Was die Aussetzung der Schuldenbremse jetzt bedeutet
Viel Jubel um Nichts: Die Ampel rettet ihren Hintern, mehr Geld gibt es aber nicht.
Pest oder Cholera? Dazwischen musste sich Finanzminister Lindner nach dem Urteil aus Karlsruhe entscheiden. Genauer gesagt: Schuldenbremse aussetzen oder sich Friedrich Merz ausliefern. Kein Wunder also, dass Lindners Pressestatement zur Aussetzung der Schuldenbremse nicht länger als 90 Sekunden dauerte. Nachfragen von Journalisten waren nicht zugelassen. Und die Worte „Notlage“ oder „Schuldenbremse aussetzen“ sind auch nicht gefallen.
Lindner versprach zwar „reinen Tisch zu machen“, der Auftritt bestand aber eher daraus, eine saubere Tischdecke über den schmutzigen Tisch zu werfen. Die Pressestelle des Finanzministeriums musste im Anschluss an Lindners Statement gar noch per Pressemitteilung für Klarheit bei den Journalisten sorgen. Die rätselten nämlich nach den 90 Sekunden, ob ein Nachtragshaushalt für das Jahr 2023 wirklich bedeutet, dass die Ampel ihre Kanzlermehrheit nutzt, um die Schuldenbremse doch noch auszusetzen. Aber, ja: Das bedeutet das.
Immerhin, kann man jetzt sagen: Christian Lindner erliegt offenbar keinem vollständigen Realitätsverlust und ist sogar noch zu Kompromissen mit Scholz und Habeck fähig. Andersherum: Seine bisherige Politik, die verfrühte Wiedereinhaltung der Schuldenbremse als politisches Marketing zu nutzen, stand offensichtlich mit der Realität auch auf Kriegsfuß. Nicht zu vergessen: Vor einem Jahr erklärte uns Lindner noch, die Inflation sei nicht mit „Politik auf Pump“ in den Griff zu bekommen; die Schuldenbremse sei eine Inflationsbremse und der Krieg und die hohen Energiepreise rechtfertigten im Jahr 2023 keine Notlage mehr. So viel zur Realität.
Jubel von links. Aber wofür eigentlich?
Vor allem von links wurde seit dem Urteil lautstark die Aussetzung der Schuldenbremse gefordert. Jubelmeldungen sind allerdings nicht angezeigt. Denn durch die Aussetzung der Schuldenbremse wird 2023 nicht ein einziger Euro mehr ausgegeben als bisher geplant. Nicht einer! Durch die Aussetzung verhindert die Ampel lediglich der CDU eine Steilvorlage zu geben, um noch mal nach Karlsruhe zu ziehen und zu den Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) ebenfalls als verfassungswidrig einstufen zu lassen.
Lindner setzt die Schuldenbremse also nicht aus ökonomischer Vernunft erneut aus, sondern aus der reinen Angst, noch einmal von Friedrich Merz und der Union blamiert zu werden. Die Aussetzung der Schuldenbremse ist nicht der Erfolg von progressiven Stimmen aus SPD und Grünen, sondern eine schlichte Verzweiflungstat als Antwort auf Merz.
Nochmal zum Hintergrund: die Richter aus Karlsruhe legten im Urteil erstmals fest, dass auch für Sondervermögen das Prinzip von Jährlichkeit und Jährigkeit gilt. Aus dem Verwaltungsdeutsch übersetzt: Gelder, die durch Aussetzung der Schuldenbremse eingeplant wurden, müssen noch im selben Jahr abfließen. Die Ampel hatte den WSF allerdings 2022 mit 200 Milliarden gefüllt und diese Gelder für die Preisbremsen bis zum März 2024 vorgesehen. Das geht nach dem Urteil nur, wenn 2023 und 2024 jeweils die Notlage festgestellt würde.
Überhaupt ist es rechtlich so: alle Gelder, die die Regierung wem versprochen hat, etwa bei der Strom- und Gaspreisbremse oder der Förderung von Solaranlagen, werden auch abfließen. Diese Zusagen darf die Regierung schon rechtlich gar nicht mehr kassieren. Lediglich neue Gelder für die nächsten Jahre, im Verwaltungsdeutsch: neue Verpflichtungsermächtigung, stehen auf dem Spiel.
Auch geht es beim WSF schon lange nicht mehr um 200 Milliarden Euro. Ja, die Ampel hat den Fonds damals mit 200 Milliarden Euro gegründet und sich vom Bundestag die rechtliche Zustimmung dafür geholt, 200 Milliarden Euro neue Schulden zu machen. Allerdings waren die 200 Milliarden von Anfang an sehr großzügig bemessen. So großzügig, dass es eben auf jeden Fall für die nächsten Jahre reicht. Denn: Nochmal wollte Lindner die Schuldenbremse nach 2022 ja nicht aussetzen. Eigentlich.
Dieses Jahr sind lediglich 45 Milliarden Euro aus dem WSF gebraucht worden. Wenn die Preisbremsen auslaufen, braucht es den WSF wohl gar nicht mehr. Die 200 Milliarden wären also so oder so nicht abgeflossen. Und, nein, auch ist die Vorstellung falsch, die Ampel hätte die 200 Milliarden Euro schon an Staatsanleihen verkauft und das Geld im Keller gebunkert. Die Staatsanleihen sind nicht verkauft. Es geht also nur um das reine Rechtskonstrukt, an dem die Ampel gerade herumschraubt.
2024 wird es ernst
Die entscheidende Debatte ist ohnehin nicht die um den Haushalt 2023, sondern die um den Haushalt 2024. Die ist aber erst einmal vertagt, der Haushaltsausschuss und die Beratung im Plenum wurden kurzerhand abgesagt. Dass Christian Lindner die Schuldbremse auch 2024 aussetzt, ist allerdings illusorisch.
Damit würde er seiner (neo-)liberalen Erzählung und den Erwartungen der FDP-Klientel widersprechen. An der FDP-Basis rumort es längst. Der sonst für seine Bitcoin-Shit-Takes bekannte Abgeordnete Frank Schäffler will auf dem NRW-Parteitag der FDP mit einem Dringlichkeitsantrag rote Linien beschließen. Darin soll unter anderem stehen: „Kein Aussetzen der Schuldbremse 2024“.
Die Preisbremsen vom Januar 2024 bis zum März 2024 werden deshalb über den normalen Haushalt ausgezahlt werden müssen und, ja, vielleicht andere Ausgaben verdrängen. Hier gibt es Kürzungsgefahr. Die geplanten Subventionen und Zuschüsse aus dem Klima und Transformationsfonds (KTF) hingegen wird Habeck wohl mit kreativer Buchführung retten können. Etwa, indem Zuschüsse für Bahninvestitionen als Eigenkapitalerhöhung an die Deutsche Bahn gegeben werden. Außerdem ist es so, dass die für 2024 geplanten 57 Milliarden Euro gar nicht so schnell abfließen werden wie geplant. Das war in den vergangenen Jahren auch schon so.
Was wird aus der Schuldenbremse?
Eine gute Seite hat die ganze Krise. Endlich redet das ganze Land über die Schuldenbremse. Selbst Clemens Fuest vom arbeitgebernahen Ifo-Institut, Markus Söder (CSU) und Kai Wegner (CDU) fordern, die Schuldenbremse zu reformieren.
Auch Peer Steinbrück, der als SPD-Finanzminister die Schuldenbremse 2009 durch den Bundestag peitschte, sagte im Interview mit der Zeit, die Schuldenbremse sei nicht mehr zeitgemäß. Ich würde zwar sagen, sie war nie zeitgemäß, aber späte Einsicht ist besser als keine Einsicht. Allein der Satz von Steinbrück könnte Rechtfertigung genug sein, um die Änderungen an der Schuldenbremse von 2009 rückgängig zu machen. Das Gesetz zu schreiben, dauert keine Minute und es bräuchte nicht einmal einen neuen Gesetzestext.
Mit der alten Regel waren Investitionen von der Schuldenbremse ausgeklammert. Auch dann wäre die Schuldenbremse nicht perfekt, noch lange nicht, aber wenigstens weniger schlimm. Immerhin. Und immerhin läuft die Debatte so heiß wie lange nicht. Das ist gut.
Es ist fantastisch das die Schuldenbremse endlich im öffentlich Raum in Frage gestellt wird. Hoffentlich werden auch mal die Fragen gestellt aus welcher wissenschaftlichen Grundlage die 0.35% entstanden sind und was eigentlich passiert wenn die Verschuldung auf 80% oder viel mehr steigen.
Ist es eigentlich angemessen sich jetzt über Lindners take lustig zu machen, die Schuldenbremse hätte eine höhere Weisheit? 😅