Wirtschaftsweise gegen Mütterrente und Milliardärsteuer?
Warum die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, falsch liegt
Da hat Markus Söder einmal eine soziale Idee, und gleich prescht die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, dazwischen. Die CSU will nach der Wahl nämlich die Mütterrente ausweiten.
Genauer gesagt: sie will auch für Mütter mit vor 1992 geborenen Kindern drei Erziehungsjahre bei der Rente anrechnen. Bisher sind es nämlich nur zweieinhalb Jahre. Bis 2019 waren es nur zwei Jahre und bis 2014 sogar nur ein Jahr. Wohlgemerkt: Während Mütter mit Kindern, die 1992 oder später geboren wurden, schon seit jeher drei volle Erziehungsjahre in der Rente angerechnet bekommen. Eigentlich eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, über die aber wenig gesprochen wird.
Mütterrente als Trostpflaster gegen Systemversagen
Die Mütterrente funktioniert so: für jedes Erziehungsjahr bekommen Mütter einen Rentenpunkt gutgeschrieben und damit derzeit knapp 40 Euro mehr Rente. Bei zweieinhalb Jahren also 100 Euro, und bei drei Jahren 120 Euro – pro Kind, versteht sich. Gedacht ist das als Ausgleich dafür, Care-Arbeit statt Erwerbsarbeit geleistet zu haben – beziehungsweise: geleistet haben zu müssen! Mehr als ein Trostpflaster ist der Ausgleich aber nicht, denn mit Erwerbsarbeit hätten die Mütter nicht nur mehr verdienen, sondern auch mehr Rentenpunkte sammeln können. Damals gab es in etlichen Gegenden Deutschlands kaum Krippen. Als Frau länger im Job auszusetzen, war üblich. Wer arbeiten wollte, musste sich selbst eine Tagesmutter organisieren, der Staat half nicht – zumindest nicht im Westen. In der DDR war es damals schon üblich, Kinder unter drei Jahren außerfamiliär betreuen zu lassen.
14 Milliarden Euro kostet die Mütterrente jährlich. Das entspricht ungefähr drei Prozent aller Rentenausgaben. Die Ausweitung würde noch mal 4,5 Milliarden Euro mehr kosten und fast zehn Millionen Frauen eine höhere Rente verschaffen.
Wichtiges Detail: Die CSU will die Ausweitung aus dem Bundeshaushalt finanzieren. Bisher kommt allerdings nur ein Achtel des Geldes aus dem Bundeshaushalt, den Rest bezahlt die Rentenkasse – wiederum aus höheren Beiträgen und geringeren Rentenerhöhungen. Dabei ist die Mütterrente eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die vollständig aus dem Haushalt bezahlt werden sollte – und nicht nur die geforderte Erhöhung. Übrigens forderte die Linke bereits 2014 im Bundestag, die Mütterrente auf drei Erziehungsjahre anzuheben und vollständig aus dem Bundeshaushalt zu finanzieren. Seither nähert sich die CSU der Linken-Forderung Schritt für Schritt an.
Mütterrente ein „Wahlgeschenk“?
Die Frage stellt sich: Warum eigentlich erst jetzt die Angleichung auf drei Erziehungsjahre? Warum nicht gleich 2014, als die Mütterrente eingeführt wurde. Die bittere Antwort lautet: Weil es der Großen Koalition 2014 und 2019 zu teuer war. Aus demselben Grund ist auch die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer heute dagegen.
Die Mütterrente scheine „aus der Zeit gefallen zu sein“, sagte Schnitzer der Rheinischen Post. Angesichts der demografischen Entwicklung und der Notwendigkeit der Haushaltskonsolidierung sei dringend eine Rentenreform notwendig, die Rentenansprüche begrenze, nicht ausweite. Vor einem Jahr forderte sie sogar schon einmal die Mütterrente abzuschaffen. „Das war ein reines Wahlgeschenk“, schimpfte die Ökonomin. „Anstelle der Mütterrente hätte man die Bahn sanieren oder Brücken bauen können!“
Ausgerechnet hier will die Wirtschaftsweise also sparen? Bei Frauen, die ohnehin schon weniger Rente bekommen als Männer? Bei Müttern, die vor ihrer Rente schon am Arbeitsmarkt vom System geprellt wurden?
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat vor einem halben Jahr mal ausgerechnet, was eine Abschaffung der Mütterrente bedeutete. Fast zehn Millionen Rentnerinnen hätten im Durchschnitt 107 Euro im Monat weniger. Das Einkommen der ärmsten Rentnerinnen würde um durchschnittliche acht Prozent sinken, das Armutsrisiko um 14,4 Prozent und der Gender Pension Gap um mehr als 20 Prozent steigen.
„Die Mütterrente rückgängig zu machen ist nicht nur rechtlich fragwürdig, es hätte auch finanziell erhebliche negative Folgen“, sagt Studienautorin Annica Gehle. Die unteren Einkommensgruppen würden im Verhältnis deutlich stärker durch einen Wegfall der Mütterrente belastet als die oberen Einkommensgruppen. Während die ärmsten 20 Prozent gut acht Prozent Einkommen verlören, wären es für die reichsten 20 Prozent hingegen nur gut ein Prozent weniger. Rentnerinnen mit mehr als vier Kindern hätten im Schnitt sogar Einkommenseinbußen von rund 15 Prozent, wenn die Mütterrente wegfiele. Und besonders betroffen wären auch geschiedene und ledige Mütter, da ein Wegfall der Mütterrente in der Regel nicht durch die Einkünfte eines Partners abgepuffert wird.
Ausgerechnet hier will die Wirtschaftsweise also sparen? Bei Frauen, die ohnehin schon weniger Rente bekommen als Männer? Bei Müttern, die vor ihrer Rente schon am Arbeitsmarkt vom System geprellt wurden? Am stärksten sogar noch bei Alleinerziehenden, von denen mehr als jede Dritte von Armut bedroht ist? Gelder dieser Gruppe will Schnitzer gegen Gelder für die Bahnsanierung ausspielen? Wirklich?
Auch die CDU ist offensichtlich gegen die Forderung der Schwesterpartei. Im gemeinsamen Wahlprogramm der beiden Unionsparteien ist die Forderung der CSU nicht aufgeführt. Gegenüber der FAZ sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schon 2023: „Eine weitere Erhöhung der Mütterrente kann es nicht geben“. Das sei „Sozialpolitik mit der Gießkanne“. In die Kerbe schlug gestern auch der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger. „Die schwerste strukturelle Wirtschaftskrise der Bundesrepublik ist keine Zeit für Sozialgeschenke“, so Steiger gegenüber der Augsburger Allgemeinen. Eine Erweiterung "würde die ohnehin schwierige finanzielle Lage des Haushalts und der Rentenversicherung weiter verschärfen und ein falsches Signal setzen".
Milliardärsteuer zu viel Aufwand?
Achtung, Themensprung: Verwundern durfte einen auch die Position von Schnitzer zur Milliardärsteuer. Eine solche Steuer hatte Robert Habeck neulich vorgeschlagen, ausgerechnet in seinem Bild-Interview. Würde man allein die 250 Milliardäre in Deutschland mit einer moderaten Vermögensteuer belegen, „hätte man ungefähr fünf bis sechs Milliarden Euro“, so der grüne Kanzlerkandidat.
Schnitzer lehnt das ab. Das sei zwar eine populäre Forderung, allerdings mit zu viel „Verwaltungsaufwand verbunden“. Die „Hälfte der Einnahmen“ gehe für die Verwaltung drauf, so ihr Argument, das in allen Zeitungen unhinterfragt abgedruckt wurde.
Man kann ja gegen die Milliardärsteuer sein, aber dann bitte mit echten Argumenten.
Hinterfragt man es, fällt das Argument schnell in sich zusammen. Die „Hälfte der Einnahmen“ bedeutete ja, es würde drei Milliarden Euro kosten, um für 250 Milliardäre einen Vermögensteuerbescheid auszustellen, der sechs Milliarden an Einnahmen bringt. Drei Milliarden Euro für 250 Steuerbescheide? Wie viele Finanzbeamte sollen daran bitte beteiligt sein?
Mal nachgerechnet: Wenn ein durchschnittlicher Finanzbeamter den Staat 60.000 Euro Arbeitgeber-Brutto im Jahr kostet – eine großzügige und grobe Annahme –, müssten 50.000 Beamte das ganze Jahr nur mit diesen 250 Vermögensteuerbescheiden beschäftigt sein, um auf drei Milliarden Euro an Kosten zu kommen. Das ist natürlich Unsinn. Zumal es bundesweit nur rund 100.000 Finanzbeamte gibt!
DIW-Ökonom Stefan Bach, der bereits mehrere Studien zur Vermögensteuer veröffentlicht hat, schätzt den Verwaltungsaufwand selbst bei einer Vermögensteuer, die auch einfache Millionäre betrifft (nicht nur Milliardäre), je nach Ausgestaltung auf drei bis acht Prozent der Einnahmen. Das sei ungefähr dieselbe Größenordnung wie bei der Einkommens- oder Körperschaftsteuer. Wobei eine Milliardärsteuer deutlich weniger Verwaltungsaufwand erzeugen dürfte. Milliardäre gibt es schließlich nur 250, Millionäre schätzungsweise 1,6 Millionen. Je weiter oben die Vermögensteuer greift, desto weniger Steuerfälle gibt es und desto einfacher wird die Erhebung.
Also: Man kann ja gegen die Milliardärsteuer sein, aber dann bitte mit echten Argumenten – besonders wenn man Vorsitzende der Wirtschaftsweisen ist!
Die Mütterrente sollte bleiben, gleich sein, aber aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden. Denn es ist ein gesellschaftliches Thema, nicht nur der Gruppe der sozialversicherungspflichtigen Personen.
Und die Vermögenssteuer ist mehr als überfällig und die "Wirtschaftsweise" wohl in dem Punkt nicht ganz so weise.
Unglaublich wichtiges Thema was kaum öffentlich diskutiert wird! Die Benachteiligung von Müttern in einem modernen reichen Industriestaat ist eine Schande! Es geht auch nicht um mehr Krippenplätze, sondern um die gesellschaftliche Absicherung und Anerkennung der Betreung von Kindern iin den ersten zwei Lebenjahren, das sich zur Verfügung stellen, in einer ruhigen und sicheren Umgebung, wer immer das auch tut. Es gibt genug wissenschaftliche Erkenntnisse darüber , dass dies für eine gute psychische Entwickung unabdingbar ist!