fest, dass die Klausel zum Fixtermin am 30. April die Lieferanten „unverhältnismäßig benachteiligt“ hätte und das Ministerium den Lieferanten eine Nachfrist hätte setzen müssen. Die Folge: Sieg für die Lieferanten, Niederlage für Spahn; der Bund muss Schadensersatz zahlen, womöglich aber nicht nur an die zwei Lieferanten, sondern an alle, die dagegen geklagt haben.
3,5 Milliarden Euro Schadensersatz
Nach Angaben des Ministeriums geht es bei den noch offenen rund 100 Verfahren um 2,3 Milliarden Euro. Darauf kommen allerdings noch saftige Zinsen und Rechtskosten. Realistischer sind also eher 3,5 Milliarden Euro. Und dabei fehlen noch die Kosten, die dem Bund für die Vergleiche entstanden sind, die er mit anderen Klägern stillschweigend vereinbart hat.
Berücksichtigt man die Honorare für Berater, die Mondpreise in der Beschaffung und die Kosten für die Vernichtung von rund drei Milliarden zu viel beschafften Masken, wird der Skandal noch teurer. Dagegen ist der Maut-Schaden von Scheuer ein Kindergeburtstag.
Bitter: Spahns Nachfolger Lauterbach hatte Aufklärung im Maskenskandal versprochen, bisher aber Aufklärung blockiert, indem wichtige Dokumente vom Licht der Öffentlichkeit ferngehalten werden. Auch will Lauterbach das Urteil vom OLG Köln nicht akzeptieren und erwägt Rechtsmittel dagegen einzulegen. Einfach wird das aber nicht, denn das OLG Köln hat keine Revision gegen sein Urteil zugelassen. Der Gang in die nächste Instanz zum Bundesgerichtshof ist damit ausgeschlossen.
„Wir werden einander viel verzeihen müssen“
Wir halten fest: Sie, Herr Spahn, haben zu viele Masken zu überteuerten Preisen in einem Chaos-Verfahren eingekauft, das die Lieferanten geprellt, aber Kanzleien und Berater reich gemacht hat. Wohlwollend ausgelegt ist das Versagen, realistischer ist bei all Ihren krummen Deals, Beteiligungen und Spenden-Affären aber Vorsatz. Sie sind kein Wirtschaftsexperte, Sie sind ein gieriger Politparasit, der seine Macht mit Kontakten vergoldet.
Ihr Corona-Buch trägt den Titel: „Wir werden einander viel verzeihen müssen“. Sie zeigen weder Reue noch Einsicht, sondern nur Ignoranz und Arroganz. Ihr Schaden ist weitaus größer als die Milliardensumme. Sie bringen das Parlament in Verruf und fördern Politikverdrossenheit. Damit werden Sie zum Erntehelfer für die AfD. Ich werde Ihnen das nicht verzeihen. Und Ihr?
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Wieder mal ein Paradebeispiel, wie die Union unser demokratisches System nach und nach aushöhlt und die Schuld auf andere schiebt. Die gesamte Unions-Führungsriege hat Null Weitblick.
Das sieht man schon daran, dass Merz und Spahn letztens bei Enpal auf einmal die Wärmepumpe anpreisen und Merz noch die Frechheit besitzt zu sagen "Da hätten wir letztes Jahr mehr verkaufen müssen" und Herr Weber vor der EU-Wahl kraftvoll gegen das angebliche Verbrennerverbot wettert, um letzte Woche eine Lobpreisung auf sein privates E-Auto zu singen (Übrigens genau wie unser "kompetenter" Verkehrsminister-Darsteller).
Die Konservativen und Liberalen sind mittlerweile auf einem Level an Verlogenheit angekommen, das man sich niemals hätte vorstellen können. Aber das spiegelt ja auch nur die gleiche Attitüde von zwei Drittel unserer Mitbürger wieder.
Die Dimensionen sind erschreckend, auch mit Blick darauf dass das Ausschreibungsverfahren durch eine juristische Begleitung eigentlich hätten gegen solche Entwicklungen abgesichert werden sein sollen. Wäre zumindest meine Erwartung und Anforderung als Auftraggeber gewesen. Zum Artikel: Ich hätte mich über sachlichere Formulierungen gefreut, war für mich zu emotional geschrieben. Für den Inhalt fände ich noch Quellenangaben unterstreichend.