Sonderurlaub für Väter? Verhindert die Arbeitgeberlobby!
Wie Deutschland bei der Familienpolitik hinterherhinkt, weil Union und FDP sich vom Arbeitgeberverband einspannen lassen
Die Frau sorgt für das Baby und den Haushalt, der Mann verdient das Geld. Dieses längst überholte Familienbild wird von der Arbeitgeberlobby in Deutschland zementiert – bis heute. Und zwar in Gesetzen. Denn die Arbeitgeberlobby hat Union und FDP für ihren Kampf gegen eine Reform eingespannt, die laut EU-Richtlinie in Deutschland längst hätte umgesetzt sein müssen und bei der Deutschland seinen EU-Nachbarn peinlicherweise hinterherhinkt.
Kaum etwas zeigt das Festhalten an überholten Strukturen so deutlich wie: der fehlende Vaterschaftsurlaub. Während fast alle EU-Staaten Vätern einen eigenen, bezahlten Vaterschaftsurlaub garantieren, gibt es ihn in Deutschland schlicht nicht. Null Tage.
Dabei verpflichtet die EU-Richtlinie zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben die Mitgliedstaaten seit Jahren zu mindestens zehn Tagen Vaterschaftsurlaub. Viele Länder gehen deutlich weiter: Frankreich gewährt 28 Tage, Portugal ebenfalls bis zu 28 Tage, Dänemark immerhin zwei Wochen. Selbst Italien garantiert Vätern zehn Tage. Und das mit einer Lohnersatzrate von 100 Prozent. Sprich: Voll bezahlter Sonderurlaub.
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Familienpolitik von Vorgestern
Das ist nicht nur europarechtswidrig, sondern sozialpolitisch kurzsichtig. Ein Vaterschaftsurlaub wäre ein Gewinn für Kinder, die von Anfang an eine enge Bindung zu beiden Eltern aufbauen. Er entlastet Mütter körperlich und mental in der sensibelsten Phase nach der Geburt. Und er ist zentral für eine gerechte Aufteilung von Sorgearbeit.
Dabei hätten wir längst weiter sein können. Die Ampel wollte eine Familienstartzeit von zwei Wochen einführen. Im Bundesfamilienministerium lag sogar ein fertiger Referentenentwurf auf dem Tisch. Umgesetzt wurde er trotzdem nicht. Der Grund: Die FDP blockierte das Vorhaben innerhalb der Koalition – und stellte sich offen auf die Seite der Arbeitgeberlobby.
Die SPD forderte die Familienstartzeit zwar wieder im Wahlkampf, konnte sie aber nicht im Koalitionsvertrag verankern. Die Union ist nämlich wie die FDP dagegen. Die Ablehnung folgt einem bekannten Muster. CDU-Familienpolitikerin Silvia Breher etwa warnt vor einer angeblichen Überforderung der Unternehmen durch einen zusätzlichen Vaterschaftsurlaub und plädierte dafür, sich auf bestehende Instrumente wie das Elterngeld zu beschränken. In dieselbe Richtung argumentierten die Arbeitgeberverbände (BDA). Ihr Kernargument: „Unsere sehr weitreichenden Regelungen zu Elternzeit und Elterngeld geben beiden Elternteilen bereits umfangreiche Möglichkeiten, sich die familiären Aufgaben nach eigenen Vorstellungen aufzuteilen – auch dafür, ab der Geburt im Job eine Pause einzulegen.“
Was dabei ausgeblendet wird: die Realität. Elternzeit und Elterngeld sind langfristig geplant, ein hochbürokratisches Anliegen und bedeuten finanzielle Einschnitte. Ein kurzer, automatisch greifender Vaterschaftsurlaub für die erste Zeit im Wochenbett hingegen wäre das Gegenteil: kurzfristig, unbürokratisch und ohne Geldeinbußen. Genau deshalb gibt es die Richtlinie in der EU und genau deshalb nutzen ihn in anderen Ländern fast alle Väter.
Dass es auch in Deutschland breite Unterstützung für die Familienstartzeit gibt, zeigte sich im Sommer 2024. Verbände wie das Zukunftsforum Familie übergaben gemeinsam mit Unternehmen – darunter die Henkel AG & Co. KGaA – einen offenen Brief an das damalige Bundesfamilienministerium, in dem sie die Umsetzung der angekündigten Familienstartzeit forderten. “Das Wochenbett ist für viele Mütter eine körperlich und emotional anstrengende Zeit. Die gemeinsame Versorgung des Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt schafft hier Entlastung. So ist es aus unserer Sicht folgerichtig, die Familienstartzeit im Mutterschutzgesetz zu verankern”, heißt es in dem Brief.
Und weiter:
“Auch aus Sicht von Unternehmen ist die Einführung der Familienstartzeit zur Sicherung des Arbeits- und Fachkräftebedarfs sinnvoll: Erwerbstätige Elternteile erwarten von ihren Arbeitgeber*innen zunehmend unabhängig von ihrem Geschlecht, dass diese ihren Bedarfen nach besserer Vereinbarkeit nachkommen. Wie eine Kurzexpertise zu partnerschaftlicher Vereinbarkeit und Fachkräftebedarf von Prognos 2023 belegte, erhöht eine egalitärere Verteilung der unbezahlten Sorgearbeit die Erwerbsbeteiligung von Frauen stärker als sie die von Männern verringert und wirkt sich somit positiv auf das Arbeitsangebot aus.”
Hohe Kosten und viel Bürokratie? Scheinargumente!
Die Reform wäre nicht einmal besonders teuer. Das Kostenargument der Union ist völlig übertrieben. Grob überschlagen: Bei rund 700.000 Geburten pro Jahr und 14 Tagen Freistellung für den zweiten Elternteil entstehen Kosten von etwa einer Milliarde Euro jährlich. Das entspricht gerade einmal 0,02 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung.
Finanziert werden könnte die Leistung über das U2-Umlageverfahren, genauso wie Mutterschaftsleistungen heute schon, also ohne neue Bürokratie. Das bedeutete: Alle Arbeitgeber zahlen solidarisch einen Beitrag an die Krankenkasse und wer Sonderurlaub für Väter gewährt, kann sich die Lohnkosten erstatten lassen.
Zum Vergleich: Allein der Kinderfreibetrag kostet den Staat 9 bis 10 Milliarden Euro pro Jahr und begünstigt allein hohe Einkommen (wie hier analysiert). Gleichzeitig sind längst Unternehmenssteuersenkungen beschlossen, die mehr als zehn Milliarden Euro pro Jahr kosten. Und während die Union eine Familienstartzeit aus angeblichen Kostengründen ablehnt, stellt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche den Koalitionsvertrag inzwischen offen infrage, um die teuren (aber ineffizienten) Steuersenkungen für Unternehmen noch früher umzusetzen.
Erde an die SPD
Liebe SPD, wenn für Entlastungen von Konzernen neu verhandelt werden kann, dann kann – und muss – auch über familienpolitische Mindeststandards neu verhandelt werden. Die Frage lautet nicht, ob Spielräume da sind, sondern für wen sie genutzt werden.
Zumal klar ist: Die Elternleistungen gehören insgesamt reformiert. Das Elterngeld wurde seit 17 Jahren nicht an die Inflation angepasst – real wurden der Mindest- und der Höchstsatz dadurch um fast die Hälfte entwertet (hier erklärt). Ein Skandal!
Das Kindergeld ist außerdem noch immer so niedrig, dass die Mittelschicht gegenüber reichen Familien benachteiligt wird. Und es wird für geprellte Alleinerziehende noch immer voll mit dem Unterhaltsvorschuss verrechnet (hier erklärt). Auch das: skandalös. Deutschlands Familienpolitik ist teuer, aber völlig falsch priorisiert!
Gut, dass die Linke das Thema diese Woche mit einem Antrag auf die Tagesordnung im Bundestag setzt. Zum wiederholten Male übrigens. Eine Familienstartzeit – die selbstverständlich nicht nur auf männliche Väter begrenzt, sondern für alle Familienmodelle zugänglich sein sollte – ist eine überfällige Reform. Wer wie die Arbeitgeberlobby am alten Rollenbild festhält, bremst Gleichstellung, Fachkräftesicherung und gesellschaftlichen Fortschritt zugleich!


