Wer soll das glauben, Herr Lindner?
Die FDP verspricht 188 Milliarden Euro Steuersenkung, ganz ohne neue Schulden. So verspielt sie ihre letzte Glaubwürdigkeit
Mal Tacheles, Herr Lindner: Niemand glaubt Ihnen, dass Sie vom D-Day-Papier nichts wussten. Niemand wäre überrascht, wenn bald herauskommt, dass Sie es gar in der Parteizentrale beauftragt haben. Niemanden würde es schockieren, dass Sie trotzdem Ihren ehemaligen Büroleiter und langjährigen Wegbegleiter Reymann vom Geschäftsführerposten gestoßen haben, um Ihre eigene Haut zu retten. Und – noch wichtiger – niemand glaubt Ihnen, dass die neuen FDP-Wahlversprechen umsetzbar sind.
Ich will daran erinnern: Als Finanzminister haben Sie nicht eine (!) echte Steuersenkung hinbekommen, weil Sie an der Schuldenbremse klebten. In Ihrem Wahlprogramm aber schlagen Sie jetzt plötzlich sage und schreibe 188 Milliarden Euro Steuersenkungen vor? Pro Jahr wohlgemerkt! Und natürlich ohne neue Schulden! Wie soll das gehen? Und: Wer soll Ihnen das abkaufen? Einer neuen FDP-Spitze hätte man das vielleicht geglaubt. Aber doch nicht Ihnen. Und schon gar nicht, wenn die Forderungen mit den einfachen Grundrechenarten nicht zusammenpassen.
Die Schuldenbremse ist faktisch eine Steuersenkungs-Bremse!
Und, nein, der Abbau der kalten Progression in der Ampel war keine Entlastung, sondern nur das Verhindern inflationsbedingter Belastung – ein wichtiger Unterschied. Zumal der Abbau der kalten Progression vor allem Spitzenverdienern Steuern spart, und zwar: fünfmal mehr als Durchschnittsverdienern (hier erklärt).
Der arbeitgebernahe Ökonom Michael Hüther vom Institut der deutschen Wirtschaft hatte Recht, als er vor einem halben Jahr im Handelsblatt schrieb: „Die Schuldenbremse ist faktisch eine Steuersenkungs-Bremse!“. Hüther schlug sogar vor, wachstumsförderliche Steuersenkungen von der Schuldenbremse auszunehmen, indem die daraus resultierende Verschuldung über fünf Jahre und nicht sofort abgebaut werden muss. Dann hätten Steuersenkungen ein paar Jahre Zeit, um über höheres Wachstum wieder höhere Steuereinnahmen einzuspielen.
Das wäre mutige und seriöse liberale Finanzpolitik. Darüber könnte man diskutieren. Das wäre mal ein Vorschlag. Sie aber verbarrikadieren sich in einer strikten, kategorischen, ja ideologischen Ablehnung von Schulden – ohne volkswirtschaftliche Grundlage. Symbolisch dafür steht Ihr Wahlplakat: „Schulden: Kinder haften für Ihre Eltern“. Trotzdem 188 Milliarden Euro an Steuersenkungen in das Programm zu schreiben, das ist Bullerbü – oder Wählertäuschung!
Übrigens sind das Steuersenkungen, die fast zur Hälfte an die reichsten zehn Prozent und zu Dreivierteln an die reichsten 30 Prozent gingen, wie der DIW-Ökonom Stefan Bach nachgerechnet hat. Allein 41 der 188 Milliarden Euro gingen gar an das reichste ein Prozent. An die, die längst so viel Geld haben, dass sie zusätzliche Steuerentlastungen nur zusätzlich sparen und an die Seite legen. Oder in Aktien und Immobilien investieren. Aber eben nicht in die Geschäfte tragen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bäcker Lutze bekommt durch diese Steuersenkungen nicht einen neuen Kunden. Dafür müsste vor allem die ärmere Hälfte entlastet werden. An die würden aber nur 21 der 188 Milliarden Euro an Steuerentlastungen gehen. Krümel für den Pöbel, Torten und Champagner für die Eliten, diesen Geist atmet Ihr Programm. Sie hängen noch immer an Trickle-Down-Economics aus den 1980er-Jahren!
Die ungerechte Verteilung liegt daran, dass die Entlastungen vor allem bei der Einkommensteuer ansetzen. 12,5 Milliarden bringt allein die Streichung des Solidaritätszuschlages und satte 92 Milliarden der Abbau des sogenannten Mittelstandsbauchs und der Erhöhung des Tarifeckwertes für den Spitzensteuersatz. Der soll laut FDP-Programm zukünftig ab 96.000 Euro statt ab 68.000 Euro zu versteuerndem Jahreseinkommen greifen. Dazu kommen 38 Milliarden für die Senkung des Unternehmensteuersatzes, erleichterte Abschreibungen, erweiterte Verlustrechnung und einen steuerlich absetzbaren Eigenkapitalzins – alles Maßnahmen, die de facto die Steuerlast der Unternehmen senken. Solange die Auftragsbücher nicht prall gefüllt sind, führen aber auch Steuergeschenke für Unternehmen nicht zu Investitionen (hier erklärt).
Um über die Fünf-Prozent-Hürde zu steigen, wedeln Sie, Herr Lindner, den reichsten zehn Prozent mit Geldgeschenken zu, die Sie niemals einhalten könnten.
Allein die Senkung der Stromsteuer, die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gastrospeisen, die Streichung der KFZ-Steuer und das Klimageld kommen auch bei den unteren 90 Prozent an. Für Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur, etwa bei der Bahn, den Kitas, der Feuerwehr, der Pflege, der Abfallentsorgung oder der Krankenhäuser, will die FDP aber das Streikrecht verschärfen – und damit deren Machthebel für höhere Löhne verkleinern. Hinzu kommt: die vorgesehene Pauschalierung der Wohnkosten und die Absenkung der Regelsätze im Bürgergeld wiederum würden das Existenzminimum der Ärmsten kürzen.
Um über die Fünf-Prozent-Hürde zu steigen, wedeln Sie, Herr Lindner, den reichsten zehn Prozent mit Geldgeschenken zu, die Sie niemals einhalten könnten. Mit liberaler Politik für die Mitte hat das genau nichts zu tun. Es ist ein Selbstbetrug der FDP und eine Täuschung der Wähler!
Ach, und noch eine Frage zum Schluss: Ist Ihre Angst vor der Fünf-Prozent-Hürde wirklich schon so groß, dass Sie bei Donald Trump den Vorschlag abschreiben, die Zentralbank solle eine „Bitcoin-Reserve“ anlegen? Um mit der AfD um die Stimmen der toxischen Bitcoinbros zu konkurrieren? So weit ist es schon?
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So aktuell und faktenbasierte Informationen sind grossartig! Danke Maurice! Abgesehen davon, dass ich die FDP ohnehin nicht wählen werde, bestärkt mich Ihre Argumentation. Was denkt sich C.Lindner eigentlich? Ich glaube, er ist so Selbstverliebt, dass er die Wirklichkeit gar nicht mehr zur Kenntnis nimmt. Und zu behaupten, das D-day Papier nicht gekannt zu haben, ist die schlechteste aller Lügen!
Erschreckend wie sich so manche Parteiprogramme lesen, insbesondere von FDP und CDU/CSU - und viel schlimmer noch wie viele Menschen sich hier von nicht haltbaren Versprechungen zur nächsten Wahl vermutlich wieder täuschen lassen.
Leider habe ich die Befürchtung, dass auch für die kommende Legislaturperiode in diesem Land Stillstand droht, wie auch Herr Habeck in seiner Rede warnend erwähnt hatte.
Ein wenig müssen wir noch warten, bis die CDU einen großteil Ihrer Stammwählerschaft verliert, aber bis dahin droht vermutlich weiter eine stagnierende Wirtschaft und bleibende Armut.
Und das innerhalb von vier Jahren das Ansehen von (subjektive Meinung) inhaltlich fundierteren/realistischeren Parteien wie den Grünen so gesunken ist verdanken wir sicherlich zu einem Großteil Herrn Söder höchstpersönlich.
Ich persönlich hoffe, dass sich aus diesem Tief über einen starken Wahlkampf etwas erholt werden kann, gut angefangen hat es meiner Meinung nach schon mit der Rede und dem eindringen in fremde Küchen. Hier kaufe ich einem Politiker zumindest mal die Politik am Volk, für das Volk ab. Ob man enttäuscht wird bleibt abzuwarten.