Wer ist der neue Finanzminister?
Erst Juso, dann Investmentbanker, Kanzler-Berater, Chefverhandler, und plötzlich: Finanzminister. Das ist Jörg Kukies
Nach drei Jahren ist es soweit: Olaf Scholz hat Christian Lindner als Finanzminister entlassen. Keine 24 Stunden später hat er sogar schon vom Bundespräsidenten seine Entlassungsurkunde überreicht bekommen. Und auch sein Nachfolger wurde schon vom Präsidenten ernannt: Jörg Kukies, 56 Jahre alt, seit langer Zeit SPD-Mitglied. Wer aber ist dieser Mann?
Bisher war Kukies als Staatssekretär im Bundeskanzleramt verantwortlich für Wirtschafts-, Klima- und Europapolitik. Neben Pressesprecher Hebestreit und Kanzleramtschef Schmidt – beides langjährige Vertraute von Olaf Scholz – gar der wichtigste Berater für Scholz. Der Mann für neue Idee, für komplizierte Verhandlungen, aber auch für Kontakte zu den Wirtschaftsbossen.
Auf G7- und G20-Gipfel ist er der deutsche „Sherpa“, also der, der für den Kanzler die Abschlussdokumente der Treffen verhandelt. Auch in der Ampel laufen alle strategischen Entscheidungen über seinen Tisch: Große Subventionen wie die für Intel, staatliche Übernahmen wie von Uniper oder ausländische Einstiege in kritische Infrastruktur wie die der chinesischen Rederei Cosco in den Hamburger Hafen. Überall hält er die Fäden in der Hand.
Karrierist, Millionär, Arbeitstier
Während des Studiums war Kukies bei den Jusos aktiv, schaffte es sogar zum Juso-Landeschef von Rheinland-Pfalz. Heute aber fühlt er sich am wohlsten in Chefetagen von Wirtschaftsbossen. Dazu passt auch sein Erscheinungsbild: Die Haare streng nach hinten gegelt, den Anzug auf Maß geschneidert, wie ein Mann mit Millionen auf dem Konto und viel Macht auf seinem Schreibtisch stereotypisch eben aussieht.
Er gilt als freundlich, aber unnahbar. Ein kühler Kopfmensch, diszipliniert, geräuschlos, tatendurstig. Emotionen lässt er abprallen. Und als akribisches Arbeitstier, fast rastlos unterwegs von Termin zu Termin oder von Akte zu Akte.
Die Millionen hat er in seiner Karriere als Investmentbanker verdient. Nach seinem Elite-Studium – VWL-Bachelor in Mainz und Paris, Master in Harvard und Doktor in Chicago –, fing Kukies bei der berühmten Investmentbank Goldman Sachs an. Zunächst in der Abteilung „Global Securities“, wo er komplexe Anlageprodukte für institutionelle Investoren entwickelte – für Pensionskassen, Landesbanken und Versicherungen. Was sich durch seine Vita zieht: Wo immer Kukies anfängt, gelingt ihm eine steile Karriere. So auch bei Goldman. Nach Posten in London und Frankfurt wird er ab 2014 Co-Chef von Goldman Sachs für Deutschland und Österreich.
Interessant: In einem Spiegel-Porträt über Kukies werden alte Banker-Kollegen zitiert. Einer sagt: „Goldman ist brutal zahlengetrieben. Und Kukies liefert Topzahlen, bis der Arzt kommt“. Ein anderer: „Jörg ist eine Maschine“. Ex-Kollegen erinnern sich auch an die Papierstapel, die sich freitagsabends auf Kukies' Tisch türmten: Analysen und Studien, Lesestoff für das Wochenende. Er gilt als freundlich, aber unnahbar. Ein kühler Kopfmensch, diszipliniert, geräuschlos, tatendurstig. Emotionen lässt er abprallen. Und als akribisches Arbeitstier, fast rastlos unterwegs von Termin zu Termin oder von Akte zu Akte. Das hat er – wie die Juso-Karriere – mit Scholz gemein. Man könnte meinen: Da haben sich zwei hochintelligente und machtverbissene Aktenfresser gefunden!
Was sich in das Bild einfügt: Kukies war Marathonläufer, eine Hochleistungssportart. Sein Rekord: 42 Kilometer in 2 Stunden und 47 Minuten. Durchschnittsgeschwindigkeit: über 15 km/h. Dafür muss man lange trainiert und viele Schmerzen ausgehalten haben.
Als Scholz ihn 2018 als Staatssekretär ins Finanzministerium holt, verkauft Kukies fast alle Aktien und Firmenbeteiligungen. Um Interessenkonflikte zu beseitigen. Darunter diverse Beteiligungen an FinTechs, Startups und Mitarbeiter-Aktien von Goldman Sachs. Nur seine Beteiligungen an der OneFootball GmbH (Fussball-App, Berlin) und der FelFel AG (Lebensmittelvertrieb zur Mitarbeiter-Verpflegung in Unternehmen, Schweiz) behält er. Weil beides seinen Politikbereich nicht berühre, Interessenskonflikte also ausgeschlossen seien, so Kukies. Mit den anderen Verkäufen dürfte er Millionen erlöst haben. Heißt auch: Für Geld macht er den Job im Politikbetrieb nicht. Als Investmentbanker hätte er ein Vielfaches verdient – und weiter seine Beteiligungen halten dürfen. Was ihn reizt, ist nicht Geld, sondern Macht.
Der richtige Finanzminister auf Zeit?
Und die hat er jetzt. Auch im Politbetrieb ist ihm nämlich ein schneller Aufstieg gelungen. Nicht als Menschenfänger oder Parteiliebling, sondern als Mann im Maschinenraum hat er es zum Finanzminister geschafft. Auch wenn absehbar ist, dass er die Macht nur für kurze Zeit haben wird. Und sie womöglich nur für eines einsetzen kann: einen Haushalt 2025. Den will Scholz in der verbleibenden Minderheitsregierung nämlich noch über die Bühne bekommen. Schwierig genug! Dafür ist Kukies als erfahrener Verhandler allerdings eine nachvollziehbare Wahl. Es geht schließlich darum, der FDP noch ein paar Zustimmungen aus den Rippen zu leiern. Wenn nicht er, wer dann? Die naheliegende Alternative, Robert Habeck, wäre für die FDP ein rotes Tuch gewesen.
Aus Scholz‘ Sicht ist die Kurzzeit-Beförderung von Kukies ein No-Brainer.
Ob Kukies auch in einer anderen Konstellation, etwa in einer neuen Regierung, eine gute Wahl wäre, steht auf einem anderen Blatt. Das Studium in Chicago ist streng neoliberal. Kukies kann sich in Bosse, Banken und Investoren hineinversetzen, aber kann er das auch in Menschen mit stinknormalen Jobs und bescheidenen Geldbeuteln? In Arbeiter, in Rentner, in Arbeitslose? Seine berufliche Vita schreit „nein“, aber ausgeschlossen ist das nicht. Immerhin engagiert sich Kukies ehrenamtlich für die Integration von Geflüchteten und kommt aus einer SPD-Familie. Von außen schwer zu beurteilen. Über das Steuersystem oder die Schuldenbremse hat er sich öffentlich noch nie groß geäußert. Auch seine makroökonomische Ausrichtung ist also schwer zu fassen. Im Finanzministerium werden aber auch die Spielregeln für Banken und Finanzmärkte gemacht. Die große Frage: Würde ein Ex-Investmentbanker also seine alten Kumpels an die Kette legen oder ihnen gar Geschenke ermöglichen? Nicht zu vergessen: Kukies war bei Goldman auch für diverse Derivate verantwortlich. Jene Finanzprodukte, die die Finanzkrise mit ausgelöst haben.
Was einen außerdem stutzig macht: sein Name taucht in vielen Skandalen auf. Noch zwei Tage vor der Insolvenz von Wirecard drängte Kukies beim Chef der staatlichen KfW-Bankentochter Ipex, Klaus Michalak, auf einen neuen Kredit für das Unternehmen. Auch im Cum-Ex-Skandal hatte Kukies seine Finger im Spiel. Er traf sich 2019 zum Frühstück mit Warburg-Chef Christian Olearius, der damals alles versuchte, um die millionenschwere Rückzahlung hinterzogener Steuern zu vermeiden. Mit dabei war auch Johannes Kahrs, an dessen Wahlkreis Olearius gespendet hat, in dessen Schließfach 200.000 Euro Bargeld mit ungeklärter Herkunft gefunden wurden und der überhaupt einer der Hauptcharakter im Warburg-Skandal ist. Das Portal "Abgeordnetenwatch" hat außerdem aufgedeckt, dass es zu sage und schreibe 100 Lobbykontakten von Kukies keine Protokolle oder Dokumente gibt. Darunter Gespräche mit der Investmentgesellschaft Black Rock, der Deutschen Bank, der Commerzbank und vielen mehr. Kein Wunder, dass der Mann, der nah an den Wirtschaftsbossen sein will, es mit Lobbyismus nicht so eng sieht. Für die Eignung als SPD-Minister ist das jedenfalls kein Pluspunkt!
Und dennoch: Aus Scholz‘ Sicht ist die Kurzzeit-Beförderung von Kukies ein No-Brainer. Scholz und Kukies sind ein eingespieltes Team. Er lässt Kukies sogar im Raum mithören, wenn er mit Putin telefoniert. Heißt: Man vertraut sich, man schätzt sich und womöglich haben beide noch viel vor. Und selbst wenn Scholz scheitern sollte, kann die Polit-Karriere von Kukies in Zukunft weitergehen. Sein Name ist durch die Beförderung auf jedem Personal-Tableau, sollte es zukünftig in einer Koalition mit der SPD um Ministerposten gehen.
Na mal sehen, was Kikies vor hat. Aber ein Befürworter heterodoxer Ökonomie wird er wohl nicht plötzlich geworden sein. 🙈
Ich erwarte nicht, dass mit ihm die Schuldenbremse gelockert wird (es sei denn, es dient den Banken und Reichen - denn das konnte Lindner offenbar nicht mit selbst vereinbaren).
Aber dass nun endlich mal andere ökonomische Gedanken ins Finanzamt Einzug halten könnten, sehe ich leider nicht
Danke, dass du uns so schnell und sachlich informierst!