Haushalt: riskante Wette mit blindem Fleck
Wie die neue Regierung die Konsumkrise ignoriert und die Wirtschaft ausbremst
Auch der neue Haushalt wird das mittlerweile alte Problem nicht lösen. In Deutschland herrscht seit drei Jahren Konsumkrise. Was dagegen helfen würde: Entlastungen für kleine Einkommen und ein Konjunkturprogramm. Echte Entlastungen gibt es aber nur für Firmen und Konjunkturprogramme sind offensichtlich aus der Mode.
Das ganze Land redet nämlich eher über Produktionskosten, die gesenkt werden müssen. Oder Wettbewerbsfähigkeit, die gesteigert werden muss (gegenüber wem, sagt allerdings keiner). Oder Deals, die man mit Trump hätte machen müssen. Oder Bürgergeldbezieher, die in den Arbeitsmarkt gedrängt werden sollen (wie genau, weiß auch keiner). Aber keiner darüber, dass die Verbraucher zu wenig ausgeben. Über mangelnde Nachfrage, über Konsumkrise, über die Binnenwirtschaft.
Einzelhandel enttäuscht, Verbraucher sparsam
Im Einzelhandel ist die Stimmung mies. Laut einer Umfrage des HDE unter etwa 650 Handelsunternehmen berichtet etwa die Hälfte, dass sich ihre Geschäftslage im ersten Halbjahr gegenüber dem Vorjahreszeitraum verschlechtert hat. Ein Drittel sieht keine Veränderung, nur 16 Prozent eine Verbesserung. Knapp drei Viertel der Händler geben an, dass die Kundenfrequenz in ihren stationären Geschäften in den vergangenen zwei Jahren gesunken ist.
Das deckt sich mit der Verbraucherseite. Erst letzte Woche kam der neue Konsumklimaindex heraus. Ergebnis: die Konsumlaune ist schlechter als vor einem Jahr. Die Leute halten ihr Geld zusammen und verzichten auf Ausgaben. Gleichzeitig ist die Sparquote gestiegen.
Neben den langfristigen Investitionen müssten die Ökonomen des Landes, ein klassisches Konjunkturprogramm empfehlen, um den Konsum kurzfristig wieder ans Laufen zu bringen.
Ökonomen überfordert mit einfachen Daten
Ein „Puzzle“, nennt das die Wirtschaftsweise Ulrike Malmendier. In ihren Jahresgutachten hoffen die Wirtschaftsweisen ebenso wie die renommierten Institute seit mittlerweile zwei Jahren auf einen anziehenden Konsum – und wundern sich öffentlich, dass er ausbleibt. Immerhin sei doch die Inflationsrate gesunken und die Reallöhne gestiegen!
Das stimmt zwar, reicht aber lange nicht. Die Reallöhne sind zwar gestiegen, liegen aber noch immer knapp unter dem Niveau von 2019. Seitdem sind zudem die Sozialabgaben gestiegen (vor allem Pflege- und Krankenversicherung) und fressen heute ein Prozent mehr vom Bruttolohn auf als 2019.
Im Klartext: die Bruttolöhne haben nicht mal die Kaufkraft von 2019 – und netto bleibt heute sogar noch ein Prozent weniger vom Brutto über. Nur logisch, dass die Verbraucher so wenig Waren aus den Läden tragen wie 2019. Oder nicht?
Was außerdem übersehen wird: Selbst wenn die Reallöhne wieder ihr altes Niveau erreicht hätten, wären die Verluste aus dieser Zeit ja noch nicht ausgeglichen. Viele Menschen haben ihre Ersparnisse angezapft oder gar Schulden gemacht, um ihren Alltag während der hohen Inflation mit möglichst wenig Verzicht aufrechtzuerhalten. Die Reallöhne müssten eine ganze Zeit lang wieder größer als vor der Krise sein, um die Ersparnisse aufzufüllen oder die Schulden zu begleichen. Deshalb auch die gestiegene Sparquote!
Deshalb gibt es auch keine nennenswerten Entlastungen, die das Minus bei den Reallöhnen und den Sozialabgaben kompensieren und den Konsum ankurbeln würden.
Im Haushalt: Nur Kleckerbeträge für Verbraucher
Auch in der Regierung scheint sich niemand um die Konsumkrise zu scheren. Und das obwohl die letzten fünf Jahre bewiesen haben, wie riskant es ist, sich auf ein Geschäftsmodell zu verlassen, das zur Hälfte davon lebt, Waren an das Ausland zu verkaufen. Weil es eben ins Stottern gerät, wenn globale Krisen Lieferketten lahmlegen oder Rechtspopulisten wie Trump einen Zollkrieg anzetteln. Und auch von der eigenen Demografie in Frage gestellt wird. Nämlich: Kann sich ein alterndes Land eigentlich leisten, Exportweltmeister zu sein? Sprich: Mehr zu produzieren und an das Ausland zu verkaufen, als von dort einzukaufen und zu konsumieren? Also unter seinen Verhältnissen zu leben?
Der neue Haushalt beweist: Auch SPD-Finanzminister Klingbeil ist auf diesem Auge blind. Er hat für seinen Haushalt schließlich das Motto ausgegeben: „investieren und konsolidieren zugleich“. Wie ein Autofahrer, der Gas und Bremse zugleich treten will. Ein Widerspruch? Egal, hakt ja eh kein Journalist nach!
Deshalb gibt es auch keine nennenswerten Entlastungen, die das Minus bei den Reallöhnen und den Sozialabgaben kompensieren und den Konsum ankurbeln würden. Allein die Zuschüsse zu den Netzentgelten, die Abschaffung der Gasspeicherumlage und die Erhöhung der Pendlerpauschale bringen ein bisschen Entlastung. Kleckerbeträge!
Dafür bleibt die versprochene Stromsteuersenkung für Verbraucher ebenso aus wie viele andere Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag. Etwa die Anpassung von Mindest- und Höchstbetrag beim Elterngeld, das seit 17 Jahren nicht mehr erhöht wurde (siehe diesen Artikel). Oder das Versprechen, die finanzielle Situation von Alleinerziehenden zu verbessern, indem das Kindergeld nur noch hälftig und nicht wie bisher voll auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet wird (siehe diesen Artikel). Von mehr BAFöG oder einer Reform der Einkommensteuer ganz zu schweigen!
„Eine riskante Wette“
Dafür gibt es eine dreistellige Milliardensumme für Verteidigung und eine zweistellige Milliardensumme an Unternehmenssteuersenkung. Beide aber werden kaum für Wachstum sorgen, wie zwei Studien zeigen. Die Berechnung vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass die 50 Milliarden Euro an Steuersenkung gerade einmal sechs Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung pro Jahr bringen. Also: fast gar nichts.
Die Ökonomen Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk haben außerdem den Wachstumseffekt der Verteidigungsausgaben für die Universität Mannheim untersucht. Das enttäuschende Ergebnis: „Ein zusätzlicher Euro für militärische Ausgaben erzeugt bestenfalls 50 Cent zusätzliche gesamtwirtschaftliche Produktion, möglicherweise aber gar keinen“. Die Wirtschaft mit Militarisierung anzukurbeln sei eine „riskante Wette“, erst recht im Vergleich mit anderen Investitionen, etwa in Infrastruktur oder Bildung. Dort brächte jeder Euro nämlich das zwei bzw. dreifache an Wirtschaftsleistung.
Neben den langfristigen Investitionen müssten die Ökonomen des Landes, ein klassisches Konjunkturprogramm empfehlen, um den Konsum kurzfristig wieder ans Laufen zu bringen. Etwa, indem die Umsatzsteuer auf Grundnahrungsmittel und Bahnfahrten gestrichen würde. Oder das Deutschlandticket rabattiert. Oder das Kindergeld angehoben. Oder ein Klimageld eingeführt. Oder die Zuschüsse an die Krankenkasse erhöht, um den Beitragssatz zu senken. Oder, oder, oder.
Nur: Nicht entlasten und sich über die Konsumkrise wundern, das geht nicht länger. Und macht das Land nur unnötig abhängig von den Launen Donald Trumps!
Das Problem fängt doch schon dabei an, dass die "Wirtschaftsweisen" als "Wissenschaftler" bezeichnet werden. Nichts gegen dich, Maurice, du bist ja auch Wirtschaftswissenschaftler, aber unsere "Wirtschaftsweisen" sind bestenfalls Priester. Mit Wissenschaft haben die so viel am Hut, wie der Klerus im Mittelalter. Mehr als ihren Glauben haben die nicht vorzuweisen. Und ihr Glaube wird seit Jahrzehnten von der Realität falsifiziert - aber sie halten eisern daran fest.
Wären sie echte Wissenschaftler, hätten sie ihre Theorien und Ansichten schon längst hinterfragt, weil sie offensichtlich nicht zur Realität passen. Tun sie aber nicht. Sie halten an ihren Glaubenssätzen fest. Und leider halten nicht nur unsere "Wirtschaftsweisen" diese Glaubenssätze für Gottgegeben, sondern auch unsere Politiker stellen diesen Schwachsinn nicht in Frage - leider bis hinein in Die Linke. Das Unheil hat mit Gerhard Schröder und der Agenda 2010 angefangen. Und die SPD hat sich noch immer nicht von der neoliberalen Cerebralseuche befreien können. Sieht man ja an dem Blödsinn, den Lars Klingbeil da veranstaltet.
Seit 30 Jahren sparen wir unser Militär, unsere Infrastruktur und unseren Sozialstaat kaputt. Gewinne werden Konsequent privatisiert, und Verluste werden sozialisiert. Die Reichen werden immer reicher - und tragen zeitgleich immer weniger zum Gemeinwesen bei. Die Armen werden immer ärmer. Und die Mittelschicht wird geschröpft. Und wenn doch mal einer der überreichen Kapitalisten seinen Anteil an wichtigen Unternehmen veräußern will, steht der deutsche Staat daneben und hält Maulaffenfeil (so geschehen bei Tennet, und gerade wieder bei KNDS), anstatt fraglichen die Anteile zu kaufen.
Und anstatt endlich die Überreichen fair an den Kosten unserer Gesellschaft zu beteiligen (was diese sich problemlos leisten könnten), wird gegen die Ärmsten und Schwächsten unserer Gesellschaft hetzt und ihnen auch noch das letzte bisschen Teilhabe und Würde aberkannt. Aber diejenigen, die das Problem verursachen, werden geschont - und sie werden reicher und reicher. Mit Sozialstaat hat das nichts mehr zu tun, das ist asozial. Asozial und Menschenverachtend.
Nur unsere Öffentlichkeit feiert die Asozialen, die Hetzer, die Geiferer - während die Mittelschicht immer weiter ausblutet, und die Überreichen auf ihren Konten immer obszönere Summen ansammeln.
Wiedermal eine sehr erhellende und wohltuende Sichtweise auf die eigentlichen ökonomischen Problemlagen des Landes. Danke, Maurice! Dass die Nachfrageseite von Politik, Mainstream-Ökonomie und den Medien so beharrlich ignoriert wird, kann man nur als ideologische Verblendung bezeichnen. Die herrschenden Gedanken sind eben allzu oft die Gedanken der Herrschenden.