Veggie-Wurst-Verbot: Kulturkampf gegen Transformation
Das EU-Parlament beschließt, vegane Wurst darf nicht mehr Wurst heißen. Das ist nicht nur albern, sondern auch schlecht für Wirtschaft und Klimaschutz
Und schon wieder können Rechte einen symbolischen Erfolg für sich verbuchen. Mit den Stimmen der Konservativen haben sie ein Begriffsverbot durch das Europäische Parlament gepeitscht. Begriffe wie „Burger“, „Wurst“ oder „Schnitzel“ sollen künftig Fleischprodukten vorbehalten sein. Für pflanzliche Alternativen heißt es dann: Umbenennen, neu etikettieren, neu vermarkten.
Auf den ersten Blick kann man sagen: Nebenthema, Kulturkampf, lächerlich. Auf den zweiten Blick aber ist es ein Lehrstück darüber, wie der Rechtsruck die Transformation der Wirtschaft ausbremst, Milliardenkosten verursacht – und sich selbst in Widersprüche verwickelt, die in der öffentlichen Debatte sonst untergehen.
Der mündige Bürger, dem keine Auswahl zwischen Tofu- und Schweinewurst zugetraut wird, soll aber selbst herausfinden, dass ein Rindersteak 20-mal so viele CO2-Emissionen verursacht wie ein Soja-Steak?
Verbot für den Verbraucherschutz?
Offiziell ging es bei dem Antrag um Verbraucherschutz. Die Leute sollen am Kühlregal nicht „verwirrt“ werden. Es bestehe ein „echtes Verwechslungsrisiko“, weil pflanzliche Ersatzprodukte nicht die gleichen Nährwerte böten wie die tierischen Originale, rechtfertigte sich etwa die zuständige EVP-Abgeordnete Imart. Jeder weiß: das ist an den Haaren herbeigezogen.
Niemand greift aus Versehen Tofu-Würste aus dem Regal und merkt das erst, wenn sie das Grillrost treffen. Schon das Verpackungsdesign der Ersatzprodukte schreit einem entgegen, dass es um Würste, Schnitzel und Burger aus Pflanzen geht. Grüne Verpackung, Vegan- oder Vegetarisch-Logo, eindeutige Zutatenliste, zumeist in gesonderten Regalen einsortiert, räumlich weit von den Fleischregalen entfernt. Ganz zu schweigen davon, dass man das Fertig-Schnitzel aus einem gemästeten Spaltböden-Schwein nicht mit irgendwelchen Nährstoff-Argumenten verteidigen zu versuchen sollte. Das ist wissenschaftlich widerlegt. Das Gegenteil ist der Fall: Die meisten Menschen essen deutlich mehr Fleisch, als für ihre Gesundheit gut wäre, wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung immer wieder betont.
Überhaupt ist die Liste an Widersprüchen lang. Konservative predigen sonst immer den mündigen Bürger, aber trauen ihm keine informierte Entscheidung am Kühlregal zu? Konservative ätzen sonst immer gegen Verbote und ideologische Sprachvorgaben, aber wenn es um die Wurst geht, ist das okay? Konservative wettern ständig gegen Bürokratie, erst recht jene aus der EU, aber stimmen jetzt im EU-Parlament über kleinteilige Begriffsverbote ab?
Ein Geschenk an die Agrar-Lobby
In Wahrheit aber ist das Verbot ein Geschenk an die Agrar-Lobby, die sich der Transformation bockig verweigert. Diese Lobby sieht ihr Geschäft bedroht, weil der Fleischkonsum in Europa tendenziell sinkt, weil immer mehr Verbraucher aus ethischen, gesundheitlichen oder ökologischen Gründen zu pflanzlichen Alternativen greifen, und weil immer mehr Verbraucher merken: Schnitzel, Hack und Aufschnitt sind dem fleischlichen Vorbild in Geschmack und Textur inzwischen so ähnlich, dass der Wechsel leichtfällt. Zurecht. Denn: Nicht jedes Pausenbrot und jede Bolognese-Sauce brauchen totes Tier. Das außerdem im Vergleich zu den pflanzlichen Alternativen unnötig viele CO2-Emissionen verursacht sowie ungleich mehr Grundwasser und Fläche verbraucht.
Die gesamte Produktion von tierischen Lebensmitteln ist ein noch immer unterschätzter Klima-Killer. Und eine große Energieverschwendung. Von 100 Kalorien, die aufgewendet werden, um Fleischprodukte im Kühlregal liegen zu haben, kommen bei den Verbrauchern (je nach Art des Tieres) oft weniger als zehn Kalorien an. 90 Prozent verschwendete Energie!
Europa hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu werden. Doch das Verbot bremst diejenigen aus, die daran arbeiten, dieses Ziel zu erreichen: Unternehmen, die pflanzliche Alternativen entwickeln, Start-ups, die viel Geld in Forschung und neue Proteinquellen investieren, sowie Landwirte, die bereits auf Erbsen, Soja oder Hafer setzen. Sie alle sollen künftig Produkte neu benennen, Marken neu aufbauen und Verbraucher mühsam neu erreichen. Das fatale Signal dieses Verbots: Wer auf neue Märkte setzt, hat am Ende das Nachsehen, je mächtiger die rechten Kräfte werden.
Übrigens: Ein verpflichtendes CO2-Label auf Lebensmitteln lehnen Konservative ab. Der mündige Bürger, dem keine Auswahl zwischen Tofu- und Schweinewurst zugetraut wird, soll aber selbst herausfinden, dass ein Rindersteak 20-mal so viele CO2-Emissionen verursacht wie ein Soja-Steak? Und 15-mal mehr Fläche benötigt. Und zehnmal mehr Wasser verbraucht!
Kippt der Rat das Verbot noch?
Das Begriffsverbot schützt nicht die Verbraucher, sondern die große Agrarlobby, die seit Jahrzehnten von niedrigen Produktionskosten, Subventionen und ökologischen Folgekosten profitiert – auf dem Rücken von Tier- und Klimaschutz. Niemandem wird ein Schnitzel genommen, nur weil eine pflanzliche Variante denselben Namen trägt. Dafür aber Europas Glaubwürdigkeit in Sachen Klimaschutz riskiert, wenn nachhaltige Innovationen aus Angst vor Lobbyärger torpediert werden.
Das Verbot ist deshalb mehr als nur ein Streit um Worte. Es ist ein Symbol für den Rechtsruck, der sich aus Mangel an Lösungen für die Zukunft einfach blind an der Vergangenheit festklammert. Das Verbot ist das in Gesetz gegossene Instagram-Profil von Deutschlands größtem Polit-Food-Influencer – Markus Söder.
Immerhin: noch ist das Gesetz nicht durch. Ab nächster Woche verhandeln der Europäische Rat – also die Regierungsvertreter der 27 Mitgliedsstaaten – und das Parlament. Erst wenn ein gemeinsamer Text steht, kann das Gesetz in Kraft treten. Da der Rat zuletzt bei Klimagesetzgebungen progressiver abgestimmt hat als das Parlament, bleibt noch etwas Anlass zur Hoffnung. Auch wenn sich die ganze Debatte anfühlt wie Realsatire!
Die betroffene Firmen werden Lösungen für neue Namen finden, die Konsumenten werden ihre bevorzugten Produkte weiter entdecken. Am Ende entstehen ein Haufen Kosten und wirklich niemandem ist geholfen. Konservative gehen mir wirklich dermaßen auf den Sack.
Interessant: Adenauer, CDU, erfand die Sojawurst.
Ein Jahrhundert später kämpft die CDU dafür, dass sie nicht so heißen darf.
Manchmal schafft es Politik, ihre eigenen Ideen rückwirkend zu verbieten.
https://adenauerhaus.de/digital/unsere-originale/patent-fuer-die-sojawurst/25