5 Mythen zur Schuldenbremse
Die Schuldenbremse feiert ihren 15. Geburtstag. Ein guter Anlass, um fünf hartnäckige Mythen aufzuklären
Sollte man der Schuldenbremse zum Geburtstag gratulieren oder um ihre Konsequenzen trauern? Heute vor 15 Jahren wurde sie eingeführt. Übrigens nicht von einem FDP-Finanzminister, wie man vielleicht meinen könnte, sondern von SPD-Urgestein Peer Steinbrück. Ich finde: Statt zu gratulieren und zu feiern, sollte man eher um die ausgebliebenen Investitionen trauern und die Infrastruktur bemitleiden.
Immerhin: Die Befürworter einer Reform mehren sich. Selbst der IWF oder CDU-Ministerpräsidenten zählen mittlerweile dazu. Und auch Peer Steinbrück. Trotzdem halten sich einige Mythen zur Schuldenbremse hartnäckig. Der Geburtstag ist ein guter Anlass, um fünf davon aus der Welt zu schaffen.
#1: Schulden belasten künftige Generationen
Das stimmt gleich zweifach nicht: real und finanziell. Erstens, marode Straßen und Schulen sind die viel größere Last für die nächste Generation. Erst recht in einer alternden Gesellschaft mit weniger Erwerbstätigen. Die nächste Generation muss dann deutlich mehr erwirtschaften und produktiver sein, um die Babyboomer in der Rente zu versorgen – und obendrein noch die Infrastruktur sanieren, die die Boomer verschlissen haben. Ein doppeltes Laster!
Zweitens sind die Schulden des Staates ja auch Vermögen für die Privatwirtschaft. Die nächste Generation erbt die Bankguthaben, die entstanden sind, weil Finanzminister mehr Geld ausgegeben als eingenommen haben. Und die Staatsanleihen, die quasi risikolose Zinsen versprechen. Staatsschulden sind weniger ein Verteilungsproblem zwischen zwei Generationen, sondern vielmehr innerhalb einer Generation. Die Frage ist eher: Wer kassiert die Zinsen, für wen wird wie viel Geld ausgeben, wer muss welche Steuern zahlen?
#2: Die Schuldenbremse sorgt für niedrige Zinskosten
Das behauptet Lindner heute und das behauptete Steinbrück in seiner Rede zur Einführung der Schuldenbremse damals. „Der steigende Schuldenstand und die steigende Zinslastquote verkarsten den Bundeshaushalt zusammen“, so Steinbrück damals.
Derzeit steigen die Zinskosten aber vor allem, weil die Zentralbank den Zins zur Inflationsbekämpfung hochgeschraubt hat. Nicht, weil Banken deutsche Anleihen riskant finden und hohe Aufschläge fordern. Im Gegenteil: Banken und Anleger können von sicheren Bundesanleihen gar nicht genug bekommen, würden sich über mehr Anleihen (ergo mehr Schulden) sogar freuen – risikofreie Rendite!
Auch Ökonomen von Ratingagenturen, die die Bonität von Ländern bewerten, würden widersprechen. Eiko Sievert, der Deutschlands Rating bei europäischen Ratingagentur Scope verantwortet, sagte zuletzt: „Es reicht für ein Land nicht aus, nur einen niedrigen Schuldenstand zu haben. Wichtig ist auch das Wachstumspotenzial. Und da geht es für Deutschland eher bergab“. „Für ein Triple-A-Rating muss man nicht unbedingt auf neue Schulden verzichten“, so Sievert gegenüber dem Spiegel. Und weiter: „Schulden, die das Wachstum steigern, können sich sogar positiv auf das Rating auswirken“. Kein Wunder, dass auch er für eine Reform der Schuldenbremse plädiert.
Noch ein Satz zu den Zinskosten: Die steigen derzeit längst nicht so drastisch wie Lindner behauptet („von 4 auf 40 Milliarden“), sondern lediglich um ein paar Milliarden. Hintergrund ist eine Buchungsregel, die die wahren Kosten verzerrt (hier erklärt). Das sind Milliarden, die an Banken und Anleger gehen und nur deshalb für Kinder und Straßen fehlen, weil die Schuldenbremse da ist. Ohne Schuldenbremse wäre das kein entweder oder. Die Schuldenbremse selbst verkarstet also den Haushalt!
Außerdem gibt es da noch eine Alternative: Der Finanzminister könnte sein Konto bei der Zentralbank einfach überziehen, statt Anleihen zu verkaufen, sich also den Umweg über die Banken und die Zinsen sparen (hier erklärt). Zugegeben: Das wird in den nächsten 40 Jahren nicht passieren, ist theoretisch aber möglich und ein erhellendes Gedankenexperiment.
#3: Die Schuldenbremse befördert Privatisierungen
Das stimmt nicht. Eine gute Nachricht: An der Schuldenbremse ist nicht alles schlecht gemacht. Denn: Wenn der Staat etwa seine Anteile an der Post oder der Telekom verkauft, bringt das zwar Geld aufs Konto des Finanzministers, schafft aber das keine neuen Spielräume unter der Schuldenbremse. Sogenannte finanzielle Transaktionen, bei denen Firmenanteile verkauft oder gekauft werden, sind nämlich von der Schuldenbremse ausgeklammert. Einen großen Privatisierungsdruck gibt es durch die Schuldenbremse also nicht.
Und die Schuldenbremse steht auch Verstaatlichungen nicht im Weg. Dem niederländischen Staat die Anteile an Tennet und damit an tausenden Kilometern Stromnetzen für mehr als zwanzig Milliarden abzukaufen, ginge also auch mit Schuldenbremse. Oder der Bahn Milliarden an zusätzlichem Eigenkapital einzuspritzen, damit genug Geld für Schieneninvestitionen vorhanden ist. Immerhin!
#4: Die Schuldenbremse bringt Puffer für schlechte Zeiten
Auch das behauptet Finanzminister Lindner gerne, ebenso wie Ex-Finanzminister Scholz (heute bekanntlich Bundeskanzler). Dabei hat die Corona-Krise das Gegenteil bewiesen. In Krisen kommt es nicht auf die Schuldenquote an, sondern darauf, dass die Zentralbank als Schöpferin der Währung vernünftig handelt.
Griechenland ist das beste Beispiel. 2012 hatte die EZB Griechenland den Geldhahn abgedreht und die Banken ihr Vertrauen in griechische Anleihen verloren. Der Zins auf zehnjährige Anleihen schoss hoch auf 35 Prozent. Zehn Jahre später, in der Coronakrise, machte die EZB das Gegenteil. Sie legte ein großes Anleihekaufprogramm auf und sicherte den Banken und Anlegern damit zu, dass jeder EU-Staat seine Anleihen bedienen wird. Die Folge: Der Zins für zehnjährige Anleihen Griechenlands lag nicht bei 35, sondern bei unter einem Prozent – und das, obwohl die Schuldenquote Griechenlands sogar größer war als 2012, nämlich 180 statt 162 Prozent.
Die Lehre: Das Finanzministerium hat keinen Tresor im Keller, in dem es Geld für schlechte Zeiten hortet. Und auch keinen Sparstrumpf wie Oma Erna. Sondern es kann sich jederzeit in eigener Währung all das Geld von seiner Zentralbank holen, das es braucht. Und das zu Konditionen, die vollständig in der Hand der Zentralbank liegen.
Was stimmt: Weil sich in der Eurozone 20 Länder eine Währung teilen, ist es etwas komplizierter als etwa in den USA. Die EZB würde aber Deutschland niemals ihren Geldhahn zudrehen, wie sie es (fälschlicherweise) bei Griechenland getan hat. Denn an dem Tag, an dem das passiert, ist die Eurozone tot.
Dazu kommt noch eine andere Perspektive: Heute kein Geld auszugeben für wichtige und nötige Dinge, weil man glaubt, man müsse einen nicht vorhandenen Sparstrumpf befüllen oder Ratingagenturen glücklich machen, hat außerdem reale Opportunitätskosten. Die Konsequenz ist, dass die Wirtschaft schlechter läuft, die Einkommen kleiner sind, Menschen ein schlechteres Leben haben und die Infrastruktur zerbröckelt. Das ist kein guter Puffer für schlechte Zeiten!
#5: Die Schuldenbremse und die Schwarze Null sind dasselbe
Ein Missverständnis, das sich bis heute hält, besonders in linken Kreisen. Dabei gibt es viele Unterschiede zwischen Schuldenbremse und Schwarzer Null. Christian Lindner ist für die Schuldenbremse, aber gegen die Schwarze Null. Die Schuldenbremse ist in der Verfassung, die Schwarze Null ein Marketinggag von Ex-Finanzminister Schäuble. Die Schuldenbremse erlaubt neue Schulden in Höhe von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung (plus etwas mehr in Krisen), die Schwarze Null nicht. Die Schuldenbremse hat Ausnahmen wie finanzielle Transaktionen, die Schwarze Null nicht. Die Schuldenbremse lebt, die Schwarze Null ist tot.
15 Jahre Investitionsbremse, wahrlich kein Grund zu feiern.
Dieser Kommentar sollte in der Zeit, Tagesspiegel etc. gedruckt werden um mehr bürgerliche Leser zu erreichen!