Warum gibt es bei ARD und ZDF nur Hofberichterstattung für die EZB?
ARD und ZDF behaupten, die hohen Zinsen haben die Inflation gesenkt. Belege gibt es dafür nicht. Warum ist der ÖRR so unkritisch?
Endlich! Nach zehn Zinserhöhungen in Folge hat die Europäische Zentralbank (EZB) gestern eine Zinspause eingelegt. Zuvor hatte sie den Zins in einem Jahr von null auf 4,5 Prozent erhöht – Rekordhöhe in Rekordtempo. Warum aber kommt die Zinspause erst jetzt und nicht schon beim letzten Mal vor sechs Wochen? Die EZB erklärt die Entscheidung in ihrer Pressemitteilung damit, dass »die Inflation im September merklich zurückgegangen« sei. Das ist aber nicht der Fall.
Ja, die jährliche Inflationsrate ist zwar von 5,2 auf 4,3 Prozent gefallen, aber nicht weil die Preise gefallen sind, sondern weil der September 2022 einfach ein extrem teurer Vergleichsmonat war. Die Inflationsrate ist gefallen, weil die Preise im September 2022 schneller gestiegen sind als dieses Jahr. Damals schossen Gas und Strom auf Rekordhöhen an der Börse, weil Putin die Gaspipeline Nordstream 1 abgedreht hatte – und an den Märkten die blanke Panik vor einer Mangellage herrschte. Anders als sich das EZB-Statement liest, sind die Preise in der Eurozone letzten Monat aber nicht gefallen, sondern sogar um 0,3 Prozent gestiegen. Jahreswerte zu vergleichen, bringt keine Erkenntnis und liefert keine vernünftige Rechtfertigung.
In der Pressemitteilung rühmt sich die EZB außerdem dafür, dass die Zinserhöhungen »stark auf die Finanzierungsbedingungen« durchschlagen. »Dies dämpft zunehmend die Nachfrage und trägt so zu einem Rückgang der Inflation bei«, so der Wortlaut. Wie genau, fragt man sich, wird aber nicht erklärt. Die Nachfrage ist seit der Pandemie schwach und liegt noch immer unter dem Niveau von 2019. Warum eine stagnierende Nachfrage in 2023 plötzlich die Inflation dämpfen soll, nachdem die Inflation 2022 nicht (!) von einer steigenden Nachfrage ausgelöst wurde, bleibt ein Rätsel. Ohnehin fühlt sich die EZB selten verpflichtet, ihre Entscheidungen öffentlich zu erläutern. Und Journalisten sich selten berufen, bei der EZB kritisch nachzuhaken.
Unabhängig oder unantastbar?
Vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien wie ARD und ZDF sind verdächtig zahm zur EZB. Warum eigentlich? Zwar ist es verpönt, wenn die regierenden Politiker der EZB reinquatschen, weil die EZB eben unabhängig von politischem Einfluss sein soll, aber das gilt doch nicht für die Medien. Im Gegenteil: Es ist ein Segen für die Demokratie, wenn die Medien der Regierung und der Zentralbank genau auf die Finger schauen und die Entscheidungen von allen Seiten kritisch beleuchten. Immerhin haben die Entscheidungen der Zentralbank riesigen Einfluss auf uns alle. Der Preis von Geld betrifft fast alle Verträge, die in einer Volkswirtschaft geschlossen werden: vom Sparvertrag bis zum Studienkredit. Nur weil die EZB unabhängig ist, ist sie längst nicht unantastbar.
Der Eindruck drängt sich auf: ARD und ZDF sehen sich als verlängerter Pressearm der EZB. Heute beispielsweise haben beide Sender auf ihren Social-Media-Profilen die Behauptung geteilt, die höheren Zinsen hätten die Inflation gesenkt. Beweise liefern sie dafür aber nicht.
»Die Zinserhöhungen der EZB seit letztem Jahr haben also bereits Wirkung gezeigt.« - ZDFheute auf Instagram
»Zudem zeigen die höheren Zinsen längst Wirkung: die Inflation geht weiter zurück.« - ARD-Tagesschau auf Instagram
Immerhin findet man im ZDF-Beitrag noch den Versuch einer theoretischen Herleitung:
»Höhere Zinsen verteuern Kredite. Es werden weniger kreditfinanzierte Investitionen getätigt, die Nachfrage wird gebremst. Das Angebot ist höher als die Nachfrage. Die Preise sinken.«
Nur ist das nicht mehr als eins zu eins die Theorie, auf die die EZB auch in ihren Pressemitteilungen abstellt. Kann man damit aber erklären, warum Gas- oder Strompreise im September 2022 so durch die Decke gegangen sind, aber seit einem halben Jahr an der Börse wieder auf dem Niveau von 2021 liegen? Wohl kaum.
Und apropos Nachfrage: Der Gasverbrauch in der deutschen Wirtschaft liegt nur marginal unter dem von 2022. Und zwar ganz offensichtlich, weil Energie teuer geworden ist, Haushalte deshalb sparen und die energieintensive Industrie ihre Produktion um rund zwanzig Prozent drosseln musste. Nicht aber, weil die Zinsen gestiegen sind.
Da teure Energie der größte Preistreiber war, wäre erstmal zu beweisen, wie höhere Zinsen überhaupt Einfluss auf die Nachfrage nach (oder das Angebot von) Energie nehmen sollen. Den Beweis liefert aber weder die EZB noch die Redakteure von ARD und ZDF. Wir halten fest: Die zitierten Sätze, wonach die Zinserhöhungen »Wirkung zeigen«, sind also nicht mehr als unbelegte Behauptungen.
Ebenso wenig hinterfragen ARD und ZDF die Floskel der EZB, die Zinsentscheidung basierten auf einem »datengestützten Ansatz«. Diese Floskel predigt Lagarde bei jeder Pressekonferenz und die steht auch so in jedem Pressetext. Erklären muss Lagarde aber nie, welche Daten denn genau gemeint sind.
Ohne also zu wissen, welche Daten berücksichtigt werden, zitiert das ZDF aus der Pressemitteilung: »Bei der Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus werde der EZB-Rat auch künftig einen "datengestützten Ansatz" verfolgen«.
Wissen die Redakteure, was sie da zitieren und einem Millionenpublikum einmal alle sechs Wochen als unbestreitbare Fakten verkaufen. Und: Nach welchem journalistischen Standard ist ein solcher Umgang mit der EZB überhaupt zu rechtfertigen? Die EZB verdient kritische und kundige Journalisten, keine Hofberichterstattung!
Übrigens: Ein genauerer Blick auf »die Daten« zieht schon die vorherigen Zinserhöhungen in Zweifel, wie ich in diesem Artikel zuletzt erklärt habe.
Hi Maurice,
die Argumentation war doch vom Start der Zinserhöhungen an schon klar: Die Inflationsrate ist hoch (warum ist egal) also muss der Zins rauf. Und jetzt ist die Inflationsrate wieder niegriger (warum ist egal), also waren die Zinserhöhungen erfolgreich. Passt doch alles...
Du hattest ja schon immer mehr vom Energiepreisschock als von der Inflation gesprochen und meiner Meinung nach auch gute Prognosen über die Preisentwicklungen gegeben, eben genau durch den Vergleich mit dem Vorjahresmonat und dem sprunghaften Anstieg des Gaspreises im Sommer 2022.
Ich sage mal für junge und naive Geld-für-die-Welt-Follower alles keine Überraschung. Die Frage warum die EZB ihre Entscheidungen überhaupt nicht an Fakten festmacht bzw. diese zumindest nicht transparent kommuniziert und das alles journalistisch nicht hinterfragt wird, lässt mich auch sprachlos zurück.
Noch sprachloser war ich allerdings gestern, als sich die ARD in der Tagesschau durchaus 'technologieoffen' gezeigt hat und Christian Dürr uns erklären durfte, dass es die Einhaltung der Schuldenbremse ist, die dafür gesorgt hat, die Inflation auf den niedrigsten Stand seit 2021 zu kriegen: 'Wenn sich der Staat zurück hält, dann sinkt auch die Inflation'. Na dann ist doch alles klar, ich bin so froh, dass wir die FDP haben...
(Fast) Alles gut beobachtet.
In Richtung Russland scheint Maurice Höfgen dem Mainstream-Journalismus zu vertrauen. Maurice Höfgen schreibt: »Damals (September 2022 H.Z. )schossen Gas und Strom auf Rekordhöhen an der Börse, weil Putin die Gaspipeline Nordstream 1 abgedreht hatte – und an den Märkten die blanke Panik vor einer Mangellage herrschte. «
Erstens ist eine Personalisierung á la "Putin hat den Gashahn zugedreht" per se unzulässig. Zweitens ist nicht ausgemacht, ob nicht tatsächlich technische Schwierigkeiten den Gasfluss drosselten. Drittens wurde im September auch Nord Stream zerstört. Und viertens wurde die Spekulation auch durch die Aussagen von Mitgliedern der Bundesregierung angeheizt, die von sich aus auf russische Energieträger verzichten wollten. Von dem Fehler der EU die Gasversorgung zu "liberalisieren" und über Börsen abzuwickeln mal ganz zu schweigen. Der exorbitante Anstieg des Gaspreises begann bereits im Herbst 2021.
Thomas Röper schrieb zum Beispiel im Herbst 2021:
Die Gründe für die Energiekrise in Europa (Stand Herbst 2021)
Erstens: Der letzte Winter war kalt, weshalb viel Gas verbraucht wurde. Pipelines und Tanker reichen nicht aus, um im Winter genug Gas nach Europa zu bringen, weshalb die Gasspeicher normalerweise im Sommer aufgefüllt werden. Das ist in 2021 ausgeblieben und während die Gasspeicher normalerweise zu Beginn der Heizsaison zu fast 100 Prozent gefüllt sind, waren sie im Oktober 2021 nur knapp 75 Prozent gefüllt.
Zweitens: Die Energiewende hat zu einem zu großen Anteil von Windenergie am Strommix geführt. Da der Sommer 20221 aber außergewöhnlich windstill war, fehlte die Windkraft und es wurde unter anderem Gas zur Stromerzeugung genutzt, das eigentlich in die Speicher hätte geleitet werden müssen.
Drittens: Der Wunsch vieler europäischer Politiker, russisches Gas durch vor allem amerikanisches Flüssiggas zu ersetzen, hat dazu geführt, dass in Europa nun Gas fehlt. Der Grund: In Asien sind die Gaspreise noch höher als in Europa und die fest eingeplanten amerikanischen Tanker fahren nach Asien, anstatt nach Europa.
Viertens: Die Reform des Gasmarktes der letzten EU-Kommission hat den Handel mit Gas an den Börsen freigegeben. Dadurch wurde Gas zu einem Spekulationsobjekt. Während Gazprom sein Gas gemäß langfristiger Verträge für 230 bis 300 Dollar nach Europa liefert, ist es für die Importeure ein gutes Geschäft, das Gas an der Börse für 1.000 Euro weiterzuverkaufen und diese Spekulationsgewinne in Höhe von mehreren hundert Prozent in die eigene Tasche zu stecken.
Warum Gazprom trotzdem langfristige Verträge möchte? Die Antwort ist einfach, denn das war auch in Europa so, als in Europa noch Gasfelder erschlossen wurden. Der Produzent von Gas muss Milliardeninvestitionen planen und das geht nur, wenn er weiß, wie viel Gas er langfristig zu welchem Preis verkaufen kann. Daher möchte ein Gasproduzent langfristige Verträge, auch wenn der Preis zeitweise möglicherweise viel niedriger ist als der, den er an der Börse erzielen könnte.
Auch für den Kunden ist es von Vorteil, wenn er die Gaspreise und die Gasmengen im Voraus planen kann, denn was passiert, wenn man sich auf kurzfristige Verträge einlässt, erleben wir gerade in Europa. Dass die EU-Kommission sich trotzdem für kurzfristige Verträge und Börsenhandel von Gas einsetzt, ist entweder Inkompetenz, oder der Wunsch europäischen Konzernen die lukrative Börsenspekulation mit Gas auf Kosten der Verbraucher zu ermöglichen, oder die politische Abhängigkeit von den USA, die auf kurzfristige Verträge setzen, weil ihrer schnelllebigen Frackingindustrie schnelle Gewinne wichtiger sind als langfristige Planungssicherheit.