Jeder Zweite ohne echten Notgroschen
Wie Regierung und Medien die Geldsorgen der Mehrheit ignorieren und damit die AfD starkmachen
Achtung, alarmierende Zahl: 47 Prozent der Erwachsenen haben in Deutschland keine 2.000 Euro als Notgroschen auf der Seite liegen. Jeder Fünfte sogar nur weniger als 500 Euro. Das ergab eine YouGov-Umfrage für das jährliche Liquiditätsbarometer der Teambank. Die Hälfte der Deutschen kann ein kaputter Kühlschrank, eine Reparatur am Auto oder eine unversicherte Zahnbehandlung also in die roten Zahlen drücken.
Schlagzeilen machte diese Zahl aber nicht. Aus der Regierung musste den Befund niemand kommentieren. Und Talkshows wird es nach der Sommerpause dazu wohl auch nicht geben. Eine Instagram-Kachel vom ZDF war das höchste der Gefühle. Und das, obwohl es – nochmal – um die Hälfte (!) der erwachsenen Bevölkerung geht. Zum Vergleich: Über 15.000 sogenannte Totalverweigerer im Bürgergeld diskutiert das Land seit fast drei Jahren – obwohl die nur 0,02 Prozent der Erwachsenen ausmachen.
Derweil rauschen die Zufriedenheitswerte von Schwarz-Rot in den Keller und die AfD in Forsa-Umfragen auf Platz eins.
Oder wie lange dominierte der parteitaktische Schaukampf rund um die Personalie Frauke Brosius-Gersdorf die Berichterstattung und den politischen Betrieb, obwohl dem Großteil der Bevölkerung die Personalie gemessen an den eigenen Alltagssorgen ziemlich egal sein dürfte (zumindest, solange die AfD noch keine Bundesverfassungsrichter benennt)?
Das alles zeigt: Regierung und Medien ist der Maßstab für relevante Themen völlig verrutscht. Unwichtige Themen werden mit Scheinrelevanz aufgeblasen, um dazu politische Schaukämpfe auf den größten Bühnen des Landes auszutragen. Aber gegenüber den Alltagssorgen der großen Mehrheit ist man blind. Oder gleichgültig? In jedem Fall aber: ignorant.
70 Prozent wollen Ausgaben kürzen
Dabei werden die finanziellen Sorgen wieder größer, wie andere Zahlen aus dem Liquiditätsbarometer zeigen. Nur ein Drittel der Befragten geht davon aus, dass sich die finanzielle Lage in den nächsten Jahren verbessert. Zweidrittel befürchten also Stillstand oder gar Verschlechterungen. Das ist auch nur logisch, wenn man bedenkt, dass die Reallöhne noch immer unter dem Niveau von 2019 liegen und die Sozialabgaben seitdem gestiegen sind (und weiter steigen werden), sprich: die Mehrheit sich heute weniger leisten kann als vor fünf Jahren.
Sieben von zehn Befragten geben außerdem an, ihre Ausgaben wegen der verlorenen Kaufkraft zu reduzieren. Am stärksten betroffen: Restaurantbesuche, Urlaube, Möbelkäufe, Kulturevents, Elektronikartikel. Also alles, was als verzichtbar gilt. Auch, wenn es Lebensqualität kostet.
Für die Konjunktur ist das eine Hiobsbotschaft. In der Industrie wird so wenig produziert wie seit Mai 2020 nicht mehr und jetzt verteuern Donald Trumps Zölle auch noch die Exporte in das größte Abnehmerland. Der Einzelhandel verkauft so wenig Waren wie 2021, der Umsatz im Gastgewerbe liegt inflations- und kalenderbereinigt noch immer fast ein Fünftel unter dem Vor-Corona-Niveau und ausgerechnet jetzt wollen 70 Prozent der Verbraucher weniger einkaufen.
Und die Regierung? Senkt die Steuern für Unternehmen, vergibt Großaufträge an Rüstungskonzerne, aber ignoriert die Konsumkrise, verschlimmert sie gar mit Kürzungen im Sozialstaat und setzt nicht einmal versprochene Entlastung bei der Stromsteuer um. Derweil rauschen die Zufriedenheitswerte von Schwarz-Rot in den Keller und die AfD in Forsa-Umfragen auf Platz eins. Man fragt sich: Ist dieser Zusammenhang wirklich keine Talkshow und keine Schlagzeile wert?
Wie es die Regierung besser machen könnte, habe ich zuletzt in diesem Artikel beleuchtet.
Haushalt: riskante Wette mit blindem Fleck
Auch der neue Haushalt wird das mittlerweile alte Problem nicht lösen. In Deutschland herrscht seit drei Jahren Konsumkrise. Was dagegen helfen würde: Entlastungen für kleine Einkommen und ein Konjunkturprogramm. Echte Entlastungen gibt es aber nur für Firmen und Konjunkturprogramme sind offensichtlich aus der Mode.
Will jeder siebte seine Ausgaben kürzen oder sieben von zehn?
Frauke Brosius-Gersdorf spielt zwar für meinen Geldbeutel keine Rolle, für etwas anderes ist es aber trotzdem wichtig. Sie ist jetzt (mindestens!)die dritte Frau, die trotz hoher Qualifikation und Rückhalt abgesägt oder diffamiert wurde. Die anderen sind Frau Schmid, die durch Baerbock verdrängt wurde, und Frau Sudhof, die den Bericht zur Maskenaffäre geschrieben hat. Das gibt mir sehr wohl zu denken, dass solche Persönlichkeiten, noch dazu Frauen, die wir so dringend mehr in verantwortlichen Positionen brauchen, Diffamierungen und Geklüngel zum Opfer fallen. Ja, es war alles in den Medien, kurz und intensiv. Im Gegensatz zu den (zugegeben) unleidlichen Diskussionen über Kürzungen bei verschiedenen Geringverdienern/Arbeitslosen/Migranten