Wie Ungleichheit der Wirtschaft schadet
Eine exklusive Leseprobe aus "Toxisch Reich" von Blinkist-Gründer und Ex-Millionär Sebastian Klein
“Sebastian Klein war selbst Multimillionär, hat aber den Großteil seines Vermögens abgegeben. Jetzt legt er in seinem neuen Buch Toxisch Reich die Schere zwischen Arm und Reich unters Brennglas. Seine Analysen zeigen, wie sehr wir extremen Reichtum und seine Folgen für Wirtschaft, Klima und Gesellschaft unterschätzen. Klein liefert eine neue Perspektive und spannende Vorschläge!” – Maurice Höfgen
Reiche Menschen sagen immer wieder, Umverteilung führe nur dazu, dass das Geld einfach verkonsumiert werde. Wenn ärmere Menschen mehr Geld hätten, dann würden sie es ausgeben und es stünde nicht für wichtige Investitionen zur Verfügung. Auf den Konsum, der hier verteufelt wird, ist die Wirtschaft jedoch angewiesen. Schließlich müssen die Produzenten ihre Waren ja auch irgendwo absetzen. Davon mal ganz abgesehen ist es doch ziemlich anmaßend, wenn Reiche mit ihrem exzessiven Konsum so abfällig über den Konsum anderer sprechen. Und von vielen Investitionen haben die meisten Menschen überhaupt nichts. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist der Immobilienmarkt. In Berlin, wo ich lebe, fehlen Tausende Sozialwohnungen mit niedrigen Mieten. Investor:innen aber suchen bevorzugt nach Wohnungen im Bestand, die sie einfach aufkaufen können – das heißt durch ihre »Investition« wird kein einziger Quadratmeter neue Wohnfläche geschaffen –, oder sie suchen nach Bauprojekten, die sattere Renditen versprechen, und das sind Bürogebäude oder Wohngebäude mit hochpreisigen Eigentums- oder Mietwohnungen. So gut wie niemand hat etwas von diesen Investitionen, sie gehen vollkommen am Bedarf der Menschen vorbei. Und diese Menschen sollen sich nun auch noch freuen, dass irgendwo einer mit einem Haufen Kapital sitzt, das er »investiert« und nicht »verkonsumiert«?
Anzeige
Sebastian Klein weiß, was es heißt, reich zu sein: Der Mitgründer von Blinkist war einmal Multimillionär - und hat dann 90 Prozent seines Vermögens abgegeben. Er ist überzeugt, dass extremer Reichtum unserer Gesellschaft schadet, denn große Vermögen in den Händen einzelner sind undemokratisch, sie befeuern den Klimawandel und spalten die Gesellschaft.
Der Mythos von Ungleichheit als Wirtschaftsmotor
Die Vorstellung, Vermögensunterschiede seien für die Gesellschaft vorteilhaft, entstand wohl zur Zeit der Industrialisierung. Ihr zufolge bot die Aussicht, mehr zu bekommen als andere, erstens den notwendigen Anreiz, sich anzustrengen und damit etwas für die Gemeinschaft zu leisten. Außerdem könnten nur die Vermögenden es sich leisten, zu sparen, also Kapital zu bilden, das sie dann wiederum investieren könnten. Diese Reinvestitionen führten zu weiterem Wirtschaftswachstum und das sei notwendig, um das System am Laufen zu halten. Es bringe den Menschen Arbeit und so profitierten am Ende alle.
Würden alle ein ähnliches, nicht so hohes Einkommen haben, wäre die Sparquote zu gering, das meiste Geld würde verkonsumiert und die Wirtschaft stagnierte.[i] Mit diesem Argument machen konservative und marktliberale Politiker:innen immer wieder Stimmung gegen eine Vermögensteuer. Unternehmen und Vermögende müssten finanziell entlastet werden, heißt es da, weil sie dann mehr investieren würden. Und diese Investitionen brauche es dringend für den Wirtschaftsstandort Deutschland.
In der Frage, inwieweit Ungleichheit nun wirklich gut, schlecht oder gar notwendig für die Wirtschaft ist, möchte ich mich allerdings ungern auf die politische Stimme der Reichen-Lobby verlassen. Daher wende ich mich lieber an einen echten Experten: Ich folge Marcel Fratzscher schon lange, er ist Professor für Makroökonomie, leitet das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung und äußert sich regelmäßig zu Verteilungsfragen. Mir gefällt, dass er die Wirtschaft stets vor dem Hintergrund der Gesamtgesellschaft betrachtet. Schließlich sollte die Wirtschaft ja für uns Menschen da sein und nicht umgekehrt. Das mag selbstverständlich klingen, aber viele Ökonomen scheinen leider vergessen zu haben, dass Wirtschaften kein Selbstzweck ist.
Marcel Fratzscher erzählt mir, international sei es in den Wirtschaftswissenschaften längst Konsens, dass Ungleichheit schlecht für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Landes sei.
»In Deutschland hinken wir da ein wenig hinterher. Das hängt vielleicht auch mit der ordo-liberalen Tradition in Deutschland zusammen, dass man so das Denken hat, der Markt funktioniert und das ist alles in Ordnung so.« (Marcel Fratzscher)
Die OECD schätzt, dass die deutsche Wirtschaft um sechs Prozent größer wäre, wären die Einkommen gleicher verteilt. Eine Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung aus dem Jahr 2014 kommt zu dem Schluss, dass die zunehmende Ungleichheit der Einkommen zu ökonomischer Instabilität führt und so außerdem der Wirtschaft schadet. Einige Ökonom:innen machen die Ungleichheit in der amerikanischen Gesellschaft sogar für die Finanzkrisen in den 1920er- und den 2000er-Jahren verantwortlich.[ii]
Ungleichheit macht eine Wirtschaft weniger dynamisch
Aber wie genau schadet Ungleichheit der Wirtschaft? Hier sind verschiedene Mechanismen am Werk: Wer über viel Kapital verfügt, kann die Wirtschaft gestalten und Einfluss auf die Politik nehmen, um die eigenen Interessen durchzusetzen. Innovationen werden so eher verhindert, weil alte Geschäftsmodelle, wie etwa das des Verbrennermotors oder der Gasheizung, entgegen den Interessen der Gesellschaft verteidigt werden.
Oder es bringt die Wirtschaft an natürliche Grenzen, zum Beispiel, wenn Rohstoffe ausgehen oder so teuer werden, dass sie für Produzenten nicht mehr bezahlbar sind. So wirken Unternehmen, die ihr Geld mit oder auf der Grundlage von fossilen Energien verdienen, darauf hin, dass weniger Investitionen in grüne Energien fließen – obwohl die eigentlich ein schnell wachsender Markt sind und damit langfristig größere Aussichten auf Wirtschaftswachstum bieten. In Deutschland zeigt sich dieses Muster besonders bei der mächtigen Automobilindustrie, die ihre Lobbymacht nutzt, um alle wichtigen Reformen mindestens zu verzögern. Die Lobbyorganisation Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, die unter anderem von der Automobilindustrie mit Millionenbeträgen finanziert wird, fällt immer wieder auf mit Kampagnen wie den »12 Fakten zur Klimapolitik«. Mit gezielter Desinformation werden in solchen Kampagnen Zweifel gesät, um klimapolitische Maßnahmen wie das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu torpedieren.[iii] Natürlich wäre es für uns als Gesellschaft sinnvoll, möglichst schnell auf eine klimaverträgliche Wirtschaftsweise umzustellen. Dass das so langsam geschieht, liegt nicht zuletzt daran, dass Menschen und Firmen hier ihre kurzfristige Profitmaximierung über gesamtgesellschaftliche Interessen stellen. Langfristig schadet das der Wirtschaft, weil sie den Trend verpennt und ihre Unternehmen im internationalen Wettbewerb nicht mehr konkurrenzfähig sind.
Ungleichheit erschwert Transformation doppelt
Eine Wirtschaft ist stark und leistungsfähig, wenn sie dynamisch ist und sich schnell verändern kann. Das wird gebremst durch Reiche, die ihr Geld lieber in Geschäftsmodelle der Vergangenheit statt in die Zukunft investieren. Die Ungleichheit macht Veränderungen gleich doppelt schwer. Denn für viele Veränderungsprozesse fehle einfach die soziale Akzeptanz, sagt Marcel Fratzscher. In einem Land, in dem die Hälfte der Bevölkerung praktisch nichts besitzt, sind viele Menschen nicht in der Lage, mit Veränderungen umzugehen. Es sei verständlich, dass Menschen, die keine Rücklagen haben, sich gegen Veränderung wehren, die für sie mit Kosten verbunden sind, z.B. neue Mobilitätsformen und Heizgesetze.
»Die hohe Ungleichheit bei privaten Vermögen führt dazu, dass viele Menschen – und wir reden nicht von wenigen, sondern wir reden von knapp 40 Prozent der Haushalte – keinen Sicherungsmechanismus haben, um auf Krisen zu reagieren. Wenn auf einmal die Energiekosten explodieren oder die Lebensmittel 30 Prozent teurer werden, sind das Krisen, auf die viele Menschen nicht vorbereitet sind. Weil sie eben nicht die privaten Ersparnisse haben und auch weil der Sozialstaat eben nicht alles absichern kann. Und deshalb ist diese große Ungleichheit bei privaten Vermögen ein soziales und ein wirtschaftliches Problem in Deutschland.« (Marcel Fratzscher)
Das hohe Maß an Ungleichheit führt auf beiden Seiten der Verteilung zu Widerständen gegen Veränderungen, die eigentlich wichtig wären. Die einen sind damit beschäftigt, ihre Investitionen in die Wirtschaftswelt der Vergangenheit zu verteidigen, die anderen haben Angst vor Veränderung, weil sie nicht die Ressourcen haben, etwas zu verändern. Und befeuert werden diese Ängste auch noch durch gezielte Desinformation und Parteien, die sich zu Handlangern ökonomischer Interessen machen.
Potenziale bleiben ungenutzt
Marcel Fratzscher weist auf einen weiteren Punkt hin, der eng mit der ökonomischen Ungleichheit verknüpft ist: die große Ungleichheit bei Bildung und Ausbildung. Sie habe zur Folge, dass viele Menschen ihre Potenziale nicht entfalten und nutzen könnten, während dem Markt auf der anderen Seite qualifizierte Arbeitskräfte fehlten. Von unternehmerischen und innovativen Potenzialen, die aufgrund dieser Schieflage ungenutzt bleiben, ganz zu schweigen.
Der wirtschaftliche Schaden, der dadurch entsteht, dass Menschen schlecht ausgebildet sind oder bei der Wahl ihres Jobs allein ökonomischen Zwängen folgen müssen und so keine wichtigen Innovationen mit vorantreiben können, lässt sich nur schwer beziffern. Anders sieht das beim Fachkräftemangel aus: Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft beläuft er sich allein für das Jahr 2024 auf 49 Milliarden Euro. Im Jahr 2027 werden es laut Prognose bereits 74 Milliarden Euro sein.[iv] Es fehlen Pfleger:innen, Lehrer:innen und Informatiker:innen. Jede:r, der oder die mal versucht hat, eine:n Handwerker:in für eine Baustelle oder eine Reparatur in der Wohnung zu finden, kann ein Lied davon singen, wie groß das Problem in diesem Bereich bereits jetzt ist.
»Wir haben viele Menschen in Deutschland, die ihr Potenzial, ihre Fähigkeiten, ihre Talente nicht voll ausnutzen können. Und das bedeutet nicht nur einen Verlust oder einen Schaden für die Betroffenen, sondern für die Gesellschaft und Wirtschaft als Ganzes.« (Marcel Fratzscher)
Und was hat es nun mit den Investitionen auf sich?
Deutschland hat die drittgrößte Volkswirtschaft der Erde, die ein unglaubliches Maß an Wohlstand produziert hat. Und trotzdem: Die deutsche Wirtschaft hat in vielen Bereichen die Digitalisierung verschlafen, Technologien der Zukunft wie Künstliche Intelligenz werden woanders entwickelt. Von dynamischer Wirtschaft und Innovationskraft kann wirklich keine Rede sein. Wie ist das möglich, wo doch unfassbar viel Geld da wäre, um in die Unternehmen der Zukunft zu investieren?
Obwohl die Gewinne von Unternehmen massiv steigen, gehen die Investitionen – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – zurück. Viele Unternehmen horten die Gewinne, investieren sie lieber in Finanzprodukte und schütten Rekordsummen in Form von Dividenden an ihre Aktionäre aus, die darüber hinaus auch von groß angelegten Aktienrückkaufprogrammen profitieren und dieses Geld häufig sparen oder wiederum in Aktien anlegen. Das wiederum verstärkt die Vermögensungleichheit, weil – wie der französische Ökonom Thomas Piketty zeigt – Vermögende deutlich höhere Kapitaleinkünfte haben als der Rest der Gesellschaft. Und weil sie mit ihren Investitionen deutlich höhere Renditen als die Durchschnittsperson erzielen.
Ein weiterer Mythos, der in der Erzählung steckt, wonach private Investitionen der Reichsten einen positiven Effekt für alle hätten: Es seien immer Gründer und Investoren, die die großen Innovationen finanzieren. Mariana Mazzucato, Professorin für Ökonomie am University College London, hat eindrucksvoll gezeigt, dass daran wenig Substanz ist: Die wirklich großen Innovationen werden in den meisten Fällen nämlich vom Staat finanziert. Die privaten Akteure treten erst auf den Plan, wenn das Risiko nicht mehr so groß ist und sich eine finanzielle Verwertung absehen lässt.[v]
So gäbe es heute kein Internet, keine Smartphones, keine E-Autos, keine Covid-Impfstoffe, wenn nicht Milliarden an Steuergeldern in Grundlagenforschung geflossen wären. An der späteren Kommerzialisierung wird der Staat dann aber praktisch nie beteiligt. Die Gewinne werden privatisiert, und um das zu rechtfertigen, erzählen die Profiteure dann das Märchen, dass sie das ganze Risiko auf sich genommen hätten und dass ihnen deshalb auch die Profite zustünden.
Wie viel Ungleichheit tut gut?
Der Kapitalismus, der unseren Wohlstand möglich gemacht hat, steckt heute in einer tiefen Krise. Selbst in den USA, dem Heimatland des modernen Kapitalismus, denkt eine Mehrheit der Menschen, der Kapitalismus richte heute mehr Schaden an, als dass er Nutzen stifte.[vi] Insbesondere bei jungen Menschen ist das Vertrauen in den Kapitalismus auf einem historischen Tief.
Dass das Vertrauen in den Kapitalismus schwindet, liegt auch daran, dass nahezu das gesamte wirtschaftliche Kapital bei einer kleinen Elite konzentriert ist, die vor allem danach strebt, ihren Reichtum weiter zu mehren. Daran etwas zu ändern und für eine gerechtere Verteilung zu sorgen, ist nicht allein aus humanistischen oder sozialen Gründen wichtig. Auch wer die krankende Wirtschaft zukunftsfähig machen und den Kapitalismus als System erhalten will, muss die massive Ungleichverteilung von Vermögen in unserer Gesellschaft angehen. Ob man nun möchte, dass es der Wirtschaft gut geht, oder ob man möchte, dass die Wirtschaft gut für die Menschen ist: Beides wird nur gelingen, wenn sich das derzeitige Ausmaß an Ungleichheit deutlich verringert und wenn möglichst viele Menschen in der Lage sind, sich überhaupt einzubringen und diese Wirtschaft mitzugestalten.
Dass es dringend mutige Reformen braucht, liegt auf der Hand. Und um die zu gestalten, sollten wir vor allem die Frage stellen, wie eine Wirtschaft aussehen muss, damit sie den größtmöglichen Nutzen für uns Menschen und für die Gesellschaft stiftet.
Take-away:
Ungleichheit schadet der Wirtschaft, denn in einer ungleichen Gesellschaft können viele Menschen ihre Potenziale nicht entfalten und damit auch nicht in die Wirtschaft einbringen.
Ungleichheit führt zu großen Widerständen gegen Veränderungen – bei denen, die sehr viel, und bei denen, die sehr wenig haben.
[i] Milanović, Branko (2017): Haben und Nichthaben. Eine kurze Geschichte der Ungleichheit, Theiss in Herder, S. 25.
[ii] Neßhöver, Christoph (2015): Geschlossene Gesellschaft [https://www.manager-magazin.de/unternehmen/artikel/soziale-ungleichheit-schadet-zu-viel-reichtum-der-demokratie-a-1061106.html].
[iii] Lobbypedia (2024): Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft [https://lobbypedia.de/wiki/Initiative_neue_soziale_marktwirtschaft].
[iv] Institut der Deutschen Wirtschaft (2024): Fachkräftemangel: Wirtschaft verliert 49 Milliarden Euro [https://www.iwkoeln.de/presse/pressemitteilungen/alexander-burstedde-galina-kolev-schaefer-wirtschaft-verliert-49-milliarden-euro.html].
[v] Mazzucato, Mariana (2014): Das Kapital des Staates. Eine andere Geschichte von Innovation und Wachstum, Campus Verlag.
[vi] Edelman (2024): Edelman Trust Barometer [https://www.edelman.com/trust/2024/trust-barometer].
Danke!!
Der IWF hat bereits 2015 stagnierende Wirtschaft festgestellt, wenn das Vermögen an die Top20% geht.
Wegen Umverteilungsabsicht machen Linke auch ohne das Geldsystem richtig zu verstehen zufällig gute Wirtschaftspolitik ;)
sehr gut. und nächstes mal gehen wir auch darauf ein, warum jemand mit 6000 brutto weit weniger als die Hälfte übrig hat, wer aber 60.000 brutto(alles monthly) hat,
darf weit mehr behalten (etwa 60%)
warum sollen die nicht mehr zahlen müssen? wir kleinen sind die Dummen!