Winterflaute statt Weihnachtsboom
Warum dem Handel ein schlechtes Weihnachtsgeschäft droht, obwohl die Reallöhne steigen
Weihnachten, das ist für den Handel die umsatzstärkste Zeit des Jahres. Hier gehen so viele Geschenke, Spielwaren und Lebensmittel über das Kassenband wie sonst nicht. Für viele Händler entscheidet das Weihnachtsgeschäft über den Erfolg des gesamten Geschäftsjahres. Entsprechend groß sind die Erwartungen in der Vorweihnachtszeit. Doch die drohen dieses Jahr enttäuscht zu werden.
Darauf deutet eine neue Umfrage des Handelsverbands Deutschland unter 300 Unternehmen hin. Rund 70 Prozent der Händler melden bereits rückläufige Besucherzahlen zum Vorjahr. Nur 14 Prozent geben an, mit den Umsätzen im November zufrieden zu sein. Überhaupt klagt der Handel schon das ganze Jahr über schwache Umsätze, besonders vor Ort in den Geschäften. Im Oktober lag der Umsatz saison- und inflationsbereinigt noch immer zwei Prozent unter dem Niveau vom Oktober 2021 – bevor der Ukrainekrieg zu großen Preissprüngen geführt hat.
Dabei sind die Reallöhne im letzten Quartal doch schon wieder gestiegen, könnte man einwenden. Und zwar um 2,7 Prozent. Die Meldung vom Statistischen Bundesamt ging vor Tagen mit Euphorie durch die Presse. Warum kommt die Euphorie nicht beim Handel an?
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Kaufkraft noch immer kleiner als 2019
Der Grund ist einfach: Die Reallöhne steigen zwar seit dem Sommer 2023 wieder (siehe Grafik), haben allerdings die ganzen Verluste aus der Zeit vor dem Ukraine-Krieg und vor Corona noch nicht wieder wettgemacht.
Statt die quartalsweisen Zuwächse zu bejubeln, die außerdem durch Einmal-Prämien verzerrt wurden, lohnt ein Blick auf den Index. Und der zeigt uns: Die Reallöhne liegen noch immer unter dem Niveau vom dritten Quartal 2019. Heißt: die Menschen haben noch immer weniger Kaufkraft als 2019. Kein Wunder, dass weniger gekauft wird.
Diese vier Punkte werden außerdem im Wirtschaftsteil der Zeitungen immer wieder vergessen und verschärfen das Problem noch. Erstens: Zu dem Kaufkraftverlust der Bruttolöhne kommt noch, dass die Sozialabgaben seit 2019 um ungefähr einen Prozentpunkt erhöht wurden. Netto fehlt also ein Prozent vom Brutto. Zweitens müsste der Reallohnindex erstmal einige Zeit über dem Niveau von 2019 liegen, um die Verluste in der Zwischenzeit wieder wettzumachen. Die bisherigen Kaufkraftverluste mussten ja mit Verzicht, Abbau von Ersparnissen oder Aufnahme von Schulden kompensiert werden.
Drittens sorgen bei vielen Haushalten auch die gestiegenen Zinsen (wegen des Ukrainekrieges!) für höhere Kreditkosten. Kreditkosten werden aber in der Berechnung der Inflationsrate gar nicht berücksichtigt (hier erklärt). Und damit auch nicht in der Berechnung der Reallöhne. Für Schuldner mit höheren Kreditkosten sind die Reallöhne also weiter gefallen, als die Statistik hergibt. Ergo bleibt Schuldnern noch weniger Kaufkraft für den Konsum. Und viertens ist die Arbeitslosigkeit seit 2019 stark gestiegen. Heute sind rund 600.000 Menschen mehr arbeitslos als im November 2019. Dazu kommen etwas mehr als 200.000 Menschen, die gerade in Kurzarbeit sind. Macht 800.000 Menschen mit größeren Einkommenseinbußen als die Reallohnentwicklung hergibt.
Wo bleibt das Konjunkturprogramm?
Die Frage stellt sich: Wo bleibt das Konjunkturprogramm? Und zwar ein echtes Konjunkturprogramm, das kleine und mittlere Geldbeutel größer macht. Etwa durch eine Mehrwertsteuersenkung auf Grundnahrungsmittel oder Bahnfahrten, durch eine Stromsteuersenkung, durch einen größeren Arbeitnehmerpauschbetrag, durch mehr Kindergeld, durch mehr Elterngeld, durch eine geringere Transferentzugsrate beim Wohngeld, durch die Abschaffung von Bagatellsteuern wie der Kaffeesteuer, durch ein günstigeres Deutschlandticket und so weiter und so fort. Wege gibt es viele, allein es braucht den Willen – und den Spielraum unter der Schuldenbremse.
Problem: Nicht einmal die SPD bringt solche Vorschläge zurzeit in die Debatte ein. Stattdessen gibt es Milliardensummen für Verteidigung und die Unternehmenssteuersenkung. Beide aber werden kaum für Wachstum sorgen, wie zwei Studien zeigen. Die Berechnung vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft geht davon aus, dass die 50 Milliarden Euro an Steuersenkung gerade einmal sechs Milliarden Euro mehr Wirtschaftsleistung pro Jahr bringen. Also: fast gar nichts.
Und die Ökonomen Tom Krebs und Patrick Kaczmarczyk haben den Wachstumseffekt der Verteidigungsausgaben für die Universität Mannheim untersucht. Ergebnis: „Ein zusätzlicher Euro für militärische Ausgaben erzeugt bestenfalls 50 Cent zusätzliche gesamtwirtschaftliche Produktion, möglicherweise aber gar keinen“. Die Wirtschaft mit Aufrüstung anzukurbeln, sei eine „riskante Wette“, so die Autoren.
Zwar steigen mit dem neuen Haushalt auch die zivilen Investitionen in die Infrastruktur. Doch bis über diesen Weg richtig Schwung in die Wirtschaft kommt, dauert es lange. Schließlich müssen die ganzen Straßen erstmal gebaut und die Brücken saniert werden.
Ein echtes Konjunkturprogramm hätte die Konsumkrise (siehe Grafik vom Dezernat Zukunft unten) längst lösen können. Ganz unabhängig von Trumps chaotischer Zollpolitik und dem Kriegsverlauf in der Ukraine. Der beste Moment für ein Konjunkturpaket von Schwarz-Rot war an Tag 1 der Koalition. Der nächstbeste wäre jetzt.





Kann es nicht einfach nur sein dass eine komplette Übererfüllung von Konsumgütern vorliegt?
Schon in den 80ern war man in kritischen Kreisen überzeugt davon dass man nicht noch mehr Konsumgüter braucht .
Jetzt hingegen kann man sich von Reizüberflutung, vollgestellten Hintergärten und Kellern nicht mehr retten.
Bin im Handel tätig und gebe dem strukturellen Zwang zur Übersättigung mehr negative Bedeutung als es meinem Beruf gut tut.
Erhöhter Nachfragedruck wird meines Erachtens das Grundproblem nicht lösen.
Danke
Es erstaunt doch immer wieder, wie wenig über die Ursachen der Krise diskutiert werden. In einer Krise, hervorgerufen durch fehlende Nachfrage, ist es doch naheliegend, die Nachfrage zu stärken. Danke Maurice für die Zahlen, die ja klar und deutlich
unterstreichen, wo das Problem liegt. Merz und der CDU wird immer wieder wirtschaftliches Denken unterstellt. Bloß weil sie Anzüge tragen und Krawatten? Wir brauchen mehr Binnennachfrage. Punkt.