Vier-Tage-Woche für alle? Diese 4 Gründe sprechen dagegen
Warum es falsch ist, wenn Linke jetzt weniger Arbeit für alle fordern
GDL-Boss Weselsky hat von der Bahn bekommen, was er wollte: eine 35-Stunden-Woche für Schichtarbeiter. Zwar gilt das erst in fünf Jahren, aber: immerhin! Lokführer, die nicht auf 35 Stunden gehen wollen, bekommen für jede Zusatzstunde fast drei Prozent mehr Gehalt. Eine 40-Stunden-Woche wird sich als Lokführer 2029 also richtig lohnen. Kann man nur sagen: Glückwunsch, Herr Weselsky!
Die große Frage: Wäre das auch etwas für gesamte Wirtschaft? Ja, meinen Linke und Gewerkschaften. Die Partei DIE LINKE geht sogar noch weiter und fordert eine Vier-Tage-Woche für alle, bei vollem Lohnausgleich. Ich meine: Das klingt für zwar verlockend, ist auch sicher gut für die Zukunft, passt aber aus vier Gründen nicht in die Zeit.
Erstens: Die Babyboomer
Die Zahlen dürften bekannt sein: bis 2036 gehen rund 18 Millionen Boomer in Rente, aber nur elf Millionen junge Erwerbstätige kommen neu auf den Arbeitsmarkt. Macht eine Lücke von sieben Millionen. Wenn dann alle anderen rund 40 Millionen Erwerbstätigen in einer Vier-Tage-Woche auch noch 20 Prozent weniger arbeiten, wird diese Lücke noch größer.
Füllen kann man diese Lücke zwar mit Zuwanderung, Vollbeschäftigung und Produktivitätsfortschritt. Schafft man das aber nicht, schrumpft die Wirtschaft. Der Kuchen wird also kleiner, Wohlstand geht verloren. Eine schrumpfende Wirtschaft ist unpopulär, verschärft das Rentenproblem – genauso wie eigentlich alle anderen Verteilungsprobleme im Sozialstaat – und ist Wasser auf die Mühlen der Rechten. Die Gegenwart sollte uns warnen: Die Wirtschaft schrumpft, dafür wachsen AfD und Union, und getreten wird auf Arbeitslose und Geflüchtete. Je kleiner der Kuchen, desto schwerer wird es sein, für Arbeitnehmer, Arbeitslose und Asylsuchende die Stücke zu vergrößern.
Linke Forderungen müssen zur Debattenlage passen. Mehr Pragmatismus, weniger Traumtänzerei im Seitenaus. Sonst bleibt man Forderungsriese, aber Umsetzungszwerg.
Zweitens: Die Produktivität
Der Schlüssel zu weniger Arbeit ohne Wohlstandsverlust ist Produktivität. Genau die lahmt aber seit zwei Jahrzehnten (siehe Grafik). Der jährliche Fortschritt ist kleiner als ein Prozent, in Krisen sogar rückläufig. Die versprochenen Schübe durch künstliche Intelligenz, Digitalisierung und Robotik sind bisher ausgeblieben. Klar, mit mehr Forschung, mehr Investitionen und einer brummenden Wirtschaft ließe sich auch die Produktivität steigern. Das sind aber große Prämissen.
Außerdem erschwert die Alterung der Gesellschaft selbst Fortschritte bei der Produktivität. Denn je mehr Boomer in Rente sind, desto mehr Personal braucht es in Krankenhäusern, Alters- und Pflegeheimen; abstrakt gesagt: desto mehr Dienstleistungen braucht es. Dienstleistungen sind aber unproduktiver als Industriejobs, weil dahinter Menschen stehen und nicht Maschinen. Hinzukommt: Anders als in der Industrie lässt sich bei Dienstleistungen Arbeit kaum verdichten. Ein Pfleger kann nächste Woche nicht in vier Tagen schaffen, was er diese Woche in fünf Tagen erledigt; eine Maschine vielleicht.
In Pflegeberufen fehlen schon heute Hunderttausende. Der Lohn ist gemessen an der Maloche zu klein und die Arbeit wegen Personalmangel bis an die Grenze des Verantwortbaren verdichtet. In Kitas, Schulen und Ämtern sieht es ähnlich aus. Solche Engpassjobs müssen attraktiver werden. Mehr Lohn, mehr Kollegen, und, ja, vielleicht auch weniger Arbeitszeit. Wie bei den Lokführern, ebenfalls ein Engpassjob.
Wichtig: Arbeitszeitverkürzung für Engpassberufe, um diese gegenüber anderen Berufen aufzuwerten und den Mangel zu beseitigen, ist etwas völlig anderes, als wenn die Politik für alle Branchen die Vier-Tage-Woche zum Standard macht. Dann nämlich würde der Weselsky-Erfolg zunichte gemacht. Heißt: Man kann das GDL-Ergebnis gut finden, aber die Vier-Tage-Woche für alle kritisch sehen. Das ist kein Widerspruch. Das eine ist Betriebswirtschaft, das andere Volkswirtschaft!
Drittens: Der Geldbeutel
Hinter uns liegen vier Jahre Dauerkrise. Die Reallöhne sind im Schnitt sechs Prozent niedriger als 2019. Vier Jahre Verzicht liegen hinter dem durchschnittlichen Arbeitnehmer. Dabei hatten viele schon vorher zu wenig, um sich selbst und die Familie sorgenfrei durch den Alltag zu bringen. Für viele blieb der versprochene Aufstieg aus. Die Hälfte der Deutschen hat quasi keine Ersparnisse. Mehr Freizeit finden erstmal alle gut, aber natürlich heißt „voller Lohnausgleich“ nicht, dass die Leute am Monatsende mehr aufs Konto bekommen. Voller Lohnausgleich heißt nur, es wird nicht weniger. Der Stundenlohn steigt durch Arbeitszeitverkürzung, der Monatslohn aber nicht. Auf den kommt es für viele aber an.
Wie viele also wirklich mehr Freizeit statt mehr Geld wollen, zumal wenn man noch die soziale Schicht und die Lebensphase mit einbezieht, ist keine triviale Frage.
Außerdem ist es naiv, zu glauben, man könne mit der Vier-Tage-Woche die verlorenen Lohnzuwächse der Vergangenheit (als die Löhne weniger stiegen als die Produktivität und die Inflation) mit einem Gesetz wieder wettmachen. Die Vier-Tage-Woche würde sofort die Preise steigen lassen, womöglich gar die EZB zu weiteren blinden Zinserhöhungen zwingen.
Warum die Preise steigen lassen? Weil die höheren Stundenlöhne die Produktionskosten pro Stück erhöhen. Unternehmen schlagen höhere Lohnstückkosten auf den Verkaufspreis auf, um ihr Stück vom Kuchen, ihre Profite, nicht kleiner werden zu lassen, also zu verteidigen. Von fünf auf vier Tage bei vollem Lohnausgleich entspräche einer Stundenlohnerhöhung von 25 Prozent. Fündundzwanzig Prozent! Zum Vergleich: Gewerkschaften haben nicht nur während des Preisschocks die letzten zwei Jahre den Kürzeren gezogen, sondern selbst in den zwei Jahrzehnten zuvor nicht einmal die rund zwei Prozent Zielinflation plus Produktivitätsfortschritt (in Summe also circa 2,5 Prozent) durchgesetzt.
Viertens: Die Glaubwürdigkeit
Fakt ist: Linke Politik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Die Bevölkerung traut Linken nicht zu, für eine brummende Wirtschaft und Aufstieg zu sorgen. Genau dann die Vier-Tage-Woche nach vorne zu stellen, wenn die Babyboomer kurz vor der Rente sind, es in jeder Talkshow um ein vermeintlich kaputtes Rentensystem und schon jetzt grassierenden Arbeitskräftemangel geht, ist schlechtes Timing und verschärft das Glaubwürdigkeitsproblem.
So bekommt man einen Christian Lindner und einen Friedrich Merz nicht gestellt, geschweige denn Verunsicherte überzeugt. Und: Von Applaus aus der eigenen Blase kann man sich nichts kaufen.
Mal ehrlich: Die gesellschaftliche Linke schafft es nicht einmal, sich überzeugend gegen die Aktienrente zu wehren, geschweige denn den Mythos vom bereits grassierenden Arbeitskräftemangel zu widerlegen (habe ich hier gemacht) oder Konservative in Sachen Schuldenbremse altaussehen zu lassen. Leider! Warum soll es dann aber bei einer noch viel schlechteren Ausgangslage mit der Vier-Tage-Woche klappen?
Linke Forderungen müssen zur Debattenlage passen. Mehr Pragmatismus, weniger Traumtänzerei im Seitenaus. Sonst bleibt man Forderungsriese, aber Umsetzungszwerg. Nicht falsch verstehen: Pragmatismus heißt nicht, Ambitionen aufzugeben. Eher andersherum: Pragmatismus führt zu Akzeptanz; und je größer die Akzeptanz für linke Wirtschaftspolitik, desto mehr lässt sich durchsetzen.
Dafür braucht es aber wie auf dem Schachbrett die richtigen Züge zur richtigen Zeit. Die Vier-Tage-Woche für alle ist kein grundsätzlich falscher Zug, aber er kommt völlig zur falschen Zeit. Statt selbst anzugreifen, macht man sich nur angreifbar.
In dem Artikel unterhalb hatte ich schon mal erklärt, warum auch das Versprechen, mit der Vier-Tage-Woche für neue Jobs zu sorgen, nicht aufgeht.
Lieber Maurice, vielen Dank für den interessanten und sehr lesenswerten Beitrag zum obigen Thema. In meinem Leserbrief versuche ich das Thema einmal von einer anderen Warte aus zu beleuchten.
Wenn wir uns anschauen, was die Menschen in unserem Land heute produzieren und uns dann die Frage stellen: „Was benötigen wir davon wirklich, um auch weiterhin ein - gutes Leben - zu führen?“ wird eine andere Tür an Lösungsmöglichkeiten geöffnet!
Als erstes fällt mir dabei unser ständiger Export-Überschuss auf (ca. 5% dessen was wir produzieren), der als nutzbare Produkte für die Menschen unseres Landes verloren geht. Das dafür erhaltene Geld ist für das – gute Leben – bedeutungslos, da niemand von diesem Geld satt wird.
Schauen wir uns den großen Rest dessen, was Menschen in unserem Land produzieren an, sollte geprüft werden, auf was wir dabei „verzichten“ können, aus ökologischen Gründen sogar „verzichten müssen“ um unseren Nachkommen eine lebenswerte Welt zu ermöglichen.
Wer sich mal die Mühe macht seinen Haushalt von all den Dingen zu befreien, die er in den letzten 10 Jahren nicht angefasst hat, kommt auf eine erstaunliche Menge an Gütern, deren weitere Produktion fragwürdig ist und auf die wir leicht verzichten können, ohne unser – gutes Leben – zu gefährden.
Ein weiteres großes fragwürdiges Produktionsvolumen ist das Thema Mobilität. Unser geliebtes Auto ist zu 95% ein still vor sich hin rostendes Denkmal und damit eigentlich überflüssig. Dass hier allein aus ökologischen Gründen sich etwas ändern muss, ist selbst dem hartnäckigstem Leugner nicht verborgen geblieben. Diese Ressourcenverschwendung kann nicht auf Dauer bestehen bleiben. Auch die Umweltbelastung durch die Fliegerei muss zwingend reduziert werden. Wenn wir nur die Hälfte dieser Produktion einstellen, sinkt der Arbeitskräftebedarf entsprechend, ohne dass es uns schlechter geht, da es uns am Essen und Trinken und an all den anderen Dingen des – guten Lebens – nicht fehlen wird.
Der nächste größere Brocken sind die Produkte, die wir angeblich für unsere „Verteidigung“ gegen Andere benötigen. Hier ist eine Friedenspolitik der bessere und preisgünstigere Weg. Wer eine Waffe in die Hand nimmt kann diese sofort auch für einen Angriff statt für eine Verteidigung benutzen!
Diese Beispiele lassen sich mit vielen anderen Produkten fortsetzen und würden den Rahmen eines Leserbriefs sprengen. Schon die aufgeführten Beispiele würden wahrscheinlich reichen, um den Bedarf an Arbeitsstunden soweit zu senken, dass eine 4-Tage-Woche ausreicht um weiterhin ein – gutes Leben – ohne reale Versorgungsengpässe zu ermöglichen.
Natürlich muss die gezahlte Geldmenge für das geringere Produktionsvolumen bei gleichbleibenden Preisen entsprechend angepasst sprich erhöht werden. Dass es sich hier um eine geänderte Verteilung des Geld-Kuchens handelt ist ein wünschenswerter Effekt, der die heutige extreme Ungleichverteilung ein wenig reduzieren könnte.
Den Vergleich mit den Lokführern ist mir nicht ersichtlich. Warum ist dort die Verkürzung möglich, trotz eines Mangels, aber bei Pflegeberufen nicht? Denn diesen Beruf würde eine 4-Tage-Woche ebenfalls aufwerten.