Gut gedacht, schlecht gemacht, Herr Habeck!
Reiche sollen mehr in die Sozialkassen einzahlen? Ja! Aber: Habecks Vorschlag ist naiv und unausgegoren. Das wären bessere Alternativen
Die Sozialkassen brauchen mehr Geld. Ob Kranken-, Pflege- oder Rentenkassen. Die Rücklagen sind aufgezehrt, die jährliche Defizite wachsen und die Kosten werden in Zukunft weiter steigen. Was hingegen schon genug gestiegen ist: die Sozialabgaben. Zum Jahreswechsel erst ist der Zusatzbeitrag der Krankenversicherung um 0,8 Prozent und der Beitrag der Pflegeversicherung um 0,2 Prozentpunkte gestiegen. Heißt: weniger Netto vom Brutto für die Arbeitnehmer und höhere Nebenkosten für die Arbeitgeber.
Nachvollziehbar also, dass Robert Habeck, der grüne Kanzlerkandidat, die Kassen anders finanzieren will. Genauer gesagt: Reiche an der Finanzierung beteiligen will. Das wäre gerechter, als die Beiträge weiter zu anzuheben. Denn die belasten vor allem kleine und mittlere Einkommen. Sozialabgaben auch auf Kapitalerträge zu erheben, wie Habeck am Sonntagabend in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ ins Gespräch gebracht hat, ist aber nicht zwingend der beste Weg dafür.
Habeck hat es seinen Gegnern wieder zu einfach gemacht, eine Steilvorlage geliefert.
„Heizhammer“ 2.0?
Das zeigt, erstens, die öffentliche Resonanz auf den Vorschlag. Politiker von CDU, FDP und AfD haben sich im Einklang mit Finfluencern und Finanzjournalisten über den Vorschlag empört. Das sei „ein Angriff auf Millionen Sparer“, sagte FDP-Chef Lindner. Die Grünen „wollen an das Sparguthaben der Menschen und ihrer Erträge ran“, warnte CSU-Chef Söder. „Auf schon einmal versteuertes Geld dürfe nichts mehr erhoben werden.“ Schnell machten virale Bildkacheln die Runde, die die vermeintlich drastischen Verluste durch Abgaben auf Erträge aus der Altersvorsorge vorrechneten.
Man muss sich nichts vormachen: Lindner und Söder sind dagegen, um ihre Klientel zu schützen. Sie alle wollen Spitzenverdiener auch steuerlich entlasten. Und „die Mittelschicht“ und „die Sparer“ sind die beliebtesten Strohmänner der Neoliberalen. Wann immer es um höhere Steuern für Spitzenverdiener oder Reich geht, werden die aus der Scheune geholt und aufs Debattenfeld geschoben.
Aber: Habeck hat es seinen Gegnern wieder zu einfach gemacht, eine Steilvorlage geliefert. Hätte er ein Konzept mit konkreten Zahlen präsentiert, wie die Abgaben auf Löhne sinken könnten, wenn man Abgaben auf Kapitalerträge einführen würde, hätte aus dem Vorschlag nicht so einfach „Heizhammer“ 2.0 konstruiert werden können. Stattdessen hinterließ die unausgegorene Kommunikation ein Vakuum, das die Gegenseite füllen konnte.
Dass die Mittelschicht mit Habecks Vorschlag tatsächlich Geld sparen würde, dürften die meiste gar nicht mitbekommen haben. Das wäre so, weil sie durch weniger Abgaben auf den Lohn stärker entlastetet würden, als sie durch neue Abgaben auf ihre Kapitalerträge aus oft schmalen Ersparnissen belastet würden.
Nebenbei: Söders Argument der „Doppelbesteuerung“ ist sachlich falsch. Sozialabgaben würden nicht auf das angelegte und bereits versteuerte Geld erhoben, sondern nur auf die daraus resultierenden neuen Erträge – ähnlich wie die Abgeltungsteuer, die Söder hingegen nicht kritisiert.
Wer nicht mehr weiterweiß, gründet einen Arbeitskreis
Zweitens stellen sich viele praktische Fragen, die Habeck und die Grünen offensichtlich nicht durchdacht haben. Welche Freibeträge sollen gelten? Bei der Abgeltungsteuer sind Kapitalerträge bis 1.000 Euro pro Jahr von der Steuer befreit. Wäre das auch bei den Sozialversicherungsbeiträgen auch so? Oder läge der Freibetrag vielleicht sogar noch höher? Parteichef Banaszak sprach von „sehr großzügigen Freibeträgen“, ohne aber eine Zahl zu nennen.
Und was ist mit den bisherigen Beitragsbemessungsgrenzen, also den circa 5.500 Euro pro Monat für die Kranken- und Pflegeversicherung und den 8.050 Euro für die Renten- und Arbeitslosenversicherung? Würden die gar weiterhin gelten, weil Kapitaleinkünfte zum Lohneinkommen addiert werden? Dann müssten Reiche gar nicht mehr zahlen, sondern nun die Mittelschicht. Das wäre weniger Gerechtigkeit, nicht mehr. Und ein fehleranfälliges Bürokratiemonster, weil Sozialabgaben dann vom Arbeitgeber (wie heute) und einer anderen Stelle abgeführt würden, ohne dass beide voneinander wissen, geschweige denn steuerrelevante Informationen austauschen dürfen.
Einfacher wäre gewesen, Habeck hätte gefordert, die bestehende Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge anzuheben und diese Einnahmen als Zuschüsse an die Kassen weiterzuleiten.
Und wer sollte diese andere Stelle eigentlich sein? Also: Wie sollen die Beiträge überhaupt erhoben werden? An der Quelle, also direkt von der Bank? Die müsste dann die Krankenkasse kennen, über die alle Sozialabgaben laufen. Was ist, wenn man Depots bei mehreren Banken hat? Oder wird später bei der Steuererklärung abgerechnet und Finanzämter legen fest, ob man zu viel oder zu wenig bezahlt hat? Und was ist mit den Privatversicherungen? Profitieren die nicht davon, weil man Gutverdienern noch mehr Gründe gibt, zu wechseln? Auf all diese Fragen hat Robert Habeck, haben die Grünen keine Antwort, keine Zahlen, kein Konzept. Noch nicht zumindest.
In der gestrigen Pressekonferenz zog sich Habeck deshalb durchsichtig aus der Affäre. Die Details könnten ja später durch einen Bürgerrat erarbeitet werden, „begleitet durch eine Expertenkommission“, so der Mann, der sich – wohlgemerkt – um das Kanzleramt bewirbt. So richtig sein Impuls auch ist, ein solch unausgegorener Vorschlag ist sträflich naiv und dilettantisch. Ein Eigentor.
Man kann als Politiker im Wahlkampf Entlastungen versprechen, ohne ein Konzept zu haben. So machen es AfD, FDP und CDU ja auch. Aber man sollte tunlichst keine Belastungen ankündigen, ohne ein Konzept zu haben!
Die Alternativen
Um nicht nur zu meckern: Einfacher wäre gewesen, Habeck hätte gefordert, die bestehende Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge anzuheben und diese Einnahmen als Zuschüsse an die Kassen weiterzuleiten. Klar, einen rechtliche Zweckbindung gibt es bei Steuern nicht und die Abgeltungsteuer landet nicht nur im Bundeshaushalt, aber unter der Schuldenbremse hätte das Spielräume für größere Zuschüsse ermöglicht. Mit dem klaren Ziel: Sozialabgaben dämpfen, kleine und mittlere Einkommen entlasten. Bei einer etablierten Steuer den Steuersatz zu verändern, ist viel einfacher zu vermitteln, als neue Abgaben einzuführen. Und auch deutlich unbürokratischer. Dabei wäre die Wirkung ähnlich: Wer sein Geld arbeiten lässt, zahlt mehr für die Solidargemeinschaft.
Oder, zweite Alternative: eine Erhöhung der Einkommensteuer. Sie ist die gerechteste Steuer, die wir haben, da sie progressiv ist und keine Beitragsbemessungsgrenze kennt. Hier gilt wirklich: Wer mehr verdient, zahlt auch mehr. Und ob Reiche mehr Steuern auf ihre Einkommen oder ihre Kapitalerträge zahlen, ist am Ende zweitrangig. Beide Ansätze – eine Erhöhung der Abgeltung- und der Einkommensteuer – ließen sich problemlos kombinieren.
Schon heute bekommen die Kassen ja Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt – allerdings zu wenig. Gesundheitsminister Jens Spahn hat die Krankenkassen in der Pandemie dazu verordnet, ihre Rücklagen anzuzapfen und aufzubrauchen, ohne die Mehrkosten aus dem Haushalt zu erstatten. Aber auch die Ampel hat ebenjene Coronakosten für die Kassen nicht aus dem Haushalt erstattet – obwohl im Koalitionsvertrag versprochen. Geschweige denn den Krankenkassen mehr Geld für Bürgergeldbezieher gezahlt oder die Zuschüsse „dynamisiert“ (siehe auch diesen und diesen Artikel von mir dazu). Die letzten zwei Regierungen sind also auch schuld daran, dass die Beitragssätze zum Jahreswechsel überhaupt so gestiegen sind.
Was bleibt als Fazit? Habeck wollte ein wichtiges Problem adressieren: die Finanzierung der Sozialkassen gerechter zu gestalten. Doch ohne Konzept, ohne Zahlen und ohne strategische Kommunikation hat er eine Steilvorlage für seine Gegner geliefert.
Gut gedacht, schlecht gemacht, Herr Habeck!
Och mannn Habeck... Bitte, bitte, bitte reiß dieses Ruder herum so schnell es geht. Nur überhaupt davon zu hören, dass man betroffen sein KÖNNTE, obwohl man gar nicht gemeint ist, ist pures gift. Verbau es hier jetzt nicht.
Danke, dass du das schreibst.
Ich sehe das genauso.
Der Gedanke dahinter ist gut und auch richtig und wichtig. Immerhin werden in anderen Ländern Kapitalerträge auch höher besteuert. Und Vermögen erst recht.
Aber die Methoden für die Habeck andere Parteien kritisiert, hat er nun selbst genutzt.
Und dabei wäre es so einfach gewesen, diesen Fehler zu vermeiden.
Es ist einfach traurig, dass die Grünen immer noch nicht gelernt haben Konzepte richtig zu kommunizieren.