Deutschlands bester Minister
Robert Habeck macht einen guten Job. Immer mehr wird er auch zum Erklär-Bär für ökonomische Zusammenhänge - wohltuend gegen den Lindner-Merz-Einheitsbrei.
In deutschen Talkshows geht es normalerweise selten um Geld und Wirtschaft. Und wenn, dann nur oberflächlich und nur mit eingeübten Floskeln: Geld ist knapp, Schulden sind böse, der Staat muss sparen. Dafür ist sogar meistens egal, wer als Gast geladen ist und welche Farbe das Parteibuch hat - leider. Doch es gibt eine Ausnahme. Und die heißt: Robert Habeck. Der heutige Vizekanzler und Wirtschaftsminister hat sich zum Erklär-Bär für wirtschaftliche Zusammenhänge entwickelt. Und ich finde: Er ist mittlerweile nicht nur Deutschlands bester Erklär-Bär, sondern auch Deutschlands bester Minister. Er behält in der hitzigen Debatte um das Gasembargo einen kühlen Kopf, erklärt Entscheidungen mit guten Argumenten - und vermittelt glaubhaft, dass er im Hintergrund mit seinem Team alles macht, um die Energieversorgung Deutschlands sicherzustellen. Eine Bereicherung für das Image der Politik.
Schon im Wahlkampf ist Habeck mit guter ökonomischer Argumentation aufgefallen. Sehr wohltuend im Vergleich zum Lindner-Merz-Einheitsbrei. Tatsächlich war sein Illner-Auftritt gegen Merz das Beste, was der Wahlkampf ökonomisch zu bieten hatte. Darauf habe ich damals in diesem Video reagiert:
Auch in den letzten Wochen tingelte Habeck von Sendung zu Sendung durch das Fernsehen, um seine Politik zu erklären. Neuerdings kommen obendrauf professionell abgedrehte Videos auf seinem Instagram-Account. Gekonnt räumt er im Fernsehen ökonomische Mythen ab und widerlegt eingeübte Floskeln, immer häufiger auch in Einklang mit den Einsichten der MMT. Man könnte also augenzwinkernd sagen: Habeck ist zu Deutschlands einflussreichstem MMT-Erklärer geworden.
Finanzieren wir Putins Krieg?
Diese Frage wird medial rauf und runter diskutiert - und moralisch meisten so sehr aufgeladen, dass eine ökonomische Sicht auf die Dinge in den Hintergrund rückt. Das ist fatal. Denn Moral kann Ökonomik nicht ersetzen. Von Luisa Neubauer über Volker Quaschning bis hin zu Norbert Röttgen und Anja Kohl hat sich ein lautes, medienwirksames Bündnis für ein sofortiges Gasembargo formiert. Dabei ist das Ziel nachvollziehbar. Wir teilen alle, dass politische Maßnahmen Putins abscheulichen Krieg schnellstmöglich beenden sollen. Aber die bittere Realität ist: Das gelingt nicht, indem man Putin einfach keine Gas-Euros mehr überweist. Viele Embargo-Befürworter glauben aber genau das, viele Journalisten und Moderatoren bekräftigen diese Schein-Wahrheit in Sendungen. Mit der Forderung ist zwar die moralisch richtige, aber ökonomisch leider falsche Hoffnung verbunden, dass Putin dann bald keine Panzer mehr rollen lassen könne. Schön wär’s. Am Mittwoch nahm Habeck dazu im ZDF Stellung:
“Die ganz kurze Aussage “Wir finanzieren Putins Krieg” ist eigentlich gar nicht richtig. Wir finanzieren das russische Staatssystem in der Abstraktion, das ist richtig und das ist schlimm und bitter genug. Und insofern arbeiten wir daran, das zu beenden. Aber das Geld, das wir überweisen, wird nicht in Panzer verbaut.”
Am Donnerstag war er per Schalte zu Gast bei Markus Lanz und legte zu der gleichen Frage noch mal deutlich ausführlicher nach:
“Für die Kriegsführung - also das Bauen von Panzern, den Sold für Soldaten, die Verpflegung von Soldaten, das Benzin für die Panzer - braucht er [Putin] diese Gelder nicht, denn das kann ja im Land selber bezahlt werden. Russland hat eine wahnsinnige Rüstungsindustrie. Sie haben, darüber reden wir ja die ganze Zeit, große Ölvorräte, sie können selber raffinieren, das werden sie auch tun und sie sind ein großer Produzent von Lebensmitteln. Dass die Logistik schlecht ist, also dass die Truppen schlecht versorgt sind, ist ein anderes Problem, aber für die Güter, die er für die Kriegsführung braucht, jedenfalls für die Grundgüter, braucht er nicht die Devisen. Das kann er aus dem eigenen Land schöpfen. Die Rohstoffe sind da, die Maschinen, die Fabriken, das ist alles da. Und solange seine Landsleute akzeptieren, dass das in Rubel bezahlt wird, also solange die Fabrikarbeiter in den Rüstungsbetrieben ihren Sold in Rubel akzeptieren, solange kann er den Krieg mit Rubel bezahlen. Und Rubel kann die Zentralbank in Russland selber drucken und dann in Russland ausgeben. Insofern ist das ein Teil des Szenarios.
Der andere Teil ist natürlich, dass Unternehmen, die dem russischen Staat sehr nahe stehen - Gazprom -, quasi Staatsunternehmen sind, mit den Verkäufen von Öl und von Gas Devisen ins Land bekommen - und damit der Staat selbst, der eigentlich bankrott ist, also durch die Sanktionen hat der russische Staat eigentlich Ramsch-Status, er ist nicht mehr garantiefähig für ausländische Investitionen beispielsweise, niemand würde russische Wertpapiere im Moment kaufen, der noch bei Sinnen ist. Der freie Fall der russischen Währung, des russischen Staates, wird dadurch [unsere Gasimporte] gestoppt und wenn es irgendwann in irgendeiner Zukunft wieder möglich ist, Gelder einzusetzen, dann kann er damit auch wieder handeln.
[…] Also man muss sagen, den Krieg unmittelbar finanzieren wir nicht mit den Bezahlungen von Erdgas und Erdöl.”
Das liest sich so, wie ich es aus MMT-Sicht geschrieben hätte und auch ja auch zum Beispiel in diesem Artikel schon geschrieben habe.
Russland kann der Rubel nicht ausgehen, Russland werden wohl kurzfristig nicht die heimischen kriegsrelevanten Ressourcen ausgehen, aber Russland könnte Import- und Wechselkursprobleme bekommen. Russland kann in inländischer Währung alles bezahlen, solange diese im Inland von der Bevölkerung akzeptiert wird, aber Russland kann dafür in ausländischer Währung pleitegehen, etwa wenn sie keinen Zugriff mehr auf Euros und Dollar bekommen, aber Anleihen in diesen Währungen ausgegeben haben. Das meint Habeck mit dem “Ramsch-Status”, den Russland von Ratingagenturen bekommen hat. Zuletzt wurde heftig darüber spekuliert, ob Russland noch die ausgegebenen Dollar-Anleihen bedienen kann, will und wird. Bisher machen sie das.
Die Wechselkursprobleme sind allerdings wieder kleiner geworden. Warum das so ist, ist schnell verstanden. Russland ist Kornkammer, Rohstofflieferant und Energiequelle für Europa. Russland hat enorme Exportüberschüsse. Damit kann es entweder andere Länder dazu bringen, den Rubel nachzufragen oder die Devisen aus den Exporten nutzen, um damit den Rubel selber zu stützen. Wer Exportüberschüsse hat, kann seinen Wechselkurs gut verteidigen. China ist da ein gutes Beispiel. Und weil der Westen die Devisen der russischen Zentralbank eingefroren hat, kann die Zentralbank selbst nicht mehr eingreifen, um den Rubel zu stützen. Dafür gibt es aber eine andere Lösung: Putin hat seine Exporteure in die Pflicht genommen, die Deviseneinnahmen gegen Rubel zu verkaufen. Bisher galt das für 80 Prozent der Deviseneinnahmen, bald für 100 Prozent. Und die Strategie wirkt. Der Rubel liegt zum Euro nur noch wenige Prozent unter dem Vorkriegsniveau - trotz der Kriegswirtschaft und trotz all der Finanzsanktionen.
Kühler Kopf und gute Berater
In der hektischen Berichterstattung mit moralischen Appellen ist Habecks kühler Kopf wohltuend. Dass er ökonomische Zusammenhänge gut erklären kann, muss daran liegen, dass er sich erstens für die makroökonomischen Zusammenhänge interessiert und zweitens gut beraten wird. Habeck ist schließlich qua Ausbildung kein Ökonom. Und makroökonomische Zusammenhänge sind häufig kontraintuitiv, sie erfordern ein anderes Denken, nicht nur hier und da etwas Auswendiglernen. Etliche andere Politiker scheitern daran. Wer genau Habeck in diesen Fragen berät, ist von außen schwer ersichtlich. Udo Philipp verantwortet als Staatssekretär den Bereich Außenwirtschaft in Habecks Ministerium, Sven Giegold Abgeordneter im Europäischen Parlament, verantwortet im Ministerium den Bereich Wirtschaftspolitik. Ich kann beide zu wenig einschätzen, um die Beratungsrolle in Sachen Geldsystem und Makroökonomie genau zuzuschreiben. Und vielleicht ist es auch jemand, der aus dem Organigramm des Ministeriums nicht gleich ersichtlich ist. Das zu erfahren, wäre allemal spannend. Hoffentlich fragt das bald ein Journalist, der Habeck porträtiert.
Besonders interessant außerdem: Habeck hat sich letzte Woche mit der Ökonomin Prof. Mariana Mazzucato getroffen. Mazzucato ist Autorin der Bücher “Das Kapital des Staates”, “Wie kommt der Wert in die Welt” und “Mission Economy”. Ich kann das erst- und das letztgenannte Buch besonders empfehlen. Sie plädiert für progressive Industriepolitik, einen unternehmerischen Staat und hat mittlerweile auch viele Argumente der MMT für sich übernommen. Kein Wunder, wird ihr doch ein intensiver Austausch mit der MMT-Starökonomin Stephanie Kelton nachgesagt. Bester Einfluss für den deutschen Wirtschaftsminister, der in diesem Bild auch das wichtigste und neueste Buch “Mission Economy” vor sich liegen hat.
Interessant wäre zu wissen, wer die dritte Person im Bild ist. Ist das vielleicht Habecks makroökonomischer Berater? Reine Spekulation. Wer mehr weiß, möge es gerne teilen. Meines Wissens ist das aber zumindest keiner der Staatssekretäre aus dem Bundeswirtschaftsministerium.
Schönheitsfehler
Der Vollständigkeit halber: Habeck passieren natürlich auch ökonomische Fehler. Etwa, wenn er sagt, dass Schuldentilgung eine Bürde für zukünftige Generationen sei. Oder dass unsere Gas-Euros auf dem Konto der russischen Zentralbank landen und nicht genutzt werden können, weil sie dort direkt eingefroren werden. Das ist so nicht korrekt. Sie landen erst auf dem Konto der Gazprombank. Die ist von Sanktionen bisher ausgenommen. Allerdings musste Gazprom dann bisher 80 Prozent dieser Einnahmen an der Devisenbörse gegen Rubel tauschen. Korrekterweise landen die Euros aber nur bei der russischen Zentralbank, wenn diese an der Börse mitmischt und Rubel gegen Euro tauscht oder wenn Gazprom Gewinnbeteiligungen und Steuern an Putin überweist, sonst bzw. vorher nicht. Das Gas der letzten 3 Wochen hätte Russland ja ansonsten auch quasi umsonst an Deutschland geliefert.
Aber diese Fehler sind nur Schönheitsfehler, weil Habeck viel Richtiges sagt und sich in verständlichen Erklärungen bemüht, bei denen er immer wieder versucht, nicht zu weit von Mainstream der Debatten abzuweichen, um nicht zu kontrovers zu sein. In seiner Rolle als Minister sicherlich strategisch sinnvoll.
Viel Richtiges sagt Habeck erst recht im Vergleich zu Christian Lindner. Oder auch im Vergleich zu Olaf Scholz. Meine Hoffnung ist, dass die Einsichten über die Finanzierung Russlands auch auf Deutschland und die Eurozone übertragen werden. Dass der Europäischen Zentralbank der Euro nicht ausgehen kann, dass Geld nicht knapp ist und dass unsere Schuldenregeln unsinnig sind, weil sie Investitionen, Sozialstaat, Wachstum, Vollbeschäftigung und damit Wohlstand verhindern. Wenn Russland sich mit Rubel den fürchterlichen Krieg leisten kann, können wir uns mit Euro den Kampf gegen Klimawandel, Armut und Arbeitslosigkeit leisten. So weit sind wir ja in der öffentlichen Debatte längst noch nicht. Die Einsichten aus Russland stehen heute noch den eingeübten neoliberalen Floskeln und Reflexen gegenüber. Auf dass Robert Habeck uns das vielleicht in den nächsten Monaten auch noch erklärt. Es wäre bitter nötig und viel gewonnen. So oder so: Habeck macht einen guten Job.
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Rudi Bachmann ist der diametralen Meinung, du scheinst also richtig zu liegen: https://www.n-tv.de/politik/Robert-Habeck-wird-schlecht-beraten-article23226647.html