Koalitionsvertrag: Das soll Aufbruch sein?
Worauf sich Union und SPD geeinigt haben und was davon zu halten ist
Nun steht er also: der schwarz-rote Koalitionsvertrag. Nach einer Wahl, die Deutschland nach rechts gerückt hat; in einer Zeit, in der das Weltgefüge von Trump und Putin ins Chaos gestürzt wird und an einem Tag, an dem die AfD in Umfragen das erste Mal vor der Union auf Platz eins liegt.
Daran wird sich der Vertrag messen lassen müssen: Bringt er die Wirtschaft wieder auf Vordermann, das Land wieder zusammen und die AfD runter von den hohen Umfragewerten? Meine Prognose: Nein. Es gibt zwar einige Verbesserungen, aber keinen wirklichen Kurswechsel. Die neue Regierung wird mit diesen Vereinbarungen keinen Ruck durchs Land bringen, kein Vertrauen bei den Gefrusteten zurückholen – und auch keinen Boom auslösen.
Zu wenig, zu vage – und unter Vorbehalt
Auch wenn der lahmenden Wirtschaft das erste Kapitel im Koalitionsvertrag gewidmet wird, sind die Versprechen mau und allein auf der Angebotsseite verortet. Dass es der Wirtschaft an Nachfrage und den Verbrauchern an Kaufkraft mangelt, ignoriert Schwarz-Rot. Deshalb gibt es auch kein Konjunkturpaket. Und auch keine echten Steuerentlastungen.
Die Einkommensteuer soll erst zur Mitte der Legislatur für kleine und mittlere Einkommen gesenkt werden. Wie genau? Offen. Auf mehr als diesen Formelkompromiss konnte man sich offenbar nicht einigen. Erst zu 2026 ist mit einer Senkung der Stromsteuer, der Gastrosteuer und einer moderaten Erhöhung der Pendlerpauschale zu rechnen. Statt einer Investitionsprämie bzw. einer echten Unternehmenssteuersenkung, wie von SPD bzw. Union versprochen, gibt es die ersten drei Jahre nur eine degressive Abschreibung für Ausrüstungsinvestitionen. Das verschiebt aber die Steuerlast nur nach hinten und ist keine effektive Steuersenkung. Erst ab 2028 soll dann die Körperschaftsteuer jedes Jahr um einen Prozentpunkt gesenkt werden.
Mal abgesehen davon, dass solche Körperschaftsteuersenkungen in der Vergangenheit die Gewinne und Dividenden erhöht haben, nicht aber die Investitionen (siehe hier): Selbst in konservativer Logik kann ein solch schmaler Kompromiss keinen privaten Investitionsboom auslösen. Zu wenig, zu spät! Auf der Pressekonferenz bekam man den Eindruck: Den privaten Investitionsboom erhofft sich Schwarz-Rot vom Bürokratieabbau. Nur: wenn die Auftragsbücher nicht voller werden, bringt auch weniger Bürokratie die Wirtschaft nicht in Gang.
Das Mindeste wäre also gewesen, die öffentlichen Investitionen durch das Sondervermögen hochzuschrauben. Doch auch hier begrenzt sich Schwarz-Rot auf 150 der 500 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen. Und knausert bei den Kommunen. Statt einer echten Altschuldenlösung gibt es nur mickrige Unterstützung für die Länder, die ihren klammen Kommunen teure Altkredite abnehmen. Und zwar 250 Millionen Euro pro Jahr. Zum Vergleich: Eine echte Altschuldenlösung hätte 50 Milliarden gekostet. Hier wird also gekleckert, nicht geklotzt. Und das, obwohl die Kommunen 60 Prozent der öffentlichen Bauinvestitionen schultern.
Es fehlt auch an anderer Stelle an Entlastungen. Anders als von Merz in Aussicht gestellt, gibt es kein Klimageld, ja nicht mal eine Kaufprämie für E-Autos, sondern nur eine nicht näher definierte „Sonderabschreibung“ und ein Social-Leasing-Modell aus europäischen Geldtöpfen. Zu wenig, wenn 2030 schon 15 statt zwei Millionen E-Autos zugelassen sein sollen.
Ebenso unkonkret ist es an anderen Stellen. Der Mindestlohn von 15 Euro soll bis 2026 „erreichbar“ sein. Die SPD wollte in den Text den wichtigen Zusatz „und umgesetzt werden“ hineinverhandeln, ist daran aber gescheitert. Ob es also zu 15 Euro kommt: offen. Auch gibt es keine Lösung für die Defizite in der Pflege- und Krankenkasse. Die Ampel hatte noch höhere Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt versprochen, unter Schwarz-Rot gibt es nur den Verweis auf eine Expertenkommission, die zur Stabilisierung der Beitragssätze gegründet werden soll. Wie heißt es so schön? Wenn man mal nicht weiterweiß, gründet man einen Arbeitskreis.
Und selbst das Wenige steht noch unter einem Finanzierungsvorbehalt. Lars Klingbeil hat auf der Pressekonferenz betont, dass man sehr bewusst im Vertrag geschrieben habe, Maßnahmen umsetzten „zu wollen“ und nicht „zu werden“. Im Klartext: Selbst mit diesen vagen und schmalen Entlastungen ist nicht zu rechnen, wenn die Wirtschaft weiter kriselt und Geld fehlt!
Gekürzt wird dafür beim Bürgergeld, indem die Sanktionen verschärft, die Karenzzeit für das Schonvermögen abgeschafft und ab sofort neu ankommende Massenstrom-Flüchtlinge ausgeschlossen werden. Letzteres heißt: Ukrainer werden aus dem Bürgergeld geschmissen und bekommen nur noch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, also in der Regel nur 441 statt 563 Euro, keine Betreuung vom Jobcenter und schwerer Zugang zu Sprach- und Integrationskursen. Die Integration von Ukrainern in den Arbeitsmarkt wird also erschwert. Ein großer Fehler. Auch gekürzt wird die Entwicklungshilfe. Dabei ist Deutschland als Exportnation wie kaum ein anderes Land darauf angewiesen, dass der Rest der Welt sich entwickelt – und mehr Güter aus Deutschland kauft. Ein Eigentor für das Export-Geschäftsmodell.
Immerhin: Ein bisschen Gerechtigkeit
Aber: Es gibt auch einige gute Nachrichten. Das Elterngeld soll besser werden, indem die Mindest- und Höchstsätze nach 17 Jahren endlich „spürbar“ angehoben werden. Wann genau und was „spürbar“ heißt, ist allerdings offen. Auch bekommen Alleinerziehende mehr Geld, indem das Kindergeld nur noch hälftig auf den Unterhaltsvorschuss angerechnet wird. Das wird aber erst in einem „zweiten Schritt“ umgesetzt. Wann genau? Offen! Immerhin wird die viel und zu unrecht gescholtene Mütterrente (siehe hier) vollendet.
Apropos Kindergeld: Die Schere zwischen Kinderfreibetrag und Kindergeld soll „verringert“ werden. Heute ist es so, dass Kinder reicher Eltern über den Freibetrag mehr Geld vom Staat bekommen als Kinder von Normalverdienern über das Kindergeld (hier erklärt). Die Frage stellt sich: Warum wird dieser offensichtliche Missstand nur verringert und nicht abgeschafft? Würde der Freibetrag abgeschmolzen und mit dem Geld der Kinderzuschlag erhöht, ließe sich Kinderarmut effektiv verringern. Wenn es schon keine Kindergrundsicherung geben soll, wäre das doch das Mindeste gewesen. Immerhin: Für Kinder von Bürgergeld-Eltern gibt es bald 20 statt 15 Euro pro Monat für Vereinsmitgliedschaften und Sonderausgaben im Bildungs- und Teilhabepaket.
Was wirklich gut ist: Die Mietpreisbremse wird um vier Jahre verlängert, im Sondierungspapier waren ursprünglich nur zwei Jahre geplant. Gleiches gilt für das Deutschlandticket. Der Ticketpreis soll erst ab 2029 für die Nutzer steigen. Zwei kleine Trostpflaster. Allerdings: Auch das alles steht unter Finanzierungsvorbehalt.
Fazit: Man kann der SPD vielleicht anrechnen, dass sie Schlimmeres verhindert hat. Aber ein Aufbruch ist das sicher nicht. Und eine Kampfansage an die AfD schon gar nicht. Leider!
Dieses Papier ist eine Katastrophe. Die Wiedereinführung des Vermittlungsvorrang verfestigt Armut, Bürgergeldsätze auf 0 kürzen, das BVerfG wird urteilen. Kein Wort zur Erbschaftssteuer oder Vermögenssteuer, nichts. Der Mindestlohn bloß erhofft, Steuererleichterungen nur vielleicht. Man kann nicht fassen, dass das alles gewesen sein soll.
Die Analyse ist zutreffend. Leider.
Ich habe nichts anderes erwartet. Die Bundesrepublik Deutschland wird seit geraumer Zeit von Christ- und vor allem Sozialdemokraten schlecht regiert.
Die Politik von Christ- und Sozialemokraten hat jene Probleme geschaffen, von denen sich die Rechtspopulisten nähren. CDU und SPD haben den Anspruch des Primats der Politik über die Ökonomie aufgegeben und ihren Handlungsspielraum durch Regeln wie die Schuldenbremse beschränkt. Sie haben „den Markt“ als handelndes Subjekt akzeptiert, „ihm“ hat sich nun auch die Demokratie („marktkonform“, Angela Merkel) anzupassen. Diese Sätze schreibt Stephan Schulmeitster bereits vor fast 10 Jahren.
Und: " Christ- und Sozialdemokraten können daher ihre eigene Politik bis heute nicht als Hauptursache der Krise wahrnehmen und sehen daher über die Not der Menschen hinweg."
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Und dass die AfD ist zum ersten Mal bei einer bundesweiten Sonntagsfrage stärkste Partei ist, ist eine direkte Folge der verfehlten Politik. Wer sich darüber wundert, hat nichts verstanden. Und ist vermutlich Teil des Problems.
https://www.widerborstig.de/Stephan%20Schulmeister,%20Die%20rechten%20Verf%C3%BChrer%20und%20ihre%20Wegbereiter.%20BL%C3%84TTER%208-2016.pdf