Explodieren jetzt die Zinskosten?
Warum das Schuldenpaket der GroKo ein „Beben am Anleihemarkt“ ausgelöst hat, aber kein Grund zur Sorge besteht
Das Schuldenpaket der neuen GroKo hat für Turbulenzen an den Finanzmärkten gesorgt. Die Rendite für zehnjährige Bundesanleihen ist gleich nach der Ankündigung von Bald-Kanzler Merz nach oben geschossen – von 2,5 auf rund 2,9 Prozent. Am Mittwoch ist sie an einem Tag so stark gestiegen wie seit der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 nicht mehr. Von einem „Beben am Anleihemarkt“, „explodierenden Zinskosten“ und dem Ende der Top-Bonität für deutsche Anleihen war in der Presse zu lesen. Stimmt das?
Zur Erklärung vorneweg: Von steigenden Renditen spricht man bei Anleihen, wenn deren Preis am Finanzmarkt fällt. Beispiel: Kauft man eine Anleihe mit einem Nennwert von 100 Euro am Markt für 90 Euro, macht man neben den versprochenen Zinsen noch 10 Euro Gewinn, wenn der Staat am Ende der Laufzeit die 100 Euro zurückzahlt. Die Rendite ist dann also größer als die bloßen Zinseinnahmen.
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Endlich wieder Wachstum!
Als Reaktion auf das Schuldenpaket sind die Preise für zehnjährige Bundesanleihen am Finanzmarkt gefallen. Die landläufige Interpretation in der deutschen Presse: Halter verkaufen die Anleihen aus Sorge, dass sich der deutsche Staat überschuldet; und Investoren bieten für die Anleihen nur niedrigere Preise, um für das zusätzliche Risiko belohnt zu werden. Mehr Angebot und weniger Nachfrage führen zu fallenden Preisen und steigender Rendite – und dann am Ende zu steigenden Zinskosten für den Bundeshaushalt. Erinnert wird häufig daran, dass das so 2022 ja auch schon der britischen Regierung passiert sei, als die ehemalige Premierministerin Liz Truss ein großes Schuldenpaket für Steuersenkungen angekündigt hatte.
Der Vergleich aber hinkt und die Interpretation ist falsch. Denn hinter den steigenden Renditen steckt eher, dass die Investoren nun endlich wieder an Wachstum für die deutsche Volkswirtschaft glauben – und dadurch eine etwas höhere Inflation erwarten. Die Aussicht auf Wachstum und höher Inflation treibt Investoren aus dem konservativen Anleihemarkt in den renditeträchtigeren Aktienmarkt. Deshalb sind die Aktienkurse in Reaktion auf das Schuldenpaket auch nach oben gesprungen. Genauso wie übrigens der Euro-Kurs im Verhältnis zum Dollar. Die Stimmung ist also positiv, nicht ängstlich.
“Alles, was die Binnenwirtschaft ankurbelt, ist also positiv für die Kreditwürdigkeit!”
Das war 2022 in Großbritannien ganz anders: Als Reaktion auf den Truss-Haushalt fielen damals nicht nur die Preise für Anleihen, sondern gleichzeitig auch die Aktienkurse und der Wechselkurs des Britischen Pfund.
Fehl am Platze sind auch Sorgen darum, dass wegen Deutschland der neuen Schulden seine Top-Bonität bei den großen Ratingagenturen verlieren könnte. Frank Gill, Spitzen-Analyst von der großen US-Ratingagentur Standard & Poor, erklärte gegenüber dem Handelsblatt: „Unsere größte Sorge hinsichtlich der Kreditwürdigkeit Deutschlands ist die stagnierende Wirtschaft“. Das Paket stütze also die Bonität, statt sie zu gefährden. Und Gill legte noch einen bemerkenswerten Satz nach, den man sich unbedingt merken sollte: „Alles, was die Binnenwirtschaft ankurbelt, ist also positiv für die Kreditwürdigkeit“. Der Satz sollte es in deutsche Talkshows schaffen!
Steigende Zinskosten? Eine Entscheidung der EZB
Nebenwirkungen haben die steigenden Renditen aber trotzdem. Die Zinsen für langfristige Kredite orientieren sich üblicherweise neben dem Leitzins auch an der Rendite für zehnjährige Bundesanleihen, weil die als risikolose Benchmark für die Geschäfte der Banken gelten. Wenn Banken mit Anleihen quasi risikolos mehr Geld verdienen können, weil die Rendite gestiegen ist, verlangen sie zum Beispiel für riskantere Immobilienkredite höhere Zinsen. Der Traum vom Eigenheim wird für Häuslebauer also teurer. Und auch für den Bundeshaushalt entstehen höhere Zinskosten, wenn die Rendite für Anleihen steigt. Allerdings erst dann, wenn die Anleihen für die zusätzliche Verschuldung, etwa das Sondervermögen Infrastruktur, auch wirklich verkauft werden – und nicht schon heute.
Weil die Europäische Zentralbank (EZB) aber erst am Donnerstag auch wieder den Leitzins gesenkt hat und deutsche Anleihen als sicherer Hafen in Europa gelten, wird die Rendite für deutsche Anleihen wohl nicht viel weiter steigen als in den letzten Tagen. Und falls doch, könnte die Zentralbank das sehr einfach verhindern, indem sie deutsche Anleihen aufkauft. Die zusätzliche Nachfrage würde den Preis der Anleihen nach oben treiben und die Rendite senken. Kein Investor ist so mächtig wie die Zentralbank. Heißt: Die Renditen für Staatsanleihen liegen immer genau dort, wo die Zentralbank will.
Apropos Europa: Die steigende Rendite auf Bundesanleihen hat ebenfalls die Renditen auf Anleihen der anderen Euroländer nach oben getrieben. Der Grund: Bundesanleihen sind auch dafür die risikolose Benchmark. Außerdem arbeitet die EU an einem eigenen 800-Milliarden-Schuldenpaket für Verteidigung, fordert mehr Rüstungsausgaben von den Mitgliedsländern und will diese mit der Notfallklausel von den EU-Schuldenregeln ausklammern. Die ganze EU wird also wohl mehr Schulden machen und mehr Anleihen verkaufen.
Nicht unwahrscheinlich daher, dass die EZB bereits über ein neues Anleihekaufprogramm nachdenkt – oder den Leitzins bald noch drastischer senkt. Steigende Renditen konterkarieren schließlich ihre eigenen Zinssenkungen.
Lese-Tipp: In diesem Artikel gibt es ein Gedankenexperiment dazu, wie ein Bundeshaushalt komplett von Zinskosten befreit werden könnte.
Vielen Dank für diese Erklärung und Einordnung. Darauf habe ich gewartet.
Danke für die Erläuterungen Maurice. Ich frage mich was an den Befürchtung dran ist, dass die Inflation auf Grund der Geldflut stark anziehen wird. Ein Großteil der Schulden soll ja in die Aufrüstung fließen und es ist fraglich ob das Geld dann wirklich dem Binnenmarkt zufließt, da die hiesige Rüstungsindustrie nicht alles liefern kann (zumindest kurzfristig).
Könntest du das nochmal erläutern wie diese Schulden die Inflationsrate in Deutschland/Europa beeinflussen werden?