Zwei-Klassen-System beim Kindergeld
Warum der Staat reiche Kinder bevorteilt, wie die CDU das verschärfen will und welche Alternativen es gäbe
Es ist eine dieser Ungerechtigkeiten, die im Wahlkampf noch nicht thematisiert wurde: Kinder reicher Eltern bekommen vom Staat mehr Geld als Kinder von Normalverdienern. Seit Jahrzehnten und bis heute. Und zwar nicht nur ein bisschen mehr, sondern fast die Hälfte mehr. In Euro gerechnet zahlt der Staat für ein Kind von Dax-Vorständen oder Bundesligaprofis bis zu 1.260 Euro mehr im Jahr als für ein Kind von Normalverdienern. Auf den Monat gerechnet: 105 Euro.
Das liegt am Zwei-Klassen-System von Kindergeld und Kinderfreibetrag. Das Kindergeld ist eine direkte Zahlung an Familien, aktuell 255 Euro pro Monat und Kind. Daneben gibt es noch den steuerlichen Freibetrag für Kinder. Der liegt aktuell bei insgesamt 9.600 Euro pro Jahr und Kind und setzt sich zusammen aus dem Kinderfreibetrag für das sächliche Existenzminimum (6.672 Euro) und dem Freibetrag für Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungsbedarf (kurz: BEA) (2.928 Euro).
Wie immer bei steuerlichen Freibeträgen: Wer mehr verdient, zahlt einen höheren Grenzsteuersatz und spart folglich mehr Steuern. Ob sich der Freibetrag oder das Kindergeld für eine Familie mehr lohnt, prüft der Staat automatisch. Die Folge: Normalverdiener werden mit dem Kindergeld abgespeist, Besserverdiener machen den Steuerfreibetrag geltend und haben am Ende deutlich mehr. Der Freibetrag ist also ein Steuergeschenk für Kinder reicher Eltern!
Wie groß das Geschenk ist, lässt sich leicht errechnen. Mit dem Kindergeld bekommt eine Familie zwölfmal 255 Euro, also 3.060 Euro im Jahr. Die Steuerersparnis vom Kinderfreibetrag hängt hingegen vom persönlichen Grenzsteuersatz ab. Zahlen die Eltern mit mindestens 9.600 Euro den Spitzensteuersatz, bringt der Freibetrag eine Steuerersparnis von 4.032 Euro pro Jahr; zahlen die Eltern sogar den Reichensteuersatz, bringt der Freibetrag eine Steuerersparnis von 4.320 Euro pro Jahr.
Im äußersten Fall liegt der Unterschied also bei den genannten 1.260 Euro pro Jahr und 105 Euro pro Monat. Die Grenze, ab der der Freibetrag mehr bringt als das Kindergeld, liegt bei einem zu versteuernden Einkommen von ca. 75.000 Euro pro Jahr (bei gemeinsam veranlagten Eltern etwa 150.000 Euro). Daumenregel: Für Spitzenverdiener lohnt der Freibetrag mehr, für alle anderen das Kindergeld.
Die CDU will den Kinderfreibetrag künftig an den Grundfreibetrag für Erwachsene koppeln und automatisch mit der Inflation ansteigen lassen.
CDU-Pläne verschärfen die Ungleichheit
Immerhin: die Grünen wollten diese Ungleichheit mit der Kindergrundsicherung ursprünglich mal ausmerzen, sind aber in der Ampel an Christian Lindner gescheitert. Der wollte weder die Freibeträge kürzen noch das Geld für die entsprechende Anhebung des Kindergeldes locker machen.
Ob das in einer womöglich künftigen Koalition mit der Union gelänge? Da darf man erstmal skeptisch sein. Denn ein Blick in deren Wahlprogramm verrät: Die CDU will den Kinderfreibetrag künftig an den Grundfreibetrag für Erwachsene koppeln und automatisch mit der Inflation ansteigen lassen. Das bedeutete eine Anhebung auf 12.096 Euro pro Jahr und künftig noch größere steuerliche Vorteile für reiche Familien.
Zwar hat die Union auch eine Anhebung des Kindergeldes in ihr Wahlprogramm geschrieben, aber das ohne konkrete Summe – wohlgemerkt: anders als beim Freibetrag, da hat sie sich auf eine konkrete Summe festgelegt. Auch sieht die Union keine automatische Anpassung an die Inflation für das Kindergeld vor. Und überhaupt hat sie dieses Zwei-Klassen-System noch nie problematisiert. Heißt: In einer Merz-Regierung würde die Ungerechtigkeit nach den Plänen der CDU eher größer als kleiner.
Einfache Lösung: Freibeträge runter, Kinderzuschlag rauf!
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat neulich in einer Studie im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO) untersucht, wie die Mittel für Kindergeld, Kinderfreibetrag und Kinderzuschlag besser verteilt werden können. Das Ergebnis: Würde man den Teil des BEA-Freibetrags auf ein Minimum reduzieren – konkret: von 2.928 Euro auf 600 Euro im Jahr –, würde das dem Staat knapp 3,5 Milliarden Euro einsparen.
Mit diesem Geld ließe sich das Kindergeld um 20 Euro pro Monat erhöhen. Oder aber der Kinderzuschlag für armutsbedrohte Kinder um ganze 120 Euro anheben. Oder eine Mischung: etwas mehr Kindergeld und etwas mehr Kinderzuschlag. Dann hätten Normalverdiener- und arme Familien etwas davon, was die Reform deutlich populärer machte. Im Vergleich zur Kindergrundsicherung gäbe es zudem zwei Vorteile: Es bräuchte kein neues Geld, weil nur vorhandene Mittel anders eingesetzt würden, und auch keine neue Bürokratie, weil bewährte Instrumente genutzt würden.
Ich meine: Eine solche Reform sollten SPD und Grüne in Sondierungen mit der Union zur Bedingung machen, wenn sich das Versagen mit der Kindergrundsicherung nicht wiederholen soll. Der Vorschlag der Union hingegen würde nur das Steuerprivileg für Reiche ausbauen!
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Und wer Unterhaltsvorschuss beziehen (muss), weil der Kindsvater nicht zahlen will, ist doppelt angeschmiert, denn jeder € mehr beim Kindergeld wird sofort und komplett vom Unterhaltsvorschuss abgezogen, sodass man unterm Strich nie ne Erhöhung hat👏👏 Großartiges System!
Typischer Fall von: War schon immer so. Interessant, sich das mal vor Augen zu führen, wie ungerecht das Ganze doch ist. Danke dafür👍